Kulturmagazin mit Charakter

Aktuelle Aufführungen
SOMMERFEST 2025
(Diverse Künstler)
Besuch am
2. August 2025
(Einmalige Aufführung)
Es ist ein ganz normaler Sommertag im Ruhrgebiet. Und das bedeutet 19 Grad und Regen. Nach Essen fährt man an diesem Wochenende besser nicht. Auf der Autobahn ist die Fahrt bei der Ausfahrt Rüttenscheid wegen einer Vollsperrung beendet. Die Ampelschaltung wird der Situation nicht angepasst, also wird die Alfredstraße zum Parkplatz. Es ist eine Frage der Zeit, bis sich bei der Verkehrsführung ein Unfall ereignet. Und schon sind die Blaulichter zu sehen, da wird es dann auch noch einspurig. Die Straße entlang des Aalto-Theaters erweist sich als Irrweg, denn die Stadt hat auch noch schnell den Tunnel zur Porschekanzel gesperrt. Und die ausgeschilderte Umleitung endet im Nichts. Da hat sich die gute Laune am Viehofer Platz, an dem man wider Erwarten doch noch irgendwie ankommt, erst mal vollständig verflüchtigt.
An dem Verkehrsknotenpunkt liegt das Rabbit-Hole-Theater, das auch in diesem Jahr wieder sein Sommerfest veranstaltet. Es begann bereits am Vortag – mit starken Regengüssen, wie Dominik Hertrich, neben Christian Freund und Jens Dornheim Mitinhaber des kleinen Theaters, erzählt. Bei der verspäteten Ankunft hört man von außen noch den Auftritt von Frollein und Karim the Dream, der Versuch, in das Theater zu kommen, scheitert, weil der Raum wirklich bis auf den letzten Zentimeter gefüllt ist. Das ist nur begrenzt zu bedauern, kommt man so doch schon mal in den Genuss einer ersten Festival-Bratwurst, die von hervorragender Qualität ist, und hat einen Platz in der ersten Reihe, als sich der Außenauftritt von Lisa Birnkott anschließt. Aus einem Treppenhaus heraus mit der Außenwelt via Mikrofon verbunden, deklamiert die in Leverkusen geborene, heute in Köln lebende Schauspielerin einen Frauenmonolog von William Shakespeare auf Deutsch. Es ist der erste Teil ihres Auftritts, wie sich später herausstellen wird.

Lisa Birnkott – Foto © Michael Zerban
Schon geht es mit Musik weiter. Das Festivalteam hat die Zügel gestrafft, und so werden die Längen, die im vergangenen Jahr durch die Umbaupausen entstanden, so weit ausgemerzt, dass keine Langeweile aufkommt. MZR ist eine Band aus Bochum, deren Kürzel für Mut zum Runterbrechen steht und die sich „Acoustic Pop Folk“ auf ihre Fahnen geschrieben hat. Frontfrau Marina Mucha, Kommilitonin der Theaterbetreiber, die neben dem Gesang gern mal zur Mundharmonika oder einem Waschbrett greift, ermuntert das Publikum, es bloß nicht beim Zuhören zu belassen. Tanzen, Mitsingen, Klatschen, alles ist erlaubt, was gefällt, Hauptsache, die Stimmung kommt schnell zum Siedepunkt. Im Hintergrund haben sich Gitarrist Steve Sedgwick, Jan Dreyer mit Banjo und Glockenspiel sowie Michael Bergmann am Bass aufgestellt. Simone Heiser steht mit ihrer Ukulele – oft im doppelten Wortsinn – im Mittelpunkt, und Janita Mucha besorgt die Percussions. Nach White Rabbit und Love hat Sedgwick mit Steven’s Song einen Solo-Auftritt. Lazy Cat ist das erste selbstkomponierte Lied, verrät Marina Mucha, und mit Barfuß gibt es auch deutschsprachiges Selbstgemachtes. Die eingängige Musik, bei der alle Bandmitglieder mitsingen, sorgt auch bei Seasons, Maybe, Another Town und You Better Run für beste Laune beim Publikum. Mit der Zugabe Peter No gerät dann das Publikum endgültig aus dem Häuschen. Der arme Peter ist ein Werwolf aus der Gegend von Köln, und das Lied, das noch gar nicht fertig ist, lebt von den Geräuschen, die die Besucher einbringen. Da gibt es Tierklänge, Entsetzensschreie und Wehklagen. Ein wahrhaft sommerlich-frisches Programm, das bei den Besuchern größten Anklang findet.

Svea Menne – Foto © Michael Zerban
Bei freiem Eintritt darf ein jeder selbst entscheiden, welchen Auftritt er sich anschaut und wie lange er bleibt. Aber wer einmal da ist, hat auch keine Lust mehr zu gehen. Das gilt im Übrigen auch für die Künstler, die nach ihrem Auftritt gern bleiben. Als nächster tritt ein alter Bekannter auf. Liedermacher Tobias Sicken verzückte im vergangenen Jahr mit Stücken seines Albums Wollen ist Leben auch ohne Kriegen an E-Piano und Gitarre. Jetzt verzichtet er kurzerhand auf das elektrische Klavier und trägt seine deutschsprachigen Texte von eigenen Befindlichkeiten, von Träumen, die leider in Erfüllung gingen, und von der Liebe, die immer wieder unverstanden scheitert, ausschließlich zur Gitarrenbegleitung vor. So pur ist das ein schöner Kontrast zu den gehaltvollen Klängen von MZR. Es bleibt gerade Zeit für ausgiebigen Applaus, dann erklingt erneut die Stimme von Birnkott. Die hat sich hinter der Bar aufgestellt, mit ein paar Gästen umgeben, denen sie rauchenden Wein serviert, und reicht in fahlem Licht den nächsten Monolog herüber.
Nach der nächsten Pause bleibt es poetisch-ernst, wenn Birnkott und Svea Menne von Hart-Kollektiv ihre Auftritte verquicken. Die Shakespeare-Interpretin lässt es mit Lavinia aus Titus Andronicus jetzt blutrünstig angehen. Schließlich werden der nach 407 Wörtern erst die Hände abgehackt und dann die Zunge herausgeschnitten. Damit wird das entsetzliche Leid sichtbar, ohne Chance darauf, sich zu äußern. Eher angedeutete Blutflecken verfehlen ihre Wirkung nicht. Und damit wird der dreiteilige Auftritt, der sich so dramaturgisch geschickt auf den Nachmittag verteilt, vollends zum Erfolg, an den Menne nahtlos anknüpft. Wenn ich gewusst hätte nennt die studierte Theatertherapeutin ihren Monolog, den sie selbst als „ein romantisches Selbstverhör im Kosmos diffuser Gefühle“ bezeichnet. Mit dem Text ihrer Kollektivpartnerin Cora-Miró Fiedler vermag die Darstellerin das Publikum rasch in ihren Bann zu ziehen. Auf dem Boden in der Mitte der Bühne eine Kerze und ein Blumengebinde. Daneben ein Tisch. Zwei Mikrofone. Das reicht für den eindringlichen Auftritt. „Wenn ich gewusst hätte, Alice, wie hart dein Blick sein kann, im Gegenlicht, wenn niemand hinsieht“. So beginnt die Nachrede auf die Verstorbene zu den Instrumentalklängen von Nothing Else Matters von Apocalyptica, die schließlich, nachdem die Blumen herausgetragen sind, in das „Selbstverhör“ am Tisch in Handfesseln mündet. Nach einer kurzen Einleitung singt Menne Take Me to Church von Hozier, ein Text, der Sex als Kirche verherrlicht. Wenig hoffnungsfroh, aber dem intensiven Vortrag die Krone aufsetzend, lässt der Text alles offen. „Ich habe nicht die Wahl. Ich kann nicht entscheiden, wer ich bin. Ich bin. Schuld?“ Menne kann auf ganzer Linie überzeugen und wird zu Recht vom Publikum gefeiert.

Pascal Touzeau und Thomas Huy – Foto © Michael Zerban
Mit Silent Talks – Sound of Voice in Movement beweist das Rabbit-Hole-Theater einmal mehr seinen Mut und Willen zur künstlerischen Vielfalt. Pascal Touzeau hat als Balletttänzer eine große Karriere zurückgelegt, ehe er als Choreograf und unter anderem als Ballettdirektor am Staatstheater Mainz bekannt wurde. In Düsseldorf hat er in jüngerer Zeit eine eigene Companie in der so genannten Freien Szene aufgebaut. Zu der gehört auch Opernsänger Thomas Huy, der bei den Choreografien häufig mystische Personen mit sängerischen Aufgaben mimt. Nun treten die beiden als Duett auf. Was zu diesem Zeitpunkt noch keiner der Gäste weiß: Als Tänzer stand Touzeau seit 20 Jahren nicht mehr auf der Bühne. Jetzt betritt er, in einen schwarzen Pelz verhüllt, die bis auf einen Barhocker leere Bühne. Weil das Licht zu diesem Zeitpunkt nur von hinten leuchtet, geht dabei fast der Clou unter. Als Touzeau nämlich den Rest einer Folie, die für die Scheinwerfer bestimmt ist, entdeckt, verwendet er sie kurzerhand als Maske. Während er auf dem Hocker lehnt, ertönt aus dem Hintergrund die Stimme Huys, die einen Text aus Der Himmel über Berlin zitiert, der im Verlauf des Stücks immer wieder wiederholt wird. Von Huy und Dorian Eikenberg komponierte Musik untermalt den Text. Huy betritt die Bühne, um Der König von Thule von Carl Friedrich Zelter zu singen.
Dann wechseln Musik und Stimmung. Klug gewählt, weil vertrautes Gefühl vermittelnd, erklingt Maurice Ravels Bolero. Auch wenn Touzeau schon aus Platzgründen hier auf große Figuren verzichtet, wird doch mit jeder Bewegung die athletische Kraft und Anmut des Balletttänzers sichtbar. Inzwischen hat er den Pelz abgelegt. Darunter kommen ein bodenlanger Rock und ein Pailletten-Oberteil zum Vorschein, ein Kostüm, das die schwüle Erotik des Boleros unterstreicht. Huy beschränkt sich nun auf Vokalisen. Die Kommunikation der beiden, die sich in Distanz oder – beängstigender – Nähe ausdrückt, ist fesselnd. Es ist unglaublich, wie es den beiden gelingt, eine dichte Atmosphäre aufzubauen, die sich wie eine Zwischensphäre auf der Bühne zu materialisieren scheint. Mit einer letzten Wiederholung des Eingangstextes, die in einem Aufschrei endet, kann sich endlich auch der tobende Applaus entladen.
Überraschend, vielfältig, hier und da gar ein wenig bizarr: Den Festivalmachern und ihren Helfern ist auch in diesem Jahr ein rundum überzeugendes Fest gelungen, das jedem Anspruch genügt. Und zeigt, dass Kultur auch ohne Millionen-Etat und Theaterpalast faszinieren kann. Der Abend geht mit einem Auftritt von Boi Juno und seiner Band zu Ende, ehe es dann am 3. August noch einmal volles Programm gibt.
Michael S. Zerban