Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
CHORGEL
(Diverse Komponisten)
Besuch am
17. November 2024
(Einmalige Aufführung)
Genau ein Jahr ist es her, dass der Junge Kammerchor Düsseldorf sein Programm Neuland mit der Musikerin Serane in der Berger Kirche nahe dem Carlsplatz in Düsseldorf präsentierte. Ein eindrucksvolles musikalisches Erlebnis. Jetzt lädt der Chor, der sich zum Ziel gesetzt hat, Aufführungsformate mit Schauspiel, Beleuchtung und Interaktion in ein Gesamtkonzept einzubetten, zu einem neuen Programm ein. Die Uraufführung unter dem Titel ChOrgel fand am Vorabend in der Maxkirche in der Düsseldorfer Altstadt statt. Heute Abend geht es in die Kirche St. Joseph im Stadtteil Holthausen. Die entstand zu Beginn des 20. Jahrhunderts, 1965 wurde die Orgel von Romanus Seifert & Sohn erbaut. Wenn man ohnehin schon mal da ist, sollte man auch einen Blick auf den Altar werfen, den Bert Gerresheim 1979 für die Kirche schuf. Allein, für eine genauere Betrachtung fehlt an diesem Abend das Licht.
Jean-Philippe Apel – Foto © O-Ton
Überhaupt wird das mit dem Sehen so eine Sache. Vom 27-köpfigen Chor sieht man jedenfalls erst mal nichts. Der hat sich auf die Orgelempore zurückgezogen, um den Abend mit Fight the Good Fight aus Five Hymns in Popular Style von John Gardner in Orgelbegleitung zu eröffnen. Die Kirche ist in tiefe Dunkelheit gehüllt. Lediglich die Empore taucht Benjamin Herrera in trübes Licht. Anschließend begibt sich Franziska Schepers zum Altarraum, um dort im Halbdunkel die Begrüßung vorzunehmen. Schepers hat das Konzept des Abends gemeinsam mit Ilka Fladung, Peter Göhre und dem künstlerischen Leiter Jean-Philippe Apel entwickelt – und entschuldigt schon jetzt mögliche Pausen, die Lichteinstellungen und räumliche Bewegungen erforderlich machen könnten. Nun, so schlimm wird es nicht, die Tücken des Konzepts liegen auf anderer Ebene. Aber erst mal muss die Lehrerin auf die Empore zurück. Denn hier singt der Chor jetzt a cappella The Darkness is no Darkness von Judith Bingham. Die Komponistin und Mezzosopranistin ist heute 72 Jahre alt und erfindet Musik von Kindesbeinen an. Kirchen- und Orgelmusik stehen dabei im Vordergrund. War die Eingangshymne noch vom Frohlocken geprägt, steht jetzt hier eher das Feierliche im Vordergrund. Herrera hat dazu eine Projektion für die Apsis vorbereitet. Da ergießt sich ein Wasserfall über den Altarraum. Der Einsatz erfolgt – und so wird es den Abend über bleiben – verspätet. Was nicht weiter schlimm wäre, wenn man denn wüsste, wohin das Augenmerk als nächstes zu richten ist. So will keine rechte Konzentration entstehen, weil immer erst der Blick zwischen Empore und Altarraum wandert. Bei dem nachfolgenden Orgelstück Alleluyas von Simon Preston, der vor zwei Jahren verstarb, gibt es dann vorne und hinten eine Lichtorgel, die allerdings eher matt funktioniert und die Effekte nur andeutet. Wichtiger ist ohnehin das Orgelspiel, das Younjeong Lee und Eunju Lim übernehmen. Beide stammen aus Südkorea. Beide bereiten sich an der Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf auf ihren Master beziehungsweise ihr Konzertexamen vor. Sie nehmen sich im Können beide nichts.
Younjeong Lee und Eunju Lim – Foto © O-Ton
Einer der Höhepunkte ist sicher Another Look at Harmony, Part 4 von Philip Glass, in dem sich die Vokalisen des Chors mit der Orgelbegleitung im Stil der Minimal Music mischen. Eine wunderbare Orgelimprovisation mit Projektionsbegleitung schließt sich an. Sie bietet eine gelungene Überleitung zu Babel von Kjell Mørk Karlsen. Dazu betritt ein Sprecher die Kanzel und erzählt den Ursprung der Verwirrung unserer Sprachen, während der Chor das sängerisch beantwortet. Eine richtig schöne Idee, die ohne wenn und aber ihre Wirkung entfaltet. So kann man eine biblische Geschichte zeitgemäß erzählen.
Trotzdem ist die Freude noch größer, als der Chor endlich sichtbar wird und sich im Altarraum versammelt, um Northern Lights vom 1978 geborenen Ola Gjeilo vorzutragen. Ein spärlicher Scheinwerfer lässt die Sänger eher gespenstisch wirken. Zum Orgelwerk Aria Sexta Sebaldina von Johann Pachelbel aus dem 17. Jahrhundert geschieht das, was gern bei Projektionen passiert: Dem Lichtdesigner gehen die Ideen aus. Da hilft immer der Blick ins Kaleidoskop. Da kann man sich dann bunte Kreise auf der Apsis anschauen. Der wunderbare Vortrag der Organistinnen gleicht das spielend aus. Mit dem Jubilate Deo von Benjamin Britten, das wieder von der Empore erschallt, geht ein musikalisch eindrucksvoller und ungewöhnlicher Abend zu Ende.
Das Publikum im gut besuchten Kirchenraum ist hingerissen und applaudiert langanhaltend, bemerkt schließlich auch, dass sich die Choristen an den Außenrändern der Kirchenbänke aufgestellt haben, von wo aus dann auch noch eine Zugabe erklingt.
Ja, es ist gut, nach neuen Auftrittsformaten Ausschau zu halten, auch mal aufwändigere Konstellationen zu versuchen – und sich vielleicht auch mal zu vergaloppieren. Insofern gebührt dem Jungen Kammerchor Düsseldorf nur Lob. Vergessen sollte man aber über aller Experimentierfreude nicht, dass der Chor im Zentrum des Geschehens steht. Das Publikum kommt, um den Chor zu hören – und zu sehen.
Michael S. Zerban