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Aktuelle Aufführungen
IL BARBIERE DI SIVIGLIA
(Gioachino Rossini)
Besuch am
12. September 2017
(Premiere)
Die spielfreie Zeit ist vorbei. Jetzt müssen die Intendanten ihre Publika in die Häuser zurückholen. Am besten gelingt so etwas mit einem großen Paukenschlag. Der Genfer Intendant sieht sich dabei einer doppelten Herausforderung gegenüber. Für eine weitere Spielzeit muss er seinen Besuchern die Ausweichspielstätte an der Place des Nations schmackhaft machen.
David Pountney ist nach seiner erfolgreichen Zeit in Bregenz als Intendant an die Welsh National Opera gegangen, die 1943 in Cardiff, das liegt im britischen Wales, gegründet wurde. Kennt kein Mensch außerhalb von England. Pountney will das ändern. Und das auf künstlerisch hohem Niveau und nicht mit Spektakeln à la Bregenz.
Richter und Pountney kennen sich seit den 1970-er Jahren. Eines Tages, es mag so vor fünf Jahren gewesen sein, erzählte Pountney seinem Freund, dass er an einem Libretto zu Figaro arbeite. Seine Vorstellung war, eine Brücke zu schlagen zwischen der Opera buffo von Rossini, der schon eher in die seriöse Oper gleitenden Hochzeit des Figaro von Mozart und einem heutigen Kontext. Nachdem die beiden die Idee der Trilogie zu einem Projekt ausgearbeitet hatten, waren sie sich sehr schnell einig darüber, dass die Stücke sich auf der technischen Seite ähneln mussten, um eine Verbindung untereinander zu bekommen.
Musik | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
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Regie | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
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Während Pountney seine Trilogie im vergangenen Jahr in Cardiff in Englisch vorstellte, kommt sie jetzt an drei aufeinanderfolgenden Tagen nach Genf. Die walisische Auftragsarbeit Figaro Gets a Divorce der Komponistin Elena Langer, für die Pountney das Libretto verfasst hat und auch gleich Regie führt, wird in unveränderter Form als krönender Schlusspunkt am kommenden Donnerstag zu sehen sein, die beiden anderen Aufführungen werden in Genf in der Originalsprache Italienisch mit anderen Künstlern gezeigt. Es handelt sich also um eine echte Koproduktion und nicht, wie immer häufiger im Opernbetrieb üblich, um eine verdeckte Übernahme, bei der der eine produziert und der andere zahlt. Damit macht es dann auch Sinn, sich die Trilogie in Genf anzuschauen, selbst wenn man sie bereits in Cardiff bewundert hat. Und so warten auch in Genf noch einige Leckerbissen, die man so in Cardiff nicht erleben konnte. Dass es sich zudem um eine echte Trilogie handelt und nicht bloß drei Stücke hintereinander gespielt werden, weil das Thema so schön zueinander passt, wird sich vor allem im Bühnenbild zeigen.
Den Anfang macht Gioachino Rossinis Il Barbiere di Siviglia. Man kann ihn noch so oft zeigen: Er ist und bleibt ein Kassenschlager. So auch in der Opéra des Nations, wie sich die Genfer Oper in ihrer Zeit in der Ausweichspielstätte nach dem nahegelegenen Platz nennt. Nahezu alle Plätze auf der langgestreckten Tribüne sind besetzt. Man ist „zuhause“, und die Vorfreude auf die wunderbare Akustik ist groß.
2013 hat Pountney in Luzern La Cenerentola in der Regie von Sam Brown gesehen und ihn anschließend sofort verpflichtet, einen „sehr lustigen“ Barbier für die Trilogie zu inszenieren. Brown liebt es, Operetten und Komödien auf die Bühne zu bringen, sagt er. An diesem Anspruch gemessen, wird er am heutigen Abend hinter den Erwartungen zurückbleiben, hängt aber gleich zu Anfang auch die Messlatte sehr hoch. Während der Ouvertüre lässt er ein Scherenballett auftreten. Schwarzgekleidete Tänzer beiderlei Geschlechts hantieren mit überdimensionalen Scheren auf der leeren Bühne, an deren Rändern man schon das künftige Bühnenbild erahnen kann. Linus Fellbom, der während der restlichen Aufführung die Bühne angemessen ausleuchtet, spart hier nicht mit knalligen Weißlicht-Effekten. Morgann Runacre-Temple hat sich eine Choreografie ausgedacht, die nicht nur sehr effektvoll die markantesten Stellen der Ouvertüre herausarbeitet und so noch einmal unterstreicht, sondern dem Ballett einen Schwierigkeitsgrad abverlangt, der als „Einlage“ mehr als beachtlich ist. Das Publikum applaudiert stürmisch.
Wenn man einem Engländer sagt, er solle auf der Bühne etwas Komisches inszenieren, dieses Vorurteil sei hier gestattet, muss man immer mit Vaudeville rechnen. Auch Sue Blane lässt sich mit ihren Kostümen dazu hinreißen. Da sieht man den Chor in den berühmten buntgestreiften Sakkos und den Strohhüten oder später in geblümten Kitteln, den Figaro als verwegenen Komiker mit grellgeschminktem Gesicht und den Landadeligen mit seiner Samtjacke. Hart trifft es Rosina, die die Hälfte der Vorstellung mit einem unpassenden, roséfarbenen, blumengemusterten Morgenrock und in Pantoffeln herumlaufen muss, ehe sie schließlich in einem unvorteilhaften Brautkleid landet. Das passt zum schrillen Vaudeville, kaum aber zur Rolle. Auch Haushälterin Berta erinnert eher an eine Frau aus dem halbseidenen Milieu als an jemanden, der für einen ordentlichen Haushalt zu sorgen hat.
Ralph Koltaï hat die Ehre, ein Bühnenbild zu entwickeln, das allen drei Stücken standhalten muss. Es ist also klar, dass es multifunktional, beweglich und auf mehreren Ebenen zugänglich sein soll. Der Bühnenbildner stellt also zwei verschiebliche Wände auf die Bühne, in die Fenster und ein Balkon integriert sind. Auf der Rückseite führt eine Wendeltreppe zum Balkon hoch. Hinzukommen kommen an diesem Abend noch ein Bett, in dem Schubladen untergebracht sind, eine freibewegliche Bank und ein Flügel. Die Wände sind auf der Vorderseite mit Plastik versehen, so dass hier verschiedene Spiegeleffekte möglich sind, das feingelöcherte, fast siebartige Material schafft zudem Transparenz. Ein Entwurf, der so einfach wie genial ist. Damit kannst du von Romeo und Julia bis zur Aida alles spielen, ohne dass auch nur einen Moment Langeweile aufkommt. Um solches Ausgangsmaterial gekonnt einzusetzen, braucht es die Fantasie des Regisseurs.
Foto © Magali Dougados
Brown kombiniert hier vieles, was als lustig gilt. Angefangen vom Auftritt des Figaro auf den Rängen über das Zeitlupentempo bis zum Toupet von Bartolo kommt eigentlich alles vor. Zugegeben, der Einfall mit den Stoffhunden, die ebenfalls Blindenbrillen tragen, ist genauso ein Schmunzeln wert wie die Idee, Don Alonso als kleineres Abbild von Basilio zu doppeln. Ansonsten bleiben es überwiegend jede Menge Mätzchen, die in der Summe keine rechte Komik ergeben. Auch das Hin- und Herschieben der Wände wirkt in zweieinhalb Stunden bisweilen etwas unmotiviert. Seine Darsteller lässt er in den Rezitativen verhungern, so dass sie schließlich an der Rampe landen. Brown kann sich das leisten. Denn wer bei Rossini über gute Stimmen und ein schönes Orchester verfügt, braucht sich kaum mehr über die konzertante Aufführung hinauszuwagen. Und der Regisseur hat darüber hinaus spielfreudige Darsteller, die sich in aller Einfallslosigkeit noch profilieren können.
Allen voran einen spitzbübischen, harlekinähnlichen Figaro namens Bruno Taddia, der auch baritonal schön glänzt. Und wenn in tausend anderen Vorstellungen der Bartolo gar nicht dümmlich, trottelig oder schluffig genug dargestellt werden kann, nimmt Bruno de Simone die Rolle in geradezu wunderbarer Weise ernst. Immerhin haben wir es hier nicht mit einem Hofnarren zu tun, sondern mit einem verdienten Arzt, der sein Mündel so wohlgeraten großgezogen hat, dass ein Adeliger an einer Hochzeit mit ihr interessiert ist. Und so spielt de Simone es hier auch, vergisst dabei den Witz nicht und zeigt, wenn er ins Falsett aufsteigt, zudem seine stimmliche Bandbreite und sein Können. Ein schönes Paar sind Bogdan Mihai, der den Tenor des Grafen Almaviva wunderbar interpretiert, und Lena Belkina als Rosina. Bei ihr geht viel Wirkung dank der unglücklichen Kostüme verloren und sie muss viel Stimme und Darstellungsfreude zeigen, um das auszugleichen. Mary Feminear schließlich muss ziemlich viel verloren herumstehen, bis sie endlich ihre Arie zur Freude des Publikums vortragen darf.
Browns Stärke zeigt sich schließlich in der Bewegung des Chors. Das kann er. Und der Chor macht gern mit. Unter der bewährten Anleitung von Alan Woodbridge sind seine Auftritte auch stimmlich ein Genuss.
An das Pult des Orchestre de la Suisse Romande hat Richter niemand Geringeren als Jonathan Nott geholt, der zugleich das Cembalo übernimmt. Wenn der Dirigent zur Premiere antritt, ist seine Arbeit eigentlich bereits getan. Gewiss kann er auch jetzt noch kleine Hilfen geben, hier und da Unterstützung bieten, aber ansonsten kann er es sich auch mal leisten, für das Publikum zu dirigieren. Nott macht das so und hat sichtlich Spaß an seiner Mozart-Imitation. In der Opéra des Nations hat das sogar seine Berechtigung, denn schließlich bleibt der Dirigent hier die ganze Zeit im Blickfeld des Publikums. Und wer möchte bei Rossini schon einen verkniffenen Taktschläger erleben? Das Orchester muss sich halt auf seine Partitur konzentrieren, und das klappt meistens auch. Wenn es allerdings in die fulminanten Finals geht, zeigen sich die Feinheiten der Akustik. Da muss man auch als Dirigent aufpassen, nicht die Balance zu verlieren. Bei Nott gerät es mehr zu einem gewaltigen Klangrausch, bei dem man dann auch froh ist, wenn er geschafft ist.
Ein bunter Abend, mit dem es gelungen sein dürfte, die Besucher erneut für diese wunderbare Spielstätte zu begeistern und sie vor allem auf den Folgeabend vorzubereiten. Dann steht Le Nozze di Figaro in einer Inszenierung des Hausherrn auf dem Programm. Und die Sängernamen darf man sich auf der Zunge zergehen lassen.
Michael S. Zerban