O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Germaine Sijstermans - Foto © O-Ton

Opening 22

Töne und Geräusche

ELEXEN/RARE EARTH
(Diverse Komponisten)

Besuch am
12. und 13. Februar 2022
(Einmalige Aufführungen)

 

Opening 2022, Trier, TUFA

Es hat seinen Grund, dass das Opening-Festival seinen Beinamen trägt: Internationales Festival für aktuelle Klangkunst. Bernd Bleffert und Thomas Rath, die beiden künstlerischen Leiter, haben sich bewusst für den Begriff der Klangkunst entschieden, um sich nicht auf bestimmte Bereiche der Musik festlegen zu lassen. Nach ihrem Verständnis hat die alte Musik in ihrem Festival die gleiche Berechtigung wie die neue oder die Gegenwartsmusik, weil die Musik unserer Tage immer auch auf der Musik längst vergangener Zeiten aufbaut. Und überhaupt währt die Diskussion, was Musik überhaupt ist, vermutlich solange es Musik gibt. Einen wesentlichen Beitrag lieferte John Cage 1952 mit seinem dreisätzigen Werk 4’33 ab – in dem kein einziger Ton gespielt wurde. Ab wann ist es Musik, und wenn es Musik ist, impliziert der Begriff dann auch eine Richtung? Diesen Fragen kann man mit einem Begriff wie Klangkunst bequem aus dem Weg gehen, man kann sich aber vor allem damit auch für alle Richtungen offenhalten, ohne Trends hinterherlaufen oder Weiterentwicklungen finden zu müssen. Zwei Konzerte stehen beispielhaft für die gewünschte Bandbreite des Festivals. Am Samstagabend führen Germaine Sijstermans und Marcus Kaiser vor, was man mit einzelnen Tönen im Wechsel mit Stille anstellen kann, am Sonntagnachmittag zeigt Lucas Fels, was man mit einem Cello veranstalten kann, wenn man es nicht in herkömmlicher klassischer Weise spielen möchte.

Lucas Fels – Foto © O-Ton

Wie Christine Fausten zeigt auch Sijstermans eine Ausstellung. Die Klarinettistin und Komponistin betätigt sich gern auch als Installationskünstlerin, um dann innerhalb ihrer raumgreifenden Installationen ihre eigenen Musikstücke aufzuführen. Während des Festivals hat sie im zweiten Obergeschoss der TUFA die Installation Kaii-ii gehängt. Ein Kaii-ii ist die Behausung der Pirahã, einem Stamm, der im Amazonasgebiet lebt und als „das glücklichste Volk der Welt“ gilt. Die Hütten werden als temporäre Gebilde begriffen. Sijstermans stellt sie mit Fäden und daran befestigten steinähnlichen Gebilden dar, die Strukturen im Raum bilden. Der gelernte Respekt der Deutschen vor der Kunst ist hoch. Obwohl nirgendwo „Berühren verboten“ steht, kommt niemand auf die Idee, die Fäden in Schwingung zu versetzen. Brav nehmen die Besucher sich Stühle aus dem Vorraum mit in den Saal und setzen sich an den Wänden entlang. Am Kopf- und Fußende ist jeweils ein Notenpult aufgestellt. Oben nimmt Sijstermans mit ihrer Bassklarinette Platz, unten sitzt bereits Marcus Kaiser mit seinem Cello. Der dritte im Bunde, der eigentlich eine zweite Komposition mitspielen sollte, Theo van der Poel mit Akkordeon, fällt wegen einer Corona-Infektion aus. Es bleibt also bei dem Stück Elexen. Es bleibt eine Abfolge von Tönen. Sijstermans gibt einen Ton vor, Kaiser zieht nach. Danach Stille. Es ist eine Mischung aus Minimal Music und Meditation. Viele der zahlreichen Besucher, die sich zu später Stunde noch einfinden, schließen die Augen. Anderen fällt es schwer, sich nach dem aufwühlenden Schweigen der Dafne auf diesen Raum der Ruhe zu konzentrieren. Sähe man die Aufführung unter dem Label „neue Musik“, wäre es wohl eine jener typischen Aufführungen, die Besucher eher verschrecken. Unter dem Begriff Klangkunst bleibt die Toleranzschwelle höher.

Marcus Kaiser – Foto © O-Ton

Am nächsten Nachmittag, wieder ist es ein wunderbar sonniger Tag, lockt der Name des Künstlers viele Menschen in den Großen Saal der TUFA. Lucas Fels gilt als einer der renommiertesten Cellisten im Bereich der neuen Musik. Und Thomas Rath ist in seiner Anmoderation auch sichtlich stolz, den Musiker in Trier begrüßen zu dürfen. Neben Stücken von Jonathan Harvey, Gerhard Stäbler, Kunsu Shim und Mark Andre spielt er auch Rare Earth, ein Werk von Dorothy Ker, die ebenfalls anwesend ist und ihm die Notenblätter wendet. Vom herkömmlichen Verständnis von Musik ist diese Klangkunst ziemlich weit entfernt. Gleichwohl ist es auch für den unkundigen Hörer neuer Musik faszinierend zu erleben, wie die Komponisten offenbar alles daran setzen, auf dem Instrument Geräusche zu erzeugen, die man mit ihm nicht im Entferntesten assoziierte. Und es fällt einem schwer zu glauben, dass irgendjemand anders in der Lage wäre, das Cello so zu behandeln wie Fels.

Ehe Opening 22 mit einem Konzert von Udo Falkner mit Klavierwerken von Rihm zu Ende geht, bleibt Zeit, sich ein paar Gedanken über das Festival als solches zu machen. Prinzipiell ist das Konzept überzeugend. Opening will kein zweites Donaueschingen sein und setzt sich damit auch nicht dem Druck aus, irgendetwas „Neues“ präsentieren zu müssen. Bleffert und Rath verfügen über ein kleines Budget, das aber immerhin groß genug ist, dass die beiden nicht den Spaß daran verlieren, weiter nach ungewöhnlichen Projekten zu suchen respektive sie auf sich zukommen zu lassen. In angenehmer Atmosphäre erleben die Besucher ein abwechslungsreiches Programm, das wohlwollend bis begeistert angenommen wird. Für die Stadt in der Provinz ist es mit Sicherheit ein Leuchtturmprojekt.

Michael S. Zerban