O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Gelungenes Finale

TRIP-TIQUE
(Diverse Komponisten)

Besuch am
23. Juli 2022
(Uraufführung)

 

Rufffactory, Köln

Sie sind mit einem großen Anspruch angetreten. Sie wollten neue Konzertformate mit neuer Musik darbieten, die das Publikum begeistern. Und heute Abend zeigt das Ensemble I Transiti endgültig, dass es ihm gelungen ist. Geredet wird im gutsubventionierten Klassikbetrieb viel über neue Formate, um neues Publikum zu gewinnen. Zu sehen bekommt man sie bis auf vereinzelte Ausnahmen nie. Und schon gar nicht mit der so genannten neuen Musik, die bei vielen Abonnenten städtischer oder staatlicher Konzertbetriebe so etwas wie Allergien auszulösen scheint, wenn sie mehr als ein Stück während eines Konzertabends ertragen müssen. Da kann man sich vorstellen, dass Intendanten, Generalmusikdirektoren, Dirigenten oder wenigstens Dramaturgen in Scharen angelaufen kommen, um zu hören und zu sehen, wie drei Musiker „neue Konzerte“ mit Hilfe der neuen Musik und des Musiktheaters zeigen wollen. Nichts dergleichen ist geschehen. Wie verkrustet ist der deutsche Konzertbetrieb eigentlich? Wie lange wollen wir uns noch Konzertmanager leisten, denen sonst nicht viel mehr einfällt, als alte Dirigenten an das Pult zu schleppen, weil ihre Namen häufiger gefallen sind als andere? Nein, Vittoria Quartararo, Blake Weston und Yoshiki Matsuura haben sich erst gar nicht mit ihrer überbordenden Fantasie bei den großen Bühnen beworben, sondern eigene Aufführungsorte gesucht, von denen sie sich vorstellen konnten, dass ihre neuen Ideen dort funktionieren könnten: Ein Küchen-Loft, eine Kirche und eine ehemalige Fabrikhalle. Dort haben sie während vier Aufführungen ein Stammpublikum aufgebaut, das am letzten Abend jeden zur Verfügung stehenden Stuhl besetzt. Nein, man muss gar nicht übertreiben. Manche Idee hat nicht funktioniert. Der theoretische Überbau war mitunter so kompliziert, dass man ihn in der Aufführung nicht wiederfand. Aber das Ensemble I Transiti hat sich bis Accanto von Aufführung zu Aufführung gesteigert.

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Der Titel des vierten Auftritts ist schon wieder so vertrackt, dass man ihn als normaler Konzertbesucher nicht verstehen kann. Trip-tique findet wie schon Accanto in der Rufffactory in Köln statt. Die Gefühle sind gemischt. Accanto war spektakulär. Kann eine Folgeveranstaltung noch besser werden? Wohl kaum. Die Zweifel wiegen schwer. Und sie nehmen zu, als der Bühnenaufbau von Jan Patrick Brandt sich heute recht gewöhnlich gestaltet. Die Bühne ist der Länge der Halle nach aufgebaut. Eine Schaukel, die Klarinette, der Flügel, eine Sitzbank, eine weitere Schaukel schließt die Bühne nach hinten ab. Davor sind die Stühle aufgestellt, hinter ihnen ist die Technik aufgebaut. Vier Lautsprecher umfassen das Bühnenareal.

Selbst die Kostüme sind eher konventionell. Erst auf den näheren Blick zeigt sich, dass die schwarzen Anzüge und die weißen Hemden maßgeschneidert sind. Weiße Turnschuhe sind bei Orchestern auch keine Neuheit mehr. Wie wollen die Musiker mit solchen Rahmenbedingungen das Niveau halten? Nun, indem sie theatraler werden. Und so starten die drei mit einer Aufführung des Stückes Come and Go von Samuel Beckett aus dem Jahr 1965, das bis heute als eines seiner wichtigsten gilt und hohe Ansprüche an die Rhythmus-Fähigkeiten der Darsteller stellt. Wunderbar, wie das hier bis in die Mimik durchinszeniert ist, so dass es durchaus zum Schmunzeln einlädt, auch ohne des Englischen mächtig zu sein. Nahtlos geht es über in ein selbstverfasstes Wohin?! des Ensembles, das sich anschließend ausgiebig mit dem improvisationsfreudigen Stück Letter Pieces #8: Sit up, Stand down von Matthew Shlomowitz befasst. Das Werk ist in Buchstaben notiert und soll dazu dienen, die Persönlichkeit des einzelnen aufzulösen und mit den anderen zu verweben. Muss man nicht verstehen. Quartararo, Weston und Matsuura entwickeln daraus so eine Art Selbstfindungstrip, der zunächst in der eigenen Sprache beginnt, um dann in nachdenklichen, deutsch gesprochenen Sätzen zu enden, nachdem sie die ihnen eigenen Instrumente vertauscht haben.

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Die theatrale Darstellung bricht auch im nachfolgenden Teil nicht ab, wenn jeder zu seinem Instrument zurückkehrt, um ein Werk aufzuführen, das den eigenen Fähigkeiten doch wieder näherkommt. Den Anfang übernimmt Matsuura mit dem Stück Single Notes, Combined for seven trombones or solo trombone with soundtrack, das Yasutaki Inamori 2020 für ihn komponierte. Hier wie im nachfolgenden Stück läuft Lucia Kilger zur Höchstform auf, wenn sie die elektronischen Einspielungen perfekt platziert. Denn beide Stücke, sowohl das von Matsuura interpretierte, als auch Steve Reichs New York Counterpoint , bei dem elf Klarinettenstimmen repetitiv vom Band erklingen und pro Stimme jeweils einen einzigen Ton verändern, sind recht komplex und verlangen auch von Blake Weston hohe Konzentration. Dabei scheint gar nicht mal die Spieltechnik die größte Herausforderung, sondern das richtige Timing zu hören. Auch bei Legerdemain von Yannis Kyriakides bestimmt die elektronische Einspielung das Spiel, diesmal von Vittoria Quartararo am Klavier.

Neue Musik ein Hörgenuss? Die drei beweisen, dass es geht. Selten hat man ein Publikum, ungeachtet der Hitze in der Halle, so gebannt hören gesehen. Mit einem Knalleffekt beenden die Musiker die viel zu kurzen anderthalb Stunden. Sie setzen sich auf die Schaukeln, bringen diese so richtig in Schwung und singen dazu Idumea, ein Chorstück von Ananias Davisson und Charles Wesley aus dem Jahr 1816. Da spürt man, wie zwischen den Schweißperlen die Gänsehaut über den Rücken kriecht.

Sie haben es also geschafft. Sie haben das Niveau gehalten. Das bestätigt das Publikum ausdrücklich. Und sie haben ihre eigenen Ansprüche in vier Aufführungen eingelöst. Die Reihe gelangt damit zu einem glücklichen Ende. Und so wird ein Experiment vorzeitig beendet, das zeigt, dass man Konzerte sehr wohl anders als in den bekannten Formen aufführen kann, indem man die Musik noch bereichert? Nicht ganz. I Transiti haben versprochen weiterzumachen. Aber jetzt geht es erst mal in den wohlverdienten Urlaub.

Michael S. Zerban