Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
FUTURE FORTUNE
(Dragana Butul)
Besuch am
26. Februar 2022
(Premiere am 25. Februar 2022)
Früher hätte ein Artikel in dieser Situation mit dem Satz begonnen: Die Welt hält den Atem an. Das war zu einer Zeit, als Reporter aus Krisengebieten berichteten und sich nicht an die Grenzen dieser Gebiete zurückzogen, um eine Pseudoberichterstattung zu bieten. Heute überschwemmen die Menschen die so genannten Sozialen Netzwerke mit Fahnen und Friedenstauben, stürmen die Straßen, um ihre Solidarität mit einem Land zu verkünden, gegen das ein Terrorist den Krieg erklärt hat. Eine Solidarität, die von der eigenen Regierung ad absurdum geführt wird, indem sie dieselbe Solidarität verkündet und über Wirtschaftssanktionen diskutiert, anstatt den Hilfeersuchen der Angegriffenen zu entsprechen. Wladimir Putin, der Machthaber, der inzwischen auf der Weltbühne links liegen gelassen wurde, will seinem angekratzten Ego Balsam geben und überfällt das „Brudervolk“ in der Ukraine. Eine kleine, billige Rache, mit der lange niemand gerechnet hat. Die niemand wahrhaben wollte. Jetzt lässt er seine Truppen auf Kiew marschieren. Bis Mittwochabend dieser Woche galt: Nie wieder Krieg in Europa. Am nächsten Morgen war klar, dass dieser Satz nicht mehr als Hoffnung war. Und jede Prognose hinfällig werden ließ.
Die Prognose, der ungefähre Blick in die Zukunft, ist auch Thema bei PACT Zeche Zollverein. Hier tritt die Choreografin Dragana Bulut mit ihrem neuen Stück Future Fortune auf. Dabei beruft sie sich auf die Geschichte Rossum’s Universal Robots von Karel Čapek aus dem Jahr 1920. Auf einer Fabrikinsel werden Roboter hergestellt, die dank der Unternehmertochter Helena eine Seele bekommen, den Aufstand wagen und die Menschheit scheinbar besiegen. Drei Wochen ist es her, dass Gamut Inc ihre Oper R.U.R. – Rossum’s Universal Robots mit großem Erfolg in Köln vorstellten, in der sie sich Gedanken dazu machten, wie es nach dem Aufstand der Roboter weiterging. Bulut will die Geschichte nicht nacherzählen, sondern auf ihr beruhend erklären, woher der Roboter auf der Bühne kommt. Vorerst muss er in der Ecke der Bühne warten, die von Lichttafeln eingegrenzt, ansonsten leer ist und als Accessoires mit zwei Stühlen auskommt. Dragana Bulut und Caroline Neill Alexander begrüßen das Publikum auf Englisch – so war es im Vorfeld angekündigt, auch wenn sich die Notwendigkeit nicht so recht erschließt – zu einer Probe, bei der die Meinung des Publikums gefragt sei. Der Roboter namens Pepper rollt zwischen die beiden und erklärt, dass er nicht den Roboter spielen, sondern als Roboter eine menschliche Rolle übernehmen wolle. Ein niedlicher Roboter, der klein, aus weißem Plastik und auf Rollen daherkommt, der eher in die Vergangenheit als in die Zukunft weist. Schließlich ist er in Form und „Physiologie“ gefühlte 20 Jahre alt.
Foto © Dorothea Tuch
Sein erster Auftritt endet in technischem Versagen. Und es bedarf sehr wohl menschlicher Hilfe in Form des Technikers Joseph Wegmann, ihn wieder flott zu bekommen. Das Grundanliegen von Bulut bleibt immer ein wenig im Hintergrund, nämlich die Zukunft nach der Notwendigkeit zu befragen, auf der Vergangenheit zu fußen. Immer wieder wird das Publikum nach dem Fortgang des Geschehens befragt. Zwischendurch bekommt eine alte Frau auf dem Tablet, das der Roboter auf der Brust trägt, Gelegenheit, nach der Vergangenheit zu fragen, um die Überlegungen für die Zukunft neu zu bewerten. Das führt wie andere Gelegenheiten zu Tanzeinlagen von Bulut und Alexander, die nach der ersten Choreografie nicht großartig überzeugen. Allmählich driftet das Geschehen in eine Spielshow ab, die musikalische Untermalung verweist auf ein bekanntes Ratespiel bei einem deutschen Privatfernsehsender. Klar, dass der Roboter das Quiz gewinnt. Will man dem Abend einen spielerischen Zugang zum Thema zugutehalten, erlahmt es doch immer wieder daran, Entscheidungen seitens des Publikums einzufordern. Wobei an diesem Abend hinzukommen mag, dass die Zuschauer vermutlich gedanklich viel eher in der Ukraine als in Essen sind. Darauf hätte man eingehen können, aber das hätte vermutlich mehr geistige Flexibilität vorausgesetzt. Mäßiger Beifall beendet das zeitlich überzogene Geschehen schließlich.
Und dann gibt es am Abend doch noch eine gute Nachricht. Die Bundesregierung beendet ihr albernes Taktieren mit Sanktionen endlich und gibt bekannt, dass Waffen zur Selbstverteidigung in die Ukraine geliefert werden. Prognosen lässt auch diese Entscheidung nicht zu. Solange ein Irrer den Weltfrieden gefährdet, brauchen wir über Roboter und Zukunft nicht nachzudenken. Bulut ist mit ihrem Stück in die Mühlen der historischen Ereignisse geraten. Ob ihr Werk zu einem anderen Zeitpunkt besser funktioniert hätte, bleibt dahingestellt.
Michael S. Zerban