O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Bettina Stöß

Aktuelle Aufführungen

Überzeugende Inszenierung

SIMON BOCCANEGRA
(Giuseppe Verdi)

Besuch am
29. Januar 2023
(Premiere)

 

Deutsche Oper Berlin

Es gilt als einer der Meisterwerke der Spätperiode von Giuseppe Verdis Schaffen: Simon Boccanegra, ursprünglich 1857 komponiert und 1881 gründlich revidiert, erlebt zurzeit an europäischen Opernhäusern eine Renaissance. Salzburg, Zürich und zuletzt Essen brachten neue Produktionen. An der Deutschen Oper Berlin hat Vasily Barkhatov die mittelalterliche – auf Fakten beruhende – Geschichte in die Gegenwart gebracht. Abwegig ist das nicht – wir lesen immer wieder von zwei mächtigen Parteien, die um die Herrschaft einer reichen Republik kämpfen. In dieser Oper sind es Jacopo Fiesco und der Seemann Simon Boccanegra, der als junger Mann Maria, die Tochter von Fiesco, geliebt hat. Es kam ein uneheliches Mädel zur Welt. Fiesco sperrte daraufhin seine Tochter im Palast ein, wo sie starb. Das kleine Mädchen, auch Maria genannt, verschwindet, um erst 25 Jahre später wieder aufzutauchen. Boccanegra ist mittlerweile zum Dogen der Republik Genua ernannt worden, findet seine Tochter, wird Spielball politischer Intrigen und stirbt einen langsamen Gifttod.  In der Version der Deutschen Oper wird der Prolog aus dem Jahr 1857 hinzugefügt, in dem eben diese frühe Liebesgeschichte erzählt wird.

Barkhatov und sein Bühnenbildner Zinovy Margolin nutzen die Drehbühne nicht nur, um die Geschichte und Szenenwechsel nahtlos voran zu treiben, sondern auch, um zu zeigen wie sich die politischen Machtverhältnisse und -spiele immer wiederholen. Die Bühne ist aufgeteilt in ein Wohnzimmer, behaglich mit Sofas, Bücherregalen, gemütlicher Beleuchtung und einem Bildschirm eingerichtet, auf dem entweder die aktuellen Unruhen oder Familienvideos gezeigt werden. Auf der anderen Seite der teilenden Wand eine graue, kaltbeleuchtete Halle, in der sich das gesellschaftliche, öffentliche Leben abspielt. So wird auch die dreimalige Machtübergabe – erst wird der alte Doge Fiesco gestürzt, dann ist Boccanegra dran, der, bevor er seiner Vergiftung erliegt, gerade noch die physische und politische Kraft hat, es Gabriele, dem Sohn seines Erzfeindes, aber jetzt Mann seiner Tochter, zu übergeben. Same procedure as last time erhält der jeweilige neu Gewählte die Machtinsignien, um sich dann direkt in die privaten Gemächer zurückzuziehen und die aufgereihten Bediensteten zu begrüßen. Barkhatov lässt Emotionen nur im Privaten zu – ob der abgeschobene Fiesco oder Boccanegra, sie beide beweinen das Schicksal ihrer unglücklichen Lieben und ihre Kinder. Immer wieder benutzt Barkhatov Video und Beleuchtungsstrategien, um das Publikum in deren Erinnerungen zu versetzen. Dazwischen gelingt es, mittels gesprochener Nachrichten und projizierter Zeitungsüberschriften etwas Klarheit in die verworrenen Geschehnisse zu bringen. Auf dem öffentlichen Parkett werden nur die kurzen, taktischen Abmachungen verhandelt, die jedoch weittragende Folgen für das Volk und die jeweiligen Akteure haben – Realpolitik eben. „Im Idealfall bedeutet, Politiker zu sein, alles dem Amt als Diener des Staates zu opfern“, sagt der Regisseur dazu.

Zu dieser Aktualität tragen die Kostüme von Olga Shaishmelashvili bei – italienische maßgeschneiderte Anzüge für die Herren, elegante Abendroben für die genuesische Patriziergesellschaft, aufwändige Uniformen für die Amtsträger.

Vielleicht ist der Grund, warum Simon Boccanegra nie so ein Erfolg wurde wie die anderen Opern des späten Verdi – Otello und Falstaff – es geworden sind, dass die drei Hauptrollen tiefe männliche Stimmen sind, nur ein Tenor und ein Sopran sind vorgesehen. Natürlich gibt es wunderbare Verdische Melodien, aber keinen dramatischen, durchschlagenden Ohrwurm. In der Titelrolle gibt Bariton George Petean der Rolle Würde und Menschlichkeit – in Erinnerung bleiben seine ewige Sehnsucht nach Frieden und die Liebe zur Tochter. Bass Liang Li gibt seinem Erzfeind Jacopo Fiesco dunkel timbrierte Einsicht in seine Motivation, sich nach seiner Amtszeit als Geistlicher zurückzuziehen, aber immer noch ein mächtiger Drahtzieher zu bleiben. Bariton Michael Bachtadze bringt die richtige Mischung aus Intriganz und Manipulation zur stimmlichen Geltung. Dagegen glänzt der Tenor von Attilio Glaser als junger Liebhaber Gabriele Adorno und harmoniert mit dem warmen, geschmeidigen Sopran von Maria Motolyginas als Maria und Amelia. Wie man es von dem Chor der Deutschen Oper Berlin gewohnt ist, brilliert er in der vorzüglichen Einstudierung von Jeremy Bines.

Im Graben dirigiert Jader Bignamini das sehr gut aufgelegte Orchester der Deutschen Oper mit klarer Präzision, aber leider mit breiten Tempi und ohne Spannung, besonders im ersten Akt.

Insgesamt eine intelligent durchdachte Inszenierung, die glaubhaft eine komplexe Handlung wiedergibt. Dazu ein homogenes Sängerensemble – alles Komponenten, die für einen schönen Erfolg beim Publikum sorgen.

Zenaida des Aubris