O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Simone Messmer in Allure - Foto © Bernhard Weis

Aktuelle Aufführungen

Bravo, Volpi!

A FIRST DATE – EPISODE 1
(Demis Volpi, José Limón)

Besuch am
11. September 2020
(Premiere)

 

Deutsche Oper am Rhein, Oper Düsseldorf

Wenn ein Intendant seine neue Stelle antritt, kann es ihm passieren, dass die Vorfreude ganz schnell verfliegt und ihm ordentlicher Gegenwind ins Gesicht bläst. Die Abo-Zahlen fallen gegen null, die Lokalpresse schießt sich mit Negativberichten auf ihn ein und schließlich versucht der Oberbürgermeister noch, sich auf seine Kosten aus dem Schlamassel der Berufung zu retten. Demis Volpi hat als neuer Ballettdirektor der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf Duisburg mit ganz anderen Schwierigkeiten zu kämpfen, Schwierigkeiten, mit denen vor einem Jahr noch niemand gerechnet hätte. Sein neu zusammengestelltes Team stammt aus 20 Nationen – wie kommen die nach Düsseldorf? Nebenbei: Bis auf zwei haben es alle geschafft. Der neue Spielplan ist ohnehin hinfällig, dafür sorgt das Land Nordrhein-Westfalen mit seinen „Schutzverordnungen“. Die ganz große Feier zum Einstand des neuen Ballettdirektors hat sich ohnehin erledigt. Und neue Ideen für einen Start, den so schnell niemand vergisst, werden durch die Bedingungen, unter denen die Proben stattfinden müssen, eher eine Gratwanderung. Und überhaupt, wie kann Ballett derzeit halbwegs vernünftig auf eine Bühne finden? Die Idee, die Volpi findet, klingt erst mal ziemlich verrückt und vor allem ziemlich anstrengend.

Unter dem Titel A first date lädt der in Argentinien geborene Choreograf zu einer dreitägigen Veranstaltung ein. Geht’s noch? Die gleiche Aufführung an drei aufeinanderfolgenden Tagen: Wenn es denn sein muss. Aber Freitag, Samstag und Sonntag ins Opernhaus rennen, um sich Ballett anzuschauen? Andererseits ist sein Lebenslauf interessant genug, sich den jungen Burschen mit der charismatischen Ausstrahlung mal näher anzuschauen. Studiert hat Volpi in Buenos Aires, in Toronto und an der John-Cranko-Schule in Stuttgart. Der Durchbruch als Choreograf gelang ihm damit, dass er das Handlungsballett Krabat vertanzen ließ. Inzwischen hat er weltweit choreografiert und Inszenierungen als Opernregisseur gezeigt. Gerade der Mut zum Überschreiten von Genre-Grenzen hat den Intendanten Christoph Meyer für Volpi eingenommen.

Foto © Bernhard Weis

Die drei Tage hat Volpi bewilligt bekommen. Aber die Aussichten sind trübe. Die Tänzer müssen sich mehr mit Auflagen als mit ihrer Kreativität beschäftigen. Und ins Opernhaus dürfen gerade mal 460 Menschen nur unter strengen Bedingungen, die allein schon viele Besucher vergrätzen. Und es nutzt auch gar nichts, dass die Oper sich mit den Auflagen auseinandersetzt. Selbst die gekommenen Besucher sind ausgesprochen misstrauisch, wenn neben ihnen nur ein Platz zum Nachbarn frei bleibt. Da führen die psychologischen Barrieren so weit, dass einige Besucher lieber ihre Masken aufbehalten, als sich den Abstandsregeln der Oper anzuvertrauen. Als ob Masken etwas verhinderten, wenn der Abstand zu gering ist. Aber wenn es die Landesregierung sagt, muss es ja stimmen. Mit Beginn der Aufführung ist die Maskenpflicht aufgehoben. Kann eh keiner kontrollieren.

Volpi hat mit seinen Dramaturgen Carmen Kovacs und Maurice Lenhard ein Programm auf die Beine gestellt, das der Schwermut und übertriebenen Künstlichkeit Ade sagt und ein deutliches Signal der Moderne sendet. Dabei geht es tatsächlich erst mal zurück ins Jahr 1942. Und musikalisch gleich gar ins Jahr 1720. Daran erinnert allerdings an diesem Abend nichts. Egor Grechnishikow, allein vorne links auf die Bühne gestellt, interpretiert die Chaconne von Johann Sebastian Bach frisch, lebendig und ineinanderfließend. Dazu tanzen fünf Tänzer die recht einfache Choreografie von José Limón, die in ihrer Eleganz überzeugt.

Fortan präsentiert Volpi eigene Choreografien. 2011 stellte er seine Arbeit Private Light am City Centre New York vor, die jetzt in Ausschnitten gezeigt wird. Auch hier sorgt Katharina Schlipf für ansprechende Kostüme. Claudia Sanchez kann beim Licht sicher noch eine Menge dazulernen. Immerhin gelingt es ihr, die Tänzer in gleichbleibend erhellendes, weißes Licht zu tauchen. Aber da geht in Zukunft mehr. Sechs Tänzer zeigen kaum mehr, als ihnen der Abstand erlaubt, es bleibt einfach und überzeugend. Das ist bislang alles schön gemacht und wird höflich applaudiert.

Dann bricht Volpi das Eis und zeigt einen Film, bei dem Daisy Long Regie geführt hat. Sie veranlasst die Tänzer zu Statements, lässt Volpi vor der Compagnie-Versammlung, aber auch in persönlichen Stellungnahmen zu Wort kommen. Ein gelungener Film, von dem man sich allenfalls gewünscht hätte, dass er auch die Namen der Tänzer einblendet. Schließlich ist erklärtes Ziel des Abends, die Tänzer der neuen Compagnie vorzustellen.

Ausgerechnet mit einem Solo gelingt der Höhepunkt des Abends. Allure wurde 2012 vom Stuttgart Ballett im Opernhaus Dortmund zu Good bait von Nina Simone uraufgeführt. Der neue Ballettmeister Damiano Pettenella hat Volpis Choreografie mit der Tänzerin Simone Messmer einstudiert. Die zeigt zur jazzig angehauchten Musik Spitzentanz neu interpretiert. Erotisch, frisch und kurzweilig. Danach werden noch einmal Ausschnitte aus Private Light gezeigt. Wieder spielt Peter Graneis die Musik live auf seinen Gitarren ein. Der innige Pas de Deux wird möglich, weil Lara Delfino und Nelson Lopez Garlo privat zusammenleben. Zum Abschluss zeigt Volpi seine erste Uraufführung am Hause. In de la Mancha vertanzen Miquel Martinez Pedro, Dukin Seo und Kauan Soares den Grand Pas de Deux aus Don Quixote von Ludwig Minkus in einer Bearbeitung von Eduardo Boechat. Die Figuren werden hier humorvoll überzeichnet, und das Publikum hat seinen Spaß.

Nach rund 70 Minuten geht ein Abend zu Ende, dem es zwar, vermutlich Corona-bedingt, noch ein wenig an Komplexität mangelt, der aber viel für die Zukunft verspricht. Ohne zu viel zu versprechen, scheint in Düsseldorf modernes Ballett Einzug zu halten, das auch junge Leute ansprechen kann. Auf jeden Fall hat die Vorstellung, zwei weitere Aufführungen an den nächsten beiden Tagen zu sehen, ihren Schrecken verloren und sich in freudvolle Erwartung gewandelt. Das Publikum goutiert den Abend mit Begeisterungspfiffen und Bravo-Rufen, setzt seinen Applaus auch dann noch fort, als das Saallicht angeht. Da ist ein weiterer Vorhang notwendig. Ein gelungener Auftakt.

Michael S. Zerban