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Aktuelle Aufführungen

Hypnotische Scheiben

R.U.R. – ROSSUM’S UNIVERSAL ROBOTS
(Marion Wörle, Maciej Śledziecki)

Besuch am
5. Februar 2022
(Premiere)

 

Gamut Inc in der Comedia, Köln

Roboter in der Oper? Nicht auch das noch. Gerade haben wir doch wieder so viele schöne Aufführungen von Hänsel und Gretel gesehen. Muss das wirklich sein, so ein neumodischer Schnickschnack? Gamut Inc zeigen, dass es nicht sein muss, aber geht. Garmut Inc sind die Computermusikerin Marion Wörle und der Komponist Maciej Śledziecki, die projektbezogen weitere Künstler hinzuziehen. Bei R.U.R. – Rossum’s Universal Robots beispielsweise haben sie Frank Witzel mit dem Libretto beauftragt. Der befasste sich nicht mit antiken Mythen, sondern bereitete ein Theaterstück für das Musiktheater auf, das am 2. Januar 1921 in Prag uraufgeführt wurde. Karel Čapek erzählte damals die Geschichte der Firma Rossum’s Universal Robots, die Roboter auf einer Fabrikinsel herstellte. Helena, die Tochter des Fabrikbesitzers Rossum, pflanzt ihnen heimlich eine Seele ein, in der Folge kommt es zum Aufstand der Roboter, der die gesamte Menschheit bis auf einen einzigen Mann vernichtet. Alquist wird noch gebraucht, um die zur Reproduktion der Roboter notwendige Formel zu rekonstruieren, die bei dem Aufstand verlorenging.

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Bereits 1977 komponierte Zdeněk Blažek nach dieser Vorlage eine Oper, zu der er auch das Libretto schrieb. 2004 wurde sie von Jan Jirásek uraufgeführt, um danach vermutlich den Weg der meisten zeitgenössischen Opern zu gehen. Sie verschwand in der Schublade. Das könnte sich jetzt ändern. Denn Witzel interessiert sich weniger für die technischen Aspekte, sondern für den Schöpfungsgedanken. Damit bietet er durchaus Diskussionsstoff über den Tag hinaus. Die Handlung setzt bei ihm nach dem erfolgreichen Aufstand ein. Alquist wird bei seinem täglichen Arbeitsablauf gezeigt, während er immer tiefer in den Dialog mit dem Roboter Primus gerät, der ihm nicht abnimmt, dass die Reproduktion der Geschöpfe, die immerhin der Mensch geschaffen hat, auf Dauer nicht funktionieren wird. Daran schließen sich Fragen an. Darf der Mensch Geschöpfe kreieren und sich dabei gottgleich gerieren? Wenn es dem Menschen – ebenfalls gottgleich – nicht gelingt, seine Geschöpfe zu kontrollieren und das Gute zu bewahren, wie soll es dann den Robotern gelingen, die ohnehin für eine ganz andere Aufgabe entwickelt wurden? Sollten sie doch die niederen Arbeiten verrichten, um die Menschen zu entlasten. Dementsprechend erfand Jósef Čapek, Karels Bruder, den Begriff Roboter, abgeleitet vom westslawischen robota, was so viel wie Maloche oder Fronarbeit bedeutet.

Für die Bühne versicherten sich Gamut Inc der Mitarbeit von Nina Rhode. Sie hat eine Auswahl ihrer künstlerischen Arbeiten „mit stroboskopierenden Scheiben zu einer mobilen hypnotischen Maschine“ entwickelt, wie im überaus lobenswerten Programmheft vermerkt ist. Diese Scheiben stehen zu Beginn in der Mitte der Bühne. Rechts davon ist ein Arbeitsplatz für Alquist eingerichtet. Der Hintergrund bietet Platz für eindrucksvolle Projektionen, über die gleich zu berichten sein wird. Warum der Auftakt missrät, zeigt sich, wenn die Protagonisten hinter den Scheiben hervortreten und sich auf beide Bühnenhälften verteilen. Für die Besucher, die auf der linken Seite sitzen, sind nämlich die Akteure auf der rechten Seite nicht sichtbar. Aber der Fauxpas wird alsbald aufgelöst, wenn die Scheiben immer wieder neu im Raum angeordnet werden. Dann werden auch die schönen Kostüme von Clara Franke und Carla Szerbinski sichtbar, die Alquist in lässiger Anzugkombination zeigen, Primus ganz in schwarz mit weißen Stiefeln und schwarzen Lederhandschuhen als Roboter herumstolzieren, Helena mit ihrer Nähe zu den Robotern in ähnlicher Kleidung meist herumstehen lassen und den Tänzer zwischen den Welten in einen Ganzkörperanzug, der auch das Gesicht verdeckt und mit Accessoires verziert ist, stecken.

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Georg A. Bochow spielt den Roboter Primus mit ruckhaften Bewegungen überzeugend, die Stimme des Countertenors ist mitunter gewöhnungsbedürftig, erweckt aber den Eindruck, hier eine Glanzleistung zu vollbringen. Ein wenig ihr Licht unter den Scheffel stellen muss Sopranistin Gina May Walter ihren Gesang. Obwohl sie sowohl einen Roboter als auch Helena darzustellen hat, bleibt ihre Rolle eher gering. Was von ihr zu sehen ist, überzeugt auf voller Linie inklusive Tanzeinlage, bei der sie Ruben Reniers zu imitieren hat. Der darf als Wanderer zwischen den Welten seine stumme Rolle als Tänzer im Gegensatz zu Walter voll ausleben und seine Fähigkeiten zeigen. Da gibt es viele Figuren zu sehen, die beeindrucken. Patrick Schott ist Alquist und bekommt damit eine Sprecherrolle. Sein hervorragender Auftritt unterstreicht den hervorragenden Gesamteindruck des Abends. Sein Text ist anspruchsvoll, rollt aber fehlerfrei und in überzeugender Intonation ab.

Die Computermusik kommt von der Festplatte und ist insofern für Neuinterpretationen in der Zukunft nur begrenzt zugänglich. Aber der geniale Einfall zur Projektion wird dafür sorgen, dass die erste Opernproduktion von Gamut Inc mehr als zwei Mal eingeladen werden wird. Denn die beiden Musiker haben gemeinsam mit dem RIAS-Kammerchor unter der musikalischen Leitung von Ralf Sochaczewsky Chorstücke aufgenommen, die den Abend maßgeblich mitgestalten. Da beeindrucken die Filmaufnahmen von Anne Luft, Anja Simon und Robert Staffl ebenso wie die ausgewogene Akustik, für die Olivia Oyama und Robert Nacken in Zusammenarbeit mit Florian Schmidt beim Kammerchor sorgen.

Marion Wörle und Maciej Śledziecki zeigen an diesem Abend, dass sich Oper sehr wohl und zeitgemäß weiterentwickeln kann. Das Publikum im engbesetzten Saal der Comedia in Köln feiert zu Recht nicht nur die Darsteller, sondern auch ein Team, das mit vergleichsweise geringen Mitteln die Oper der Zukunft feiert.

Michael S. Zerban