O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Bernd Uhlig

Aktuelle Aufführungen

Der Ring der Koffer

DIE WALKÜRE
(Richard Wagner)

Besuch am
27. September 2020
(Premiere)

 

Deutsche Oper Berlin

Gleich dreifach ist die Premiere der neuen Walküre-Produktion an der Deutschen Oper Berlin bemerkenswert. Erstens, weil es der Auftakt zur 2020/21-Saison ist, zweitens, eine komplette Live-Produktion in diesen Corona-Zeiten – natürlich unter strengen Hygieneauflagen, beispielsweise wurden während der Produktion die Sänger, Musiker und Statisten täglich auf Covid-19 getestet, ein Sponsor hat die Kosten übernommen ­– und drittens, weil es den ersten Abend eines neuen Rings darstellt. Regisseur ist kein geringerer als Stefan Herheim, oft auch als gegenwärtiges enfant terrible der Regie bekannt. Hausherr Donald Runnicles dirigiert.

Pandemie-bedingt war der Vorabend des RingsRheingold – im Sommer in verkürzter Fassung auf dem Parkdeck gespielt und nicht in der Regie von Herheim – O-Ton berichtete. Jetzt geht der neue Ring erst richtig los, diesmal wieder auf der großen Bühne. Herheim gibt in den Programmnotizen zu bedenken, dass der Zuschauer alle Zusammenhänge erst über den gesamten Zyklus verstehen wird. Grundgedanke ist, dass eine Gruppe Menschen auf der Flucht ist. Sie kommen an einem Klavier vorbei, dort rasten sie und leiten die Geschichte des Rings ein. Es geht um die Menschlichkeit der Götter, Riesen und Zwerge – „alles kreist um die Machtlosigkeit von Liebe und der Lieblosigkeit von Macht“, sagt Herheim.

Somit ist mindestens der Rahmen des Bühnenbildes von Silke Bauer mit seinen Mauern aus alten Lederkoffern zu verstehen – die Heimat gibt es nicht, weder für unsterbliche Götter noch sterbliche Menschen. Und das zentral platzierte Klavier verdeutlicht nur allzu sehr die Wichtigkeit der Musik. Es dient auch als Hauptrequisit – so ist es Brautbett für Siegmund und Sieglinde, ist Springteufel für die Auftritte von Fricka, Brühnhilde und andere Gestalten – selbstverständlich mit Licht- und Video-effekten, die dem Ganzen ein gewisses Zirkus- und Parodie-Flair geben. Es ist aber auch die Weltesche – schließlich steckt das Schwert Nothung drin. Insgesamt entstehen im Verlauf einige sehr komische Bilder – in Vorbereitung auf die leidenschaftliche Liebesnacht mit Sieglinde nimmt sich Siegmund doch die Zeit, seine Oberbekleidung gut bürgerlich abzulegen und entblößt blütenweiße Boxershorts; Brünhilde entspringt dem Flügel in Nebelschwaden, samt beflügeltem Helm und acht symmetrisch ausgefahrenen Speeren für ihre Walküren-Schwestern. Und zum Schluss wird sogar die Geburt von Siegfried gezeigt – mit dem Gnom Richard Wagner als Hebamme. Ausnahmsweise darf Wotan – ebenfalls in blütenweißen Boxershorts – aus dem Souffleurkasten entsteigen, um sich sogleich mit einem Notenauszug von Walküre an das Klavier zu setzen. In seiner gebeugten Haltung wirkt er wie ein gebrochener Mann, ein schmieriger Tastenkünstler, der unter der Fuchtel seiner dominanten Frau steht. Sie sagt, wo es lang geht – ganz die Göttin in weißem Fuchsmantel, den Kostümbildnerin Uta Heiseke ihr zugedacht hat. Dazu eine ganze Schar an Statisten, die in trauriger Flüchtlingskluft ein vorbeihuschendes, stummes Publikum und Zeugen der göttlichen und menschlichen Handlungen und Wandlungen sind.

Foto © Bernd Uhlig

Herheim dichtet eine nicht uninteressante, stumme Figur in die Geschichte: Sieglinde hat Hunding einen Sohn geboren.  Hundingling ist offensichtlich in Angst und Schrecken aufgewachsen, läuft mit gezücktem Messer herum, immer auf der Hut, sich zu verteidigen. Auch als Siegmund erscheint, geht er auf ihn los. Nur nach und nach merkt er instinktiv, wie die Liebe zwischen den Geschwistern sich entwickelt und auch auf ihn ausstrahlt. Letztendlich aber ist es Sieglinde, die ihn in ihrem Liebeswahn die Kehle durchtrennt.

Die Besetzung der Sänger glänzt wegen der Damen. Allen voran Lise Davidsen mit ihrem wunderbar klaren, jungdramatischen Sopran, der die Leidenschaft und Verzweiflung der Sieglinde ausdrucksstark und mühelos trägt. Annika Schlicht ist eine selbstbewusste Fricka, die weiß, was ihr zusteht und wie sie es einfordert. Gegen diese beiden stimmgewaltigen Persönlichkeiten hat die Brünhilde von Nina Stemme einen schweren Stand, den sie mit berührender Intensität ausgleicht. Alle drei Sängerinnen müssen für ihre gute Textverständlichkeit gelobt werden.

So wie Herheim die Herren zeichnet, sind sie alle Verlierer. Brandon Jovanovich als Siegmund ist von Anfang an verdammt, obwohl er mit seinem schönen Timbre verzaubert. Der Wotan von John Lundgren ist ein unterdrückter Pantoffelheld, ihm fehlt die Wucht der Gottheit. Andrew Harris gibt einen Hunding, der viel faucht, aber keinen Biss hat.

Im Graben nimmt sich Generalmusikdirektor Runnicles Zeit, die Wagnerschen Leitmotive und Melodien auszumalen. Manchmal sogar ein Quäntchen zu viel Zeit so dass der Spannungsbogen in sich zusammenfällt. Aber insgesamt gibt er dem gut aufgelegten Orchester Gelegenheit, sein Können unter Beweis zu stellen, und den Sängern viel Atem und Freiheit, sich zu entfalten.

Die Grenze zum parodisierenden Kitsch wird in dieser Produktion oft gestreift, manchmal übertreten. Man darf auf die Fortsetzung des Zyklus gespannt bleiben.

Und wie fühlt es sich an, fast sechs Stunden eine Maske zu tragen?  Keiner der knapp 800 Zuschauer – fast die Hälfte der Plätze ist besetzt – beklagt sich. Die Freude, bei einer Live-Aufführung wieder dabei sein zu können, überwiegt alles.

Zenaida des Aubris