O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © O-Ton

Opening 22

Sofa-Musik

VOM HIMMEL LÄCHELT
(Josef Matthias Hauer)

Besuch am
12. Februar 2022
(Einmaliges Gastspiel)

 

Opening 2022, Trier, TUFA

Wie schön, dass das Festival immer erst nachmittags beginnt. So können die Besucher tagsüber den herrlichen Sonnenschein über Trier genießen. Die Laune könnte also kaum besser sein, wenn es zurück in die Hauptspielstätte der Festspieltage geht. Das ist das Kultur- und Kommunikationszentrum TUFA, das 1985 in einer ehemaligen Tuchfabrik entstand. Heute ist es nach eigenen Angaben das größte soziokulturelle Zentrum in Rheinland-Pfalz. Das Wichtigste: Es stellt dem Opening-Festival seine Ressourcen zur Verfügung. Außerdem gibt es im Gebäude das Restaurant Textorium. Der Wermutstropfen ist, dass die Gastronomie ihre Öffnungszeiten nicht an das Festival anpasst. Das mag den Umsätzen des Lokals nicht schaden, zeugt aber kaum vom Servicegedanken. Auch vor der heutigen Veranstaltung ist der Laden wieder geschlossen; glücklich, wer sein Getränk mitbringt.

Vom Himmel lächelt zeigt eine weitere Seite des Festivals. Zusätzlich zu den musikalischen Aufführungen gibt es auch Ausstellungen, die sich im Idealfall mit den musikalischen Darbietungen verbinden. Eine davon ist in diesem Jahr das Dormitorium der Künstlerin Christine Fausten. Die setzt sich seit längerer Zeit mit Hölderlin-Gedichten und deren Bearbeitung auseinander. Im ersten Obergeschoss des Gebäudes hat sie einen Ausstellungssaal zur Verfügung gestellt bekommen, den sie nutzen will, um Besucher auf einer „persönlichen, mitunter auch unbewussten Ebene“ anzusprechen. Die Besucher sollen auf ihren Exponaten Platz nehmen, um „dem gemächlichen Treiben der schwebenden Objekte zuzuschauen, einem inneren Gefühl der Leichtigkeit Raum zu geben und der Musik nachzuspüren“. Eine Wand aus Leinwandstreifen grenzt den Raum ein, in dem schwebende Objekte, die mit Leuchtketten ausgestattet sind und an Wiegen oder Brutbeutel erinnern, über dem „Hölderlin-Sofa“ hängen. Hier hat Fausten die Wäschestücke verstorbener Angehöriger aufgerollt und zu einer Liege geformt, auf der ein Laken mit einem Gedicht Hölderlins beschriftet ist. In dieses Umfeld lädt die Künstlerin die Menschen ein, ihr zu lauschen, wenn sie Gedichte von Friedrich Hölderlin in einer Vertonung von Josef Matthias Hauer auf dem Akkordeon vorträgt.

Foto © O-Ton

Musik, wie sie kaum älter sein kann? Gewiss. Und doch war sie zur Zeit ihrer Entstehung eine reine Pionierleistung. Denn Hauer verfasste 1919 Zwölftonmusik, also etwa ein Jahr, ehe Arnold Schönberg und die Wiener Schule diese Form der mathematischen Musik propagierten. Die Besucher lassen sich davon nicht abschrecken. Mit diesem Ansturm hat wohl selbst die Festivalleitung nicht gerechnet. Eilig werden mehr und mehr Stühle herangeschafft. Da wird auch geduldig mit dem Beginn des Konzertes gewartet, bis alle ihren Platz gefunden haben. Fausten übrigens nicht, wie angekündigt, auf dem Sofa, sondern, wie gewohnt, auf einem Stuhl vor einem Notenpult. Deshalb haben Personen, die sich gern besonders im Mittelpunkt wähnen, das Sofa für sich vereinnahmt.

Der Gesang ist nicht der Verständlichkeit, sondern dem Sentiment gewidmet. Und so greifen die Besucher alsbald zum Programmheft, sofern zuvor käuflich erworben, um den Texten folgen zu können. Vier Gedichte trägt Fausten vor, die vom Aufblühen und von der Vergänglichkeit in der Natur erzählen. Und finden damit zum Begriff des Dormitoriums zurück. Einst profan als – höchst ungemütlicher – Schlafsaal von Mönchen definiert, versteht man darunter auch die Ruhe- oder Grabstätte, die wohl hier auch eher gemeint ist.

Zurück bleibt nach kurzem, aber intensivem Applaus weniger die geschilderte Ruhe und Gelassenheit, sondern das lebendige Miteinander der Gäste. Ist ja auch ein schöner Effekt. Ja, vielleicht auch ein bisschen die Ruhe vor dem Sturm oder das Vorprogramm zu einem der Höhepunkte des Festivals. Denn als nächstes steht das Schweigen der Dafne an.

Michael S. Zerban