O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Bernhard Weis

Aktuelle Aufführungen

Gemischte Gefühle

A FIRST DATE – EPISODE 2
(Diverse Choreografen

Besuch am
12. September 2020
(Premiere)

 

Deutsche Oper am Rhein, Oper Düsseldorf

Wie dumm muss man eigentlich sein, damit man in der Düsseldorfer Stadtverwaltung arbeiten darf? Derzeit kann man nicht mal mehr einen Besuch der Oper guten Gewissens empfehlen. Weil die Stadtverwaltung nicht in der Lage ist, den Verkehrsfluss mit ihren Ampelanlagen zu gewährleisten. Die Mühlenstraße mit ihren angrenzenden Parkhäusern, darunter auch das, in dem man einen Abendtarif für die Oper bekommt, hat die Stadt erfolgreich zu einer Sackgasse gemacht, aus der es nur noch eine Ausfahrtmöglichkeit gibt. Wenn man dort die Ampel richtig einstellt, kann man ganz schnell dafür sorgen, dass ein Abfluss des Verkehrs unmöglich wird. Die Besucher, die nachmittags in der Stadt eingekauft haben und nun nach Hause wollen, kommen bei einer entsprechend kurz geschalteten Grünphase nicht mehr weg. Der zweite Abfluss über die Ratinger Straße ist vorsätzlich versperrt. Die Autos stauen bis ins Parkhaus zurück. Das aber lässt nur neue Autos ein, wenn genügend Abfluss an der Schranke herrscht. Also kommen die Abendbesucher nur tröpfchenweise ins Parkhaus. Zum Abend hin verschärft sich das Problem. Und so geht der Rückstau bis in die dritte Tiefebene des Parkhauses. Da stehen die Autos eingekeilt, ohne Radio- und Mobilfunkempfang. Wer so etwas wissentlich in Kauf nimmt, gehört fristlos entlassen, selbst wenn es sich um eine Stadtverwaltung handelt. Denn hier geht es nicht um ärgerliche Wartezeiten, sondern darum, dass Menschen vorsätzlich in eine Gefahrensituation gebracht werden, die niemand unter Kontrolle hat. Auch die Polizei aus der nebenan liegenden Inspektion, die ja den Verkehr manuell regeln und damit die Gefährdungslage entschärfen könnte, lässt sich nicht blicken. Erinnerungen an einen Tunnel in Duisburg werden wach. Aber da ist ja auch niemand zur Verantwortung gezogen worden, also kein Grund zur Beunruhigung bei Stadtverwaltung und Polizei.

War sonst noch was? Ach ja. Demis Volpi, der neue Ballettdirektor an der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf Duisburg, hat zum zweiten Ballettabend in Folge eingeladen. Nach einem gelungenen Auftakt am Vorabend – O-Ton hat berichtet – ist die Vorfreude groß, was der Chefchoreograf für den heutigen Abend in petto hat. Offenbar nicht für alle, denn dieses Mal bleiben etliche der maximal 460 besetzbaren Plätze frei. Und da nimmt es das Aufsichtspersonal mit der Maskenpflicht bis Aufführungsbeginn auch nicht mehr so genau. Kulturdezernent Hans-Georg Lohe geht mit „gutem Beispiel“ voran, indem er beim Betreten des Saals mit der Maske gerade mal den Mund bedeckt, um sie am Platz gleich abzunehmen. Ein klares Signal für das Publikum: Leute, habt Euch nicht so, Regeln sind dazu da, gebrochen zu werden. Sieht die Rheinoper ähnlich.

Der rankenbekränzte Jüngling aus einem anderen Jahrhundert – Foto © Bernhard Weis

Früher mal waren Opernhäuser berühmt dafür, dass man nach dem Aufführungsbeginn die Uhr stellen konnte. Tempi passati. Auch am zweiten Abend ist eine siebenminütige Verspätung scheinbar selbstverständlich. Die Zeit wird aber wieder reingeholt, wenn man die Aufführung ein wenig kürzer gestaltet. Die beginnt mit einer Trainingsstunde im Ballettraum. Der Graben ist hochgezogen, darauf sind drei Ballettstangen aufgebaut, an denen sich die nacheinander auftretenden Tänzer zur Musik von Alexander Ivanov abarbeiten, die er selbst auf einem Klavier vorträgt. In der nächsten Szene zeigen die Tänzer bei herabgefahrenem Graben Grundfiguren des klassischen Balletts. Das kommt beim Publikum gut an. Auch die Kostüme, die Katharina Schlipf wieder verantwortet, sind bis dahin gefällig. Dann allerdings wird es so kitschig, dass es schon gruselig ist. Eine Tänzerin zieht sich ein Kleid in unschuldigem Weiß über und sinkt auf einem weißen Stuhl darnieder. Durch ein Fenster im Hintergrund kommt ein Tänzer in hautfarbenem Ganzkörperanzug und rankenbekränzt in den Raum. Die beiden, So-Yoen Kim-von der Beck und Gustavo Carvalho, tanzen einen ausdrucksstarken Pas de Deux, ohne auch nur ein Zeichen von gebrochener Ironie oder Spaßhaftigkeit zu zeigen. Volpi scheint das ernst zu meinen.

Als nächstes steht erneut ein Film auf dem Programm. Das Video vom Vorabend ist noch in so angenehmer Erinnerung, dass man sich auf die Fortsetzung freut, zumal auch hier wieder Daisy Long die Regie führt. Allerdings hält die Freude über die Einblicke in den Arbeitsalltag von Tänzern, Ballettmeistern und Ballettdirektor nicht lange an. Genau genommen, bis die ersten Untertitel in Deutsch auftauchen. Da schreckt die Deutsche Oper am Rhein allen Ernstes nicht davor zurück, die ideologische Sprachvergewaltigung mittels Asterisken zu versuchen. Völlig unvermittelt wird das Publikum diesem Terror der fälschlicherweise als „Gendersternchen“ bezeichneten Textstellen ausgesetzt. Das ist eine Frechheit! Abgesehen davon, dass es sich um eine vorsätzlich falsche Übersetzung und Missachtung der gültigen Rechtschreibregeln handelt, schürt es die offenbar gewollte Verwirrung der Zuschauer. Wenn Christoph Meyer die historische Kenntnis über den ideologischen Umgang mit Sprache fehlt, und er glaubt, als Hausherr und Intendant das Publikum mit solchen Mätzchen kompromittieren zu können, ist er schlicht fehl am Platze. Ja, sprachliche Umerziehung hat bei einer anderen Generation schon einmal funktioniert, das sollte einen Intendanten aber nicht dazu verleiten, es noch einmal zu versuchen.

Danach ist die Laune auf dem Nullpunkt, und man hat schon keine Lust mehr, sich in der falschen Reihenfolge des Abendzettels, der in einem vornehmen, blauen Umschlag gereicht wird, zurechtzufinden. Immerhin bemüht sich Claudia Sánchez, ihre Licht-Regie differenzierter zu gestalten. Wenngleich das aufgrund der Bühneninstandhaltungsversuche in den Sommermonaten, die sich, wie zu hören ist, gründlich verzögert haben, ein echtes Kunststück zu sein scheint. Und so weiß man sich immerhin an den Verfeinerungen zu vergnügen. Nach einem weiteren, kurzen Pas de Deux als Ausschnitt aus Awáa, einer Choreografie von Aszure Barton aus dem Jahr 2012, bei der sich zwei Tänzer auf dem Boden wälzen, gibt es zum Abschluss die Uraufführung von Volpis Choreografie Look for the Silver Lining zur Musik von Chet Baker. Auch hier gilt wieder: Der ganz große Wurf muss angesichts der Corona-Auflagen, an die sich wenigstens das Publikum und die Tänzer halten, ausbleiben. Aber die Leistungen der Tänzer sind hervorragend.

Das Publikum gibt sich an diesem Abend klatschfreudig, aber unkonzentriert. Da wird so häufig an den falschen Stellen geklatscht, dass mitunter fast schon der Eindruck entsteht, die Zuschauer wollten ein verfrühtes Ende herbeiklatschen. Am Ende gibt es einen höflichen Schlussapplaus. Für den dritten Abend dürfte gelten: Alles auf Anfang. Und so ist für den jungen, sympathischen Kerl, der seine Compagnie ganz offenbar zu Höchstleistungen motivieren kann, zu hoffen, dass er am Sonntagabend noch ein paar Trümpfe aus dem Ärmel ziehen kann, um seinen Drei-Tages-Einstand zu einem glänzenden Abschluss zu bringen.

Michael S. Zerban