Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
WITH CHARME AND BRILLIANCY
(Diverse Komponisten)
Besuch am
3. April 2022
(Einmalige Aufführung)
Wenn die Sängerin Anna Herbst zu einem neuen Programm einlädt, lohnt es sich zu kommen. Das hat sie mehr als einmal bewiesen. Nur allzu gut ist ihr Programm Lindenbaum und Lotusblüte mit Jie Zhou in Erinnerung, das demnächst auch als Album erscheinen wird. In eine völlig andere Richtung geht ihr neues Programm. Gemeinsam mit Ulrich Wedemeier, der sich nach seinem Gitarrenstudium seit über 35 Jahren mit der alten Musik beschäftigt, hat sie sich mit dem Leben von Catharina Pratten auseinandergesetzt.
Geboren 1824 als Catharina Josepha Pelzer im heutigen Köln-Mülheim wuchs sie in London als Tochter des Gitarristen und Musikpädagogen Ferdinand Pelzer auf, der sie schon früh als „Wunderkind“ ausbildete. 1833 betrat das neunjährige Mädchen die Konzertbühne des King’s Theatre und faszinierte fortan mit ihrem Gitarrenspiel die Londoner Gesellschaft. Als Catherine Pratten sollte sie – zumindest vorübergehend – in die Musikgeschichte eingehen. „Ich nehme an, kein Künstler war jemals einem Instrument so zugetan wie Madame Pelzer der Gitarre. Sie kannte die Möglichkeiten ihres Instruments, aber auch seine Schwächen. Für sie hatte die Gitarre wie kein anderes Medium die Kraft, ihre Gefühle auszudrücken“, schrieb ihr Schüler Frank Mott Harrison. Eines ihrer Vorbilder war Mauro Giuliani, der dafür sorgte, dass die Gitarre im 19. Jahrhundert eine Renaissance erlebte. Von 1806 bis 1819 lebte der Gitarrenvirtuose in Wien und stand mit Künstlerkollegen wie Ludwig van Beethoven und Louis Spohr in Verbindung. Das alles ist dem wunderbar recherchierten Text zu entnehmen, den Herbst und Wiedemeier für ihr Programmheft entwickelt haben.
Foto © O-Ton
Als Ergebnis ihrer Recherchen ist das Programm With Charme and Brilliancy entstanden, eine theoretisch rundherum gelungene Mischung aus Liedern und Gitarrensoli, die sie nun erstmalig im Overstolzensaal des Museums für Angewandte Kunst in Köln vorstellen. Ein Kammermusiksaal, der eigentlich für seine schöne Akustik bekannt ist. An diesem Sonntagnachmittag beweist er eine mangelhafte Außenisolation, so dass überraschend viel Geschäftigkeit auf der Straße auch im Saal erlebbar wird. Selbstverständlich lassen sich die Musiker davon nicht im Mindesten beeindrucken.
Wie üblich, ist Herbst perfekt vorbereitet. Sanft erklingt My Heart and Lute von Henry Bishop zum Auftakt, gestisch schön untermalt. Das Publikum verfolgt den Gesang im Textblatt, das außerdem eine deutsche Übersetzung bietet. Twilight, zu dem es noch eine schöne Geschichte im Programmheft gibt, und The winds are hush’d to rest von Catharina Pratten folgen. Das Publikum geizt mit Applaus, obwohl es dafür von der künstlerischen Leistung aus gesehen absolut keinen Grund gibt. Von Mauro Giuliani gibt es Abschied und Lied aus der Ferne. Alles schön begleitet. Dann allerdings gibt es das erste von vier Gitarrensoli, drei davon stammen von Pratten, das erste ist von Giuliani. Wenn Pratten eine besondere Virtuosität unterstellt wird, klingt das im Vortrag doch reichlich merkwürdig. Stumpfe Klänge auf der Originalgitarre von Pratten, ständige Pausen, die eher den Eindruck eines schlecht vorbereiteten Gitarrenschülers vermitteln, abrupte Stilwechsel stören den Fluss und damit den Hörgenuss.
Foto © O-Ton
Ein Erlebnis hingegen der Vortrag der Lieder von Ludwig van Beethoven, Franz Schubert und Louis Spohr, darunter Gretchen am Spinnrade und Mignon’s Lied. „Kennst du das Land, wo die Zitronen blüh’n, im dunkeln Laub die Goldorangen glüh’n“, hatte Johann Wolfgang von Goethe einst gedichtet, Spohr hat’s musikalisch aufbereitet und Herbst interpretiert es zauberhaft. Nach The arrow and the song und Marlbrough s’en va-t-en guerre von Pratten, letzteres hätte man sich vielleicht ein wenig burschikoser gewünscht, geht es im letzten Teil um die Vergänglichkeit. Carl Maria von Webers Die Zeit und Prattens The summer bloom hath pass’d beschließen eine kurzweilige Stunde.
Einmal mehr hat Anna Herbst ihre wunderbare Fähigkeit gezeigt, sich mit Musik fantasievoll auseinanderzusetzen, sie zu einem Gesamterlebnis zusammenzustellen und großartig zu interpretieren. Dass sie damit auf das zurückhaltendste Publikum trifft, das man sich vorstellen kann, ist sicher unverdient. Wer sich davon überzeugen will, hat dazu am 2. Mai Gelegenheit, wenn WDR3 das Konzert als Stream im Internet erklingen lässt.
Michael S. Zerban