O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Magali Dougados

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Premiere der Premiere

LE NOZZE DI FIGARO
(Wolfgang Amadeus Mozart)

Besuch am
13. September 2017
(Premiere)

 

Grand Théâtre de Genève

Er hat bei Götz Friedrich, Jean-Pierre Ponnelle und August Everding gelernt. Seine letzte Inszenierung der Hochzeit des Figaro war als Intendant an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf. Seit 2009 leitet er das Grand Théâtre de Genève. In Genf hat er allerdings nicht inszeniert. Mit umso größerer Spannung wird nun der Einstand von Tobias Richter am eigenen Haus erwartet. Er hat dazu den Mittelteil der derzeit stattfindenden Trilogie de Figaro gewählt: Le Nozze di Figaro von Wolfgang Amadeus Mozart. Das Haus ist wieder bis auf den letzten Platz gefüllt.

War beim Barbiere di Siviglia ein von einem Pfeil durchbohrtes Herz zu Beginn der Aufführung auf den roten Vorhang projiziert worden, ist es jetzt ein Doppelherz. Und natürlich wissen wir, was es bedeutet. Le Nozze di Figaro ist so oft aufgeführt worden – was soll man diesem Werk künstlerisch noch neu hinzufügen? Richter entscheidet sich für eine handwerklich-solide Interpretation und setzt Künstlernamen auf die Gästeliste des Ensembles, die mindestens in der Schweiz aufhorchen lassen. Das Bühnenbild ist in der Grundlinie durch die Trilogie vorgegeben. Der Entwurf stammt vom inzwischen 94-jährigen Ralph Koltaï, der allerdings nicht, wie ursprünglich angenommen, auf die beiden gleichen beweglichen Wände setzt, sondern vielmehr die Grundidee der beiden Wände für jedes einzelne Stück durchdekliniert. Richter braucht gleich sechs Wände inklusive Umbaupause. Trotzdem funktioniert die Idee und sogar besser als im ersten Teil der Trilogie. Wurden dort die Wände im späteren Verlauf teilweise doch eher unmotiviert bewegt, wirkt der Einsatz im zweiten Teil wesentlich durchdachter und moderner bis hin zur Abstraktion in der Gartenszene.

POINTS OF HONOR

Musik     
Gesang     
Regie     
Bühne     
Publikum     
Chat-Faktor     

Sue Blane setzt der Modernität die historisierenden Kostüme aus der Entstehungszeit der Oper entgegen, was für einen hohen Wiedererkennungswert und vor allem eine angemessene Veredelung sorgt. Schließlich ist Rosina inzwischen die Frau des Fürsten Almaviva und der Edel-Coiffeur mit ins Schloss gezogen. Linus Fellbom bleibt seiner Lichtgestaltung treu, verzichtet diesmal auf überbordende Effekte und verlässt sich lieber auf grundlegende Stimmungseinstellungen. Das geht genauso in Ordnung wie die Personenführung von Richter. Der lässt zwar auch häufiger das Personal an die Rampe treten, erweitert aber den Bühnenraum auf den Raum zwischen Graben und erster Sitzreihe und sucht in diesen Räumen den Kontakt zum Publikum. Ein ausgewogenes Maß an Bewegung, darunter freilich auch viel allzu bekannte musiktheatralische Gestik, aber auch immer wieder der Beweis, dass Mozart Tanzmusik geschrieben hat, sorgen für Kurzweil und auch Spaß – etwa wenn Marcellina und der Dirigent ein kleines Trinkgelage während ihrer Arie veranstalten.

Regula Mühlemann als Susanna – Foto © Magali Dougados

Guido Loconsolo ist der zweite Figaro der Trilogie – und fällt um Welten hinter dem ersten ab. Zwar gibt es stimmlich keine Einwände, aber darstellerisch bleibt er so blass, wie man lange keinen Figaro gesehen hat. Und so wird Graf Almaviva Held des Abends. Ildebrando d’Arcangelo verausgabt sich in jeder Hinsicht. Gesanglich wird er ohnehin längst als Mozart-Spezialist gefeiert. Hier zeigt er, warum man ihn auch aus tänzerischer und schauspielerischer Sicht mögen muss. Sein Einsatz ist großartig. Regula Mühlemann gilt seit dem Erscheinen ihres ersten Albums in der Schweiz als kleines Stimmwunder, ist aber auf dem internationalen Parkett bislang erst zaghaft angekommen. Das muss sich für jeden dringend ändern, der ihre Susanna erlebt hat. Als Rosina begeistert Nicole Cabell. Avery Amereau singt und spielt den Cherubino einwandfrei, bleibt aber hinter den Erwartungen dieses luciden, engelsgleichen Wesens zurück, das nicht von dieser Erde scheint. Ein Sonderlob verdient Melody Louledjian, die aus dem Opernstudio als Einspringerin eine ganz wunderbare Barbarina abliefert. Das nächste Lob geht an Richter, der Fabrice Farina als Don Curzio nicht stottern lässt. Auch so kann Farina der Rolle viel Spaß abgewinnen. Er beweist, dass körperliche Beeinträchtigungen nicht notwendig sind, um Lacherfolge zu garantieren. Vielen Dank. Monica Bacelli verdient sich ihre Lorbeeren als Marcellina, so wie die Nebenrollen adäquat besetzt sind.

Ein wahres Gesangsvergnügen, dem auch der Chœur du Grand Théâtre de Genève in der Einstudierung von Alan Woodbrigde in nichts nachsteht.

An diesem Abend steht Marko Letonja dem Orchestre de la Suisse Romande vor. Mit etwas mehr Ernsthaftigkeit und intensivem Einsatz für die Sänger gelingt ihm auch eine bessere Balance zwischen Bühne und Graben als am Vorabend. Den Einsatz des Cembalos gibt er an Xavier Daml ab, der sich diskret, aber ausgesprochen wirkungsvoll im Hintergrund hält.

Das Publikum, das sich am Vorabend mit intensivem Szenenapplaus aufdrängte, hat, so scheint es, gelernt, dass ein Übermaß an Klatscherei eher störend als hilfreich ist. So reduziert sich der heutige Applaus auf einige, wenige Stellen und wird stark verkürzt. Das ist angenehm und angesichts einer dreieinhalbstündigen Aufführung auch dem Fortgang förderlich. Zum Schluss allerdings gibt es kein Halten mehr. Ensemble, Musiker und Leitungsteam werden gleichermaßen mit Applaus und Bravo-Rufen bedacht, was angesichts der ausgeglichenen Leistung angebracht ist.

David Pountney und Tobias Richter wollen in ihrer Trilogie Brücken schlagen zwischen den Geschichten von Pierre Beaumarchais. Mit Il Barbiere di Siviglia und Le Nozze di Figaro ist das gelungen. Die Brücke in die Gegenwart wird länger und steiniger.  Musikalisch wird es so gut wie keine Rossini- oder Mozart-Zitate geben, die Orchester-Besetzung Mozarts wird erweitert um Akkordeon und Schlagwerk. Komponistin Elena Langer verspricht für den dritten Abend einen „bittersüßen Sinn von Humor“.

Michael S. Zerban