O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Museum am Dom - Foto © Anneke Wolf

Opening 22

Augen schließen – Ohren öffnen

WOLFGANG RIHM ZUM 70.
(Wolfgang Rihm)

Besuch am
13. Februar 2022
(Einmalige Aufführung)

 

Opening 2022, Trier, Museum am Dom

Das Schlusskonzert fordert noch einmal Konzentration. Anders als die musikaffinen Spielorte in der TUFA, anders als die wunderbare Atmosphäre wie auch Akustik der Viehmarkt­thermen mit ihren römischen Substruktionen, stellt das zum Konzertsaal erklärte Eingangsfoyer des Museums am Dom dem Publikum eine Aufgabe. Wohin mit den Augen? – Wer sie offenhält, wird unvermeidlich geflutet von einer sakramentalen Bilderwelt, die hier natürlich nur das Programm des Hauses erfüllt, andererseits aber doch die Folgewirkung hat, dass sich hinter dem Pianisten am Klavier eine monumentale Christus-am-Kreuz-Plastik ins Gesichtsfeld schiebt. Gegen deren gebieterischem Schau-auf-mich! bleibt einem dann nicht viel anderes übrig, als einer Empfehlung des Komponisten Wolfgang Rihm zu folgen. Gesprächs­weise hat dieser einmal verraten, dass er beim Anhören seiner Werke die Augen lieber zumache. Das Zitat ist zu schön – und auch zu lehrreich – als dass es hier unterdrückt sei: „Es ist wie eine Obsession, wenn ich meine eigenen Stücke höre: Augen schließen und Ohren öffnen. Ich will in diesem Moment niemanden sehen, erst recht keinen, der vielleicht unaufmerksam ist. Es ist der Versuch, im Konzertraum einen Moment der absoluten Konzentration zu schaffen.“

Mit dem letzten Satz haben wir, ganz en passant, die Klammer, das, was Wolfgang Rihm und Udo Falkner verbindet, unterirdisch verbindet und womit diese Besprechung einsetzen und womit sie ebenso gut wieder ausklingen kann. Nichts anderes kennzeich­net das Klavierspiel Udo Falkners vielleicht besser, als wenn man es beschriebe als den Versuch, für die Dauer des Vortrags einen Moment der absoluten Konzentration zu schaffen. Dass die Kunst einst aus der Kirche, aus dem Glauben, aus der Religion hervorgegangen ist und nach dem Untergang der Religion so einiges an Substanziellem hinübergerettet hat, wozu die Kraft der Versenkung, das Ausblenden von Akzidentellem dazugehört; das spürt man gerade an diesem Ort der – notwendigerweise – museali­sierten Religion. Das Bilderverbot macht die Musik aus. Daran, wie Udo Falkner Wolfgang Rihm spielt, wird es hörbar.

Udo Falkner – Foto © Opening-Festival

Gleich zu Anfang setzt der Pianist ein Zeichen. Und natürlich eignet sich das Klavierstück Nr. 2 aus dem Jahr 1971 tatsächlich für solcherart furiosen Beginnens, mit diesem Blitz und Donnerschlag, den der Komponist da unvermittelt ins Instrument hineinfahren lässt. Die serielle Konstruktivität dieser Musik hilft sehr, dass man ins Konzert hineinkommt. Und doch – gerade diese Strukturiertheit hat Rihm Jahre später, selbstkritisch, als den eigentlichen Mangel des Stücks bezeichnet. Irgendeinem System zu folgen, sich seinen Beschränkungen zu unterwerfen, das sei im Grunde eine vorkünstlerische Haltung, sei pubertär. Musik, Komposition, so Rihm, beginne erst, wenn man sich von allem Systematischem verabschiedet habe.

Genau das wird denn auch im weiteren Verlauf des Konzerts hörbar: In dem seit 2000 begonne­nen work in progress Zwei Linien, ein Nirgendwoher und ein Nirgendwohin sowie vor allem in der zwischen 1992 und 1994, über zwanzig Jahre nach dem Klavierstück Nr. 2 entstandenen Nachstudie. Eine auskomponierte Meditationsübung, die Udo Falkner ans Ende seines Programms platziert hat, noch vor dem entfesselt daherkommenden Klavierstück Nr. 7, das dann wieder zum Jungen Wilden Wolfgang Rihm zurückblendet. Größer, so denkt man bei sich, kann die Entfernung eigentlich nicht sein: Hier die Werke der Frühphase mit den Sechs Preludes des 15-jährigen Jungkompo­nisten, daneben die noch uneigentliche Übergangsphase – und dort eine Musik, die aller Äußerlichkeit abschwört, die punktuelle Ereignisse setzt und ihnen dann buchstäblich nach-hört. Ein Werk, das mit einer Dauer von fünfundzwanzig Minuten gleich im Anschluss an die Konzertpause haargenau an der richtigen Stelle sitzt.

Apropos: Dass Udo Falkner mit der Klaviermusik von Wolfgang Rihm ein Maß an Vertrautheit erreicht hat, ist überhaupt der beherrschende Eindruck dieses das Trierer Opening-Festival glücklich beschließenden Konzertabends. Im Nachklang deshalb eine Empfehlung: Wer das eine und andere der hier angetippten Stücke, der hier eingestreu­ten Wahrnehmungen nachprüfen, nachhören möchte, sei verwiesen auf die 2007 bei telos music records herausgekommene Rihm-Einspielung des Düsseldorfer Pianisten: Drei mal eine Stunde Musik, Scheibe für Scheibe. Alles, was Wolfgang Rihm bis zum Produktionszeitraum je fürs Klavier aus seiner Werkstatt entlassen hat, hat sich Udo Falkner in sein Repertoire geholt – ersichtlich selbst noch einmal ein Dokument an Konzentration wie der Kraft dazu. In der Zugabe zum Konzert holt der Künstler zu guter Letzt noch Rihms bezaubernden Brahmsliebewalzer heraus, eine Referenz, eine kollegiale Liebeserklärung, die nichts zitiert, die vielmehr alles in einen Echoraum verschiebt. In einen, der uns fern gerückt ist, der uns aber, wie die Dinge nun mal liegen, auch nicht verlässt. Eigentlich ganz tröstlich.

Georg Beck