O-Ton

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MUSIK IM MAUTZ
(Diverse Komponisten)

Besuch am
10. August 2020
(Einmalige Aufführung)

 

Düsseldorf Lyric Opera, Café Mautz, Düsseldorf

Man hat sich zwischendurch mal geschrieben. Geht ja nicht nur um Künstler und Journalisten, sondern auch um Menschen. Julia Coulmas, die Künstlerische Leiterin der Düsseldorf Lyric Opera, hat voller Freude von ihrer Schwangerschaft berichtet. Glückwünsche folgten. Und haben offenbar gewirkt. Nach einem halben Jahr meldet sich die Truppe zurück. Vorher ging nicht, weil Auftritte im Bürgerhaus des Salzmannbaus in Düsseldorf nicht möglich waren. Jetzt hat sich das Café Mautz zwei Häuser weiter bereit erklärt, eine Freiluftveranstaltung zu unterstützen. Die Bedingungen scheinen angesichts der geltenden Virus-Regelungen ideal. Der Innenhof im Salzmannbau ist groß genug, um eine großzügige Terrasse für viele Gäste aufzubauen. Zwischen dem schmiedeeisernen Zaun, der das Grundstück nach vorne abgrenzt und dem Bau, in dem sich das Café befindet, liegt ein breiter Rasenstreifen, auf dem man die „Bühne“ aufbauen kann. Unter einem Zeltdach sind zwei Mikrofone und Notenständer vorbereitet, rechts daneben ist Platz für die Technik, ein elektronisches Piano und die Rückzugsräume der Künstler. Gut, zum Umziehen muss man aufs Klo. Aber sonst ist irgendwie alles da. Nur eben ohne Mauern.

Ekaterina Somicheva – Foto © O-Ton

Coulmas ist ein wenig nervös. Mit der Schwangerschaft läuft alles prima, auch wenn sie froh ist, wenn im kommenden Monat das Kind da ist. Aber die Aufführung. Kaum etwas ist geplant, das Programm wird am selben Abend entwickelt, ist schließlich erst mal ein Experiment. Die Künstlergruppe will ausprobieren, was geht und was weniger. Wunderbar. Und die Nachbarn wissen davon nichts. Die besetzen alle Plätze auf der Terrasse. Da gibt es keinen freien Stuhl mehr. Und es gibt seltsam viele Großfamilien. Wen interessiert das? Alle fühlen sich mit ihren Abständen wohl und genießen die ganz leichte Brise, die den Innenhof statt angekündigter Hitzegewitter durchzieht. Wenn dich bei 35 °C auch nur ein Luftzug erreicht, erscheint das schon himmlisch. Die Stimmung ist gelöst, das Café hat vermutlich lange nicht mehr so viele Gäste gesehen, die auch gern und oft bestellen. Eine herrlich entspannte Atmosphäre, in der sich die wenigen Mitglieder der Düsseldorf Lyric Opera ausprobieren können. Schließlich geht Coulmas – vermutlich berechtigt – davon aus, dass es noch länger dauert, bis wieder „normale Zustände“ einkehren und Aufführungen im Bürgerhaus möglich werden. Und wenn man mal ganz ehrlich ist, darf man sich nach diesem Abend wünschen, dass noch viele dieser Freiluft-Auftritte notwendig sind. Hier wird einfach Kunst produziert, entspannt, mit unglaublich viel Freude, ohne jedes Schickimicki, aber vom Herzen her ehrlich und aufrichtig.

Zum Auftakt stimmen Michael Carleton am elektrischen Klavier und Luis Pallarolas am Saxofon mit dem Klassiker In the Mood von Glenn Miller ein. Den Anfang des Sängerreigens macht Coulmas selbst mit Can’t help lovin‘ that man. Das Lied, mit dem sie ihren Mann überzeugte, verrät sie. Ja, heute Abend ist alles ein bisschen familiärer. Beim Publikum kommt das gut an. Und alle rücken im übertragenen Sinne ein wenig enger zusammen. Carleton und Meghan Behiel leiten mit der vierhändigen Interpretation von The Arrival of the Queen of Sheba von Georg Friedrich Händel am Klavier zur klassischen Abteilung über. Ekaterina Somicheva puscht das Publikum mit La Pastorella delle Alpi von Gioachino Rossini, einen Walzer, den sie im Dirndl präsentiert. Aber auch das kann von ihrem wunderbaren lyrischen Sopran nicht ablenken. Thomas Huy ist der Shutdown sehr gut bekommen. Seine Stimme klingt gereifter, runder, was nach seinem Schweinezüchter noch nicht ganz zum Ausdruck kommt, wenn er in Ja, das Schreiben und das Lesen aus dem Zigeunerbaron von Johann Strauss Sohn die Sau rauslässt. Aber bevor er seine Verbesserungen so richtig zeigen kann, ist erst mal Julia Langeder dran, die das Publikum mit in Die lustige Witwe von Franz Lehár nimmt und Es lebt eine Vilja leichterdings unter das Volk bringt. Nein, es gibt kein neues Programm. Die Sänger verlassen sich nach dem Shutdown auf Altbewährtes. Und so ist keine große Überraschung, dass Tenor Frank Schnitzler den Evergreen Granada des unglücklichen Musikers Agustín Lara voller Inbrunst darbietet. Unglücklich deshalb, weil er den späteren Welthit für lediglich ganz kleines Entgelt an einen Verlag abtrat.

Meghan Behiel und Michael Carleton – Foto © O-Ton

Carleton und Pallarolas wollen eigentlich nur ein bisschen Pausenmusik spielen. „Es ist nur für die Pause, redet weiter!“ ruft Carleton dem Publikum zu, das ganz entzückt Klavier- und Saxofon-Klängen lauscht. Der nächste Höhepunkt wartet schon. Là ci darem la mano ist das klassische Duett zwischen Don Giovanni und Zerlina aus Don Giovanni von Wolfgang Amadeus Mozart. Eine Steilvorlage für Somicheva und Huy. Beim „Andiam‘“ geht eine gefühlte Feuerwerkssalve nach oben, und wenn die beiden Hand in Hand abtreten, johlen die Besucher. Da ist das vierhändige Klavierspiel von Behiel und Carleton im Anschluss eine angenehme Erholung, mit der sie an den Barbier von Sevilla erinnern. Huy kehrt danach zurück, um die glückselige Prahlerei des Leporello aus Don Giovanni anzubiedern. Den Humor bekommt er auch mit neu gewonnener Stimmqualität hin. Das ist wirklich erfreulich. Neid wird er später hervorrufen, wenn er erzählt, dass er sich im Shutdown zehn Kilo abtrainiert hat. Der Bariton ist also perfekt für kommende Aufgaben aufgestellt. Das ist nicht jedem in dieser Zeit gelungen. Aber Sopranistin Langeder lockt das Publikum noch mal mit Heia, heia in den Bergen ist mein Heimatland aus der Csárdásfürstin, die Emmerich Kálmán zu Weltruhm führte, zum Mitsingen. Das funktioniert mehr oder weniger gut, ändert aber nichts an der Lebensfreude, die hier versprüht wird. Zum Schluss gibt es kein Feuerwerk, sondern eine Romanze von Arthur Hamilton. Coulmas wächst über sich hinaus. So klar, so rein hat man ihre Stimme selten vorher gehört – obwohl sie immer eine Freude fürs Ohr ist – wenn sie sich in Cry me a River verliert. Auch auf die Gefahr hin, Kitsch zu produzieren: Da singt die Zukunft in Gestalt werdenden Lebens mit. Und Schnitzler gibt noch einmal alles, wenn er ‘O sole mio von Eduardo di Capua intoniert.

Der Abend, der als Experiment begonnen hat, wird trotz oder gerade wegen eines sehr konventionellen Programms zu einem riesigen Erfolg, vielleicht auch überhaupt wegen der Wiedersehensfreude. Das Publikum tritt anschließend an, um sich einzeln und persönlich bei den Interpreten zu bedanken. Wiederholung wird schnellstmöglich verlangt, im umhergehenden Hut klimpert es nicht. Aber jetzt wird Julia Coulmas sich erst mal um sich selbst kümmern, bevor sie mit der Düsseldorf Lyric Opera zu neuen Abenteuern aufbricht – und das sei ihr gegönnt.

Michael S. Zerban