O-Ton

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Aktuelle Aufführungen

Reise am Jazz-Piano

GRÉGORY PRIVAT
(Grégory Privat)

Besuch am
16. Juli 2022
(Einmalige Aufführung)

 

Krefeld-Pavillon, Krefeld

Mit sechs Jahren, so wird berichtet, beherrschte der Sohn des Musikers José Privat aus Martinique bereits das Klavierspiel. In Toulouse erhielt Grégory eine klassische Musikausbildung. Er begann, professionell zu komponieren und widmete sich dem Jazz sowie der Improvisationsmusik. Und er ritt die harte Tour. In französischen Clubs und als Studiomusiker erwarb er sich einen Namen, betrat allmählich das internationale Parkett. Im vergangenen Jahr nahm er sein erstes Soloalbum Yonn in Köln auf, das heuer erschienen ist, nachdem er bereits an sechs Studio-Alben mitgewirkt hat.

Vor dem Krefeld-Pavillon im Krefelder Kaiserpark hat sich bereits eine lange Schlange gebildet. Es kommt nicht so oft vor, dass international hochrangige Künstler sich nach Krefeld verirren. 100 Plätze gibt es in der Spielstätte, in der am Sonntag zuvor noch Ulrich Matthes Schiller-Balladen gelesen hat. Schnell werden noch zehn weitere Plätze bereitgestellt, um den Ansturm zu bewältigen. Ganz still liegt der Teich in der abendlichen Dämmerung vor dem Pavillon. Ein Idyll, das das Wohlgefühl der Besucher steigert, die die zehnminütige Verspätung so gar nicht bemerken. Auch Grégory Privat zeigt sich sehr gut aufgelegt. Schließlich spielt er vor vollem Haus. Zum schwarzen Hemd trägt er eine schwarze Hose mit weitem Schlag und weiße Turnschuhe. Entspannt lässt er die „offizielle“ Begrüßung über sich ergehen, ohne auch nur ein Wort zu verstehen. Aber er vertraut da auf Silke Zimmermann, die die Aufführungsreihe im Krefeld-Pavillon organisiert hat und endlich Gelegenheit hat, ihr Versprechen einzulösen, den begnadeten Pianisten auf die Bühne zu bringen. Mit den Worten „Lasst uns was machen gegen diese dunkle Zeit“ eröffnet sie den Abend. Und Privat stellt sein neuestes Programm vor, eine „Reise über Zuversicht, Trost, Hoffnung und der Rückkehr zu sich selbst“.

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In der Mitte des Pavillons ist ein Flügel mit vier Lautsprechern und zwei Monitoren aufgebaut. Hier nimmt Privat Platz und eröffnet mit Respire, einem Werk, das uns vermitteln soll, dass wir alle göttlich sind. In L’horloge crole geht es melodiös, aber mit Geschwindigkeit voran. Noch ist wenig Jazz zu hören, dafür aber viel vom eigenen Stil Privats, der sich durch eine rasante Begleitung der linken Hand mit Einwürfen der rechten präsentiert. Mit J’ai oubli les mots – ich habe die Wörter vergessen – bedient er sich nicht nur erstmals des Gesangs, sondern auch des Loops, singt also im Chor mit sich selbst. Das ist eindrucksvoll – und laut. Nicht immer ist an diesem Abend alles perfekt ausbalanciert, und da wird so manches Gehör über Gebühr belastet. Das ist bei Tonalité nicht der Fall, ein Aufruf zur Gelassenheit. „Findet zu Eurer Gelassenheit zurück, hört auf Euren Puls“ ist die Botschaft, die Privat besingt, ehe er auf dem Klavier zeigt, zu welch feinen Jazz-Klängen er in der Lage ist.

Pa plere: Weine nicht. Es beginnt in Moll und dissonant, ehe der Pianist in Bargeflüster verfällt, zu dem sich ein kurzer Vogelstreit auf dem Teich entwickelt, ehe der Komponist die Besucher in höhere Gefilde entführt. Es wird ein Flug ins Nirgendwo, ohne Worte. Nach diesem grandiosen Ausflug geht es mit Koute Tche Aw in einen wortlosen Schwebezustand, eine kleine Träumerei, ehe sich das Stück in puren Rhythmus verwandelt und mit Worten untermalt wird. Mit Geraldine kehrt Privat zum Chorischen zurück, ehe es im darauffolgenden Stück tatsächlich jazzig wird. Für die Besucher zum Höhepunkt kommt es, als Privat sehr zögerlich überlegt, ob er ein Stück zum Mitsingen spielen soll. Er ziert sich scheinbar ein wenig, das Risiko einzugehen. Dann wirft er dem Publikum den Text hin: Lalala. Das Publikum geht mit. Während hier zunehmend 100 Choristen einsteigen, gibt Privat nur noch einzelne Passagen vor, um die Gäste weiter zu motivieren, läuft um den Flügel herum, schwingt die Arme weit, weil er mehr hören will. Es ist einfach großartig, wie er den Saal puscht. Da ist sein Werk Yonn eigentlich nur noch eine Dreingabe, bei der noch einmal richtig Dynamik aufkommt, wenn die Finger so schnell werden, dass man ihre Bewegung nicht mehr erfassen kann.

Nach anderthalb Stunden ist trotz aller pianistischer Virtuosität die Kraft des Publikums erschöpft, und so ist die Zugabe nur noch ein Grund mehr, aufzustehen und zu applaudieren, ohne eine weitere Zugabe zu verlangen. Wer so viel gute Musik zu hören bekommt, ist irgendwann einfach gesättigt. Und die Schlange am Verkaufstisch anschließend zeigt, dass ein Nachhall an anderen Tagen gefragt ist. Mit dem zweiten Auftritt in ihrer Aufführungsreihe hat Zimmermann einen echten Höhepunkt gesetzt. Die Fortsetzung ist allerdings erst Anfang September mit dem Konzert des Ensembles Crush vorgesehen. Dann wird es vier Miniaturkonzerte von John Cage, Eric Satie und Morton Feldman geben. Eine Herausforderung für das Publikum, dem man aber nach den ersten zwei Aufführungen im Krefeld-Pavillon vertrauensvoll entgegensehen kann.

Michael S. Zerban