O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Viel Schmelz am Sommerabend

MUSIK IM MAUTZ
(Diverse Komponisten)

Besuch am
14. September 2020
(Einmalige Aufführung)

 

Düsseldorf Lyric Opera, Café Mautz

Es ist ein guter Tag. Der Sommer ist noch einmal nach Düsseldorf zurückkehrt, pünktlich zum zweiten Freiluftkonzert der Düsseldorf Lyric Opera. Der Erfolg des ersten Konzerts auf der Terrasse des Café Mautz im Salzmannbau – O-Ton hat berichtet – scheint sich herumgesprochen zu haben. Gefühlt hat sich das Publikum mal eben verdoppelt. Die Stühle aus dem Café sind alle auf die Terrasse getragen. Trotzdem sitzt das Publikum noch auf Bordsteinen. Vom gastronomischen Erfolg darf so mancher Wirt dieser Tage träumen. Man fühlt sich so ein bisschen wie in einer anderen, einer früheren Welt.

Die Befürchtung, eine Neuauflage des Konzerts vom vergangenen Monat zu erleben, zerstiebt binnen Sekunden. Alles ist ein bisschen anders. Und wer jetzt noch mit der Künstlerischen Leiterin der Düsseldorf Lyric Opera, Julia Coulmas, mitzittert, darf entspannen. Silvia-Rose ist seit dem 9. September um 20.20 Uhr auf der Welt. Damit fällt Coulmas als Moderatorin des heutigen Abends aus. Was nicht heißt, dass sie der Veranstaltung fernbleibt. Schließlich sind ja schon fünf Tage seit der Geburt vergangen. Und da wird es Zeit, das „jüngste Mitglied der DLO“ hier vorzustellen. Wunderbar zu sehen, dass Mutter, Tochter und Vater Thomek wohlauf und sehr entspannt sind.

Monika Rydz und Paulina Schulenburg – Foto © O-Ton

Also muss jemand anders die Moderation übernehmen. Ein Herr im besten Alter ergreift das Mikrofon und begeht den Fehler, der so vielen Menschen auf dieser Welt unterläuft. Er begrüßt das Publikum, ohne sich vorzustellen. Nein, man erkennt nicht sofort jemanden, der die Bühne betritt. Und schon gar nicht, wenn man ihn überhaupt nicht kennt. Ein Fehler, der Oberbürgermeistern, Abendspielleitern und selbst Intendanten unterläuft. Der Mann belässt es bei der Begrüßung, und so kann man ihn getrost vergessen. Ein besonderes Lob hingegen gilt Ranjit Dykhoff, der auch dieses Mal wieder für einen reibungslosen technischen Ablauf sorgt.

Steter Gast ist Bass-Bariton Thomas Huy, eine tragende Säule der Düsseldorf Lyric Opera. Er eröffnet den Abend mit der Operettenmelodie Als Büblein klein an der Mutterbrust aus den Lustigen Weibern von Windsor. „Haltet Euch bereit, macht die Kehle weit“ hört ein jeder Wirt gern auf der Bühne seines Gasthauses. Solch ein Trinklied kommt auch bei den Zuhörern gut an. Und Huy gelingt es ohne Schwierigkeiten mit geschmeidiger Stimme, das Publikum adhoc zu gewinnen. Darstellerisch würde man sich dieselbe Geschmeidigkeit wünschen. Aber es gibt ja immer Luft nach oben.

Bis heute ist ihre Alcina unvergessen. Als sie über eine schiefe Ebene turnte und dabei in Vollendung sang, als bewege sie sich nicht, eine Idee der Regisseurin Sabine Hartmannshenn, die unverwirklichbar erschien. Da sagte man ihr eine große Karriere voraus, ungeachtet der Allüren, die sie schon an der Robert-Schumann-Hochschule zeigte. Schmal ist sie geworden, die Monika Rydz, die jetzt im Duett mit Paulina Schulenburg mit einem Klassiker auftritt. Aber ihre Stimme hat nichts von dem silberhellen Klang verloren, mit dem sie schon an der Hochschule beeindruckte. Allenfalls ein wenig irritierend, dass Schulenburg und sie einen Klavierauszug benötigen, um Bruder, komm tanz mit mir aus Hänsel und Gretel zu intonieren, ein Standard für jeden lyrischen Sopran. Da hätte man sich schon ein bisschen mehr Bühne anstatt des starren Blicks in die Partitur gewünscht. Schulenburg versucht, im Duett auch einen körperlichen Dialog herzustellen, aber es bleibt beim Versuch.

Rydz gleicht mit einem weiteren Opernschlager aus. O mio babbino caro aus der einaktigen Oper Gianni Schicchi von Giacomo Puccini kann gar nicht tragisch-ironisch genug vorgetragen werden und wird auch in vielen Jahren noch das Publikum begeistern, wenn die Arie nur eindrücklich genug gesungen wird. Auch Rydz ist hier über jeden Zweifel erhaben. Zuvor räumen Livia Brash mit der Arie Come scoglio aus Wolfgang Amadeus Mozarts Così fan tutte und Philippa Thomas mit Que fais-tu, Blanche Tourterelle aus der Oper Roméo et Juliette von Charles Gounod ordentlich ab.

Meghan Behiel und Michael Carleton – Foto © O-Ton

Ehe es in die Pause geht, lassen sich Meghan Behiel und Michael Carleton, die im Übrigen wechselweise die Sänger am Piano begleiten, auf den vierhändig zu spielenden Ungarischen Tanz Nummer fünf von Johannes Brahms ein. Mit einem E-Piano kann man hier nur versuchen, die Begeisterung über die Bekanntheit des Stücks zu erreichen, trotzdem zeigen Behiel und Carleton viel Virtuosität. Carleton lässt es sich auch in dieser Pause nicht nehmen, gemeinsam mit Luis Pallarolas am Saxofon das Publikum mit ein wenig Instrumentalmusik zu verwöhnen. Pallarolas wechselt in der musikalischen Begleitung der Sänger heute gern zwischen Saxofon und Querflöte.

In der zweiten Hälfte hagelt es weitere Opernschlager. Mit dem nötigen Feuer trägt Schulenburg die Seguidilla aus George Bizets Carmen vor, und Brash glänzt mit dem Puccini-Klassiker Mi chiamano Mimì aus La bohème. Sehr viel ernster noch wird es bei Huy, wenn er sehr gekonnt Vous qui faites l’endormie, die Arie des Mephistoles aus dem vierten Akt von Charles Gounods Faust singt. Was den Zuhörern an diesem Abend besonders gefällt, sind die kurzen Anmoderationen, die entweder Carleton oder die Sänger selbst ihren Stücken voranstellen. Besonderes Entzücken bereitet dabei die englischsprachige Thomas, die ihre deutschen Texte vom Blatt abliest. Was sich bei früh hereinbrechender Dunkelheit besonders bei ihrem zweiten Auftritt als wahres Kunststück erweist. Aber nicht nur das gelingt ihr, sondern auch der Vortrag der Arie Mon cœur s’ouvre a ta voix aus Camille Saint-Saëns‘ Samson et Dalila wird zu einem Ohrenschmaus. Ein weiteres Bonbon versüßt das nahende Ende des Abends. Rydz und Schulenburg lassen das Publikum bei der Barcarole Belle nuit, ô nuit d’amour aus Hoffmanns Erzählungen von Jacques Offenbach dahinschmelzen. Schöne Nacht, oh, Nacht der Liebe – das nimmt man den beiden in vollendeter Abstimmung gerne ab.

In Ermangelung ihres Ehemannes, mit dem Thomas das Duett sonst singt, springt Huy ein, um die Lippen schweigen zu lassen. Sehr zur Freude der Zuhörer, die in Operettenseligkeit schwelgen dürfen. Ganz besonderes Engagement zeigt Frank Schnitzler. Der Tenor schwingt sich nach seiner Probe in der Deutschen Oper am Rhein auf sein Fahrrad und versucht, einen neuen Rekord auf dem Weg von der Innenstadt zur Himmelgeisterstraße aufzustellen, um hier noch auftreten zu können. Befreit singt er den neapolitanischen Gassenhauer Core ‘ngrato aus dem Jahr 1911, vielen besser bekannt als Catarì, Catarì. Und mit seinem You’ll never walk alone endet dann nach rund zwei Stunden endgültig der sängerische Teil dieses wunderbaren Spätsommertages. Daran können auch die vielen Zugabe-Rufe nichts mehr ändern. Die vielfache Nachfrage des enthusiasmierten Publikums nach einem weiteren Termin muss an diesem Abend noch offenbleiben. Es könnte aber sein, dass im Oktober ein drittes Konzert am Café Mautz folgt. Zu wünschen wäre es allemal.

Michael S. Zerban