O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Bernd Uhlig

Aktuelle Aufführungen

Die Partitur ist der Ring

DAS RHEINGOLD AUF DEM PARKDECK
(Richard Wagner)

Besuch am
12. Juni 2020
(Premiere)

 

Deutsche Oper Berlin

Fast konnte man es hören – das Raunen der Freude, endlich wieder eine Live-Vorstellung erleben zu können. Bei aller Liebe zu digitalen Aufzeichnungen, es geht wirklich nichts über eine „echte“ Vorstellung. Vorab waren in nur zwölf Minuten alle Karten für die fünf Vorstellungen ausverkauft. Zugegeben, es gab nur zirka 200 Plätze pro Vorstellung und der Preis lag bei fünf Euro pro Karte plus Spendenbox. Aber auch wenn der Kartenpreis höher gewesen wäre, hätte das kaum etwas geändert.

Eigentlich hätte es der Auftakt zu einem neuen Ring sein sollen – mit Stefan Herheim als Regisseur, auf der großen Bühne des Hauses, als Nachfolgeproduktion des legendären Götz-Friedrich-Rings. Dann kam die Corona-Pandemie und alles musste umgestellt werden. Trotz erheblicher Auflagen stellt die jetzige Produktion wieder die Daseinsberechtigung aller Künstler und Mitarbeiter in den Mittelpunkt.

Der Zuschauer wird gebeten, durch die Parkgarage zu gehen – wohl der uncharmanteste Eingang zu einem Opernhaus überhaupt. Hier, hinter dem Opernhaus, gibt es eine Anfahrtsrampe beziehungsweise ein unbedachtes Areal, das zu Bühne und Zuschauerraum umgestaltet ist. Die Bühne wurde auf Stelzen gebaut, die Musiker dahinter, mit der Hinterwand als Akustikgeber. Die aufgestellten Klappstühle tragen weiße Hussen, um den gebührenden Abstand zu halten – und dem Zuschauer angenehm viel Beinfreiheit zu gewähren.

Foto © Bernd Uhlig

Nach der behördlichen Genehmigung vor etwa zwei Wochen konnte die Produktion erst richtig geplant werden. Hut ab für diese Leistung! Anfang der 1990-er Jahre hatte der Komponist Jonathan Dove eine reduzierte Fassung des Rings erstellt – für Festivals die sich nur kleinere und kürzere Fassungen leisten können. Sein Rheingold ist etwas über 110 Minuten lang und benötigt nur 18 Musikern, davon sechs Streicher und viel Blech, allesamt hier elektronisch verstärkt – ein kammermusikalisches Kondensat. Wie GMD Donald Runnicles in seiner Begrüßung bemerkt: Hier agiert eine solistische Besetzung, die dann auch musikalisch überzeugt, dank seines schwungvollen Dirigats.

Das Konzept, szenische Einrichtung und die Kostüme stammen vom Spielleiter Neil Barry Moss. Lilli Avar richtet die Bühne mit vielen Elementen aus dem Fundus ein.

Somit kann man sich mit einiger Einbildungskraft die vielen Auf- und Abgänge der Solisten zusammenreimen: Wotan als Regisseur, der neben der mundschutztragenden Büste von Wagner im Hausmantel Platz nimmt, um sich dann von seinem Assistenten Loge den Kaffee im Mitnehm-Pappbecher bringen zu lassen. Unspektakulär der Abstieg ins Niebelheim, dafür dann der Einzug ins Wallhalla mit Andeutungen an den Regenbogen mit den Titeln der Opern der kommenden Saison von den Fenstern heruntergelassen, und ein abgeschossenes Feuerwerk von Goldfolienschlangen, bevor die Götter durch die Hintertüre verschwinden.

Insgesamt aber gebührt den Sängern – übrigens alle aus dem Ensemble – das höchste Lob. Außer Mime und Froh sind alle Rollen besetzt. Die drei Rheintöchter Elena Tsallagova, Irene Roberts und Karis Tucker überzeugen mit Frische und Frechheit. Philipp Jekals Alberich grämt sich ordentlich und hält an der Partitur vom Ring bis zuletzt fest – bevor er auch dieses Goldstück aufgeben muss. Ein jugendlicher Wotan, Derek Welton, wird sicherlich mit Erfahrung in die Rolle hineinwachsen, stimmlich wie emotional. Dagegen die Fricka von Annika Schlicht – souverän, feminin und elegant – drängt auf ihr Recht. Fiurina Stucki ist intonationssicher und gibt eine naive, kokette, apfelessende Freia. Der Donner von Padraic Rowan macht keinen bleibenden Eindruck. Im Gegensatz zu den beiden Riesen Andrew Harris als Fasolt und Tobias Kehrer als Fafner – als smarte Businessmen bestehen sie auf ihre Verträge, beide mit herrlich resonantem, tiefem Timbre. Judit Kutasi ist eine ewig schwangere Mutter Erda, die glamourös in einem langen, weißen Marlene-Dietrich-Federmantel ihre Prophezeiungen machen darf. Und dann wäre da noch der grandiose Thomas Blondelle als Loge – eloquent, listig, stimmlich und physisch agil, erinnert er an die großen Loges der Vergangenheit.

Wenn die Pandemie sich legt und die Auflagen aufgehoben werden, soll es am 27. September mit Walküre auf der großen Bühne weiter gehen, dann auch unter der Regie von Stefan Herheim.

Dem gesamten Ensemble wird aufs Wärmste applaudiert.

Zenaida des Aubris