O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Jutta Schwegler

Münchner Opernfestspiele 2025

Inniges Sehnen, sehnend Verlangen

JULIA KLEITER UND CHRISTIAN GERHAHER
(Robert Schumann)

Besuch am
20. Juli 2025
(Einmalige Aufführung)

 

Münchner Opernfestspiele im Prinzregententheater

Nach Piotr Beczala folgen noch weitere Liederabende im Rahmen der Opernfestspiele, Jonas Kaufmann singt im Nationaltheater, Konstantin Krimmel tritt mit Maren Ulrich als Rezitatorin im Prinzregententheater auf, dort singt auch Christian Gerhaher noch ein Solorecital. An diesem Abend steht er mit Julia Kleiter für Robert Schumanns Myrthen auf der Bühne.

Die echte Myrte, eine mediterrane Pflanze mit weißen Blütchen, verkörpert in verschiedenen Kulturen symbolisch Schönheit, Liebe und Reinheit. Die alten Griechen und Römer schmückten jungfräuliche Bräute mit Myrtenkränzen. Deshalb nutzt man sie in manchen Gegenden bis heute für Brautsträuße und als Anstecker für den Anzug des Bräutigams. Nach einer arabischen Legende soll Adam aus dem Paradies als lebendige Erinnerung an das Glück einen Myrtenzweig mitgenommen haben. Aus den Blättern der Pflanze wird ein ätherisches Öl gewonnen, das heilsame Effekte haben soll, nicht zuletzt findet es Eingang in verschiedene alkoholische Destillate. Der Name kommt vom griechischen „myron“, was soviel wie Balsam bedeutet.

Christian Gerhaher, 2022 – Foto © Wilfried Hösl

Es verwundert so gar nicht, dass Schumann die 26 Lieder am 12. September 1840 seiner Frau Clara mit dem Titel Myrthen zur Hochzeit schenkt. Die Verbindung der beiden endet schließlich, nach langen Wirren und Schwierigkeiten – vor allem wegen der Weigerung des Brautvaters, in die Hochzeit einzuwilligen – in diesem Schritt. Clara begleitet Schumanns Leben und Leiden bis zu seinem Tod 1856 und überlebt ihn um 40 Jahre, bis sie zu ihm ins Ehrengrab in Bonn beigesetzt wird. Liebessehnsucht und -schmerz, die Zeit als Verlobte und später die Mutterschaft Claras, aber auch übergeordnete philosophische Themen spiegelt die Komposition immer wieder. Anspielungen und kompositorische Hinweise zeugen von der engen Verbindung der beiden Liebenden. Die Lieder verwenden als Vorlage Poesie von verschiedenen Dichtern, im Untertitel schreibt Schumann: Liederkreis von Göthe, Rückert, Byron, Th. Moore, Heine, Burns & J. Mosen.

Das Prinzregententheater füllt sich an diesem schwülen Abend vor einem Gewitter gut, etwa dreiviertel der Plätze sind belegt, und eine knisternde Spannung schwebt über den Sitzreihen, betritt doch gleich ein sehr verdienter, wahrer Meister des Liedes die Bühne. Gerhaher und Kleiter arbeiten seit einigen Jahren zusammen, die Sopranistin hat sich in der letzten Zeit an die Spitze der Interpretinnen gesungen. Die beiden tragen die Myrthen-Gesänge opus 25 im Wechsel vor, und dadurch bekommt man als Zuschauer den Eindruck einer kleinen szenischen Aufführung. Natürlich singt Kleiter die Frauen- und Gerhaher die Männerlieder, im Verlauf bemerkt man jedoch auch eine Verteilung, die der Sopranistin die eher schwärmerischen, sehnsuchtsvollen, Gerhaher eher die forschen, die auch schon mal polternden Gesänge gibt. Dennoch zeigen beide auch immer wieder einerseits dramatischen Impetus und andererseits zartestes Gestalten.

Die Sänger verfolgen sich gegenseitig mit voller Aufmerksamkeit, hören dem anderen zu, lachen fast befreit, als Gerhaher mal zu bald aufsteht und singen will, und geben sich voll konzentriert hinein in das Geflecht der Beziehungen.

Gerold Huber am Klavier ist beiden ein wahrer Partner, mit Gerhaher arbeitet er seit der Gymnasialzeit in Straubing zusammen. Nicht nur, dass er einfach wunderbar sensibel begleitet, er ist immer ganz nah bei den Stimmen, ja, bei den Seelen der Sänger, trägt und stützt sie, hilft manchmal bei schwierigen Passagen aus, ignoriert kleine Textschwächen. Seine Vor- und Nachspiele sind kleine Kunstwerke für sich, hier führt er die Stimmung weiter und greift auch mit Lust witzige Situationen auf.

Julia Kleiter, 2022 – Foto © Wilfried Hösl

Gerhaher hat eine ganz besondere Beziehung zu Schumann, was sich in zahlreichen Beiträgen seinerseits und vor allem dem Projekt niederschlägt, gemeinsam mit Huber und wenigen anderen Sängern bei einzelnen Stücken, sämtliche Schumannlieder aufzunehmen. In elf Alben wurde es in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Rundfunk 2015 veröffentlicht. Man merkt dem Sänger in jeder Faser seines Körpers an, dass ein unbedingter Ausdruckswille, ein Herausarbeiten seines tiefen Verständnisses für diesen Komponisten an erster Stelle steht. Seine Stimme läuft an diesem Abend gut und gibt einem der größten Gestalter des Kunstliedes reichlich Möglichkeiten, seine Vorstellung von dem, was er schaffen möchte, zu realisieren. Gerade die leiseren Lieder liegen ihm besonders gut, hier blühen lyrische Linien auf, bei heftigeren Passagen hingegen kommt oft Druck auf. Aber man darf sich dem nicht verschließen, was der Sänger in klarer Selbsterkenntnis in einem Interview geäußert hat: „Die Vorstellung dessen, was man schaffen möchte, ist riesig und die Fähigkeiten werden weniger“ und „Die Volatilität der täglichen Leistungsfähigkeit nimmt zu, wenn man älterer Sänger wird.“ An diesem Abend aber genießt man sie, Lieder wie Sitz ich allein aus dem Schenkenbuch im West-östlichen Divan oder Mein Herz ist schwer aus den Hebräischen Gesängen. Weise, wie aus einer anderen Welt erklingt in Bezug auf das „schwere Herz“ des lyrischen Ichs „Da brech‘ es, oder heil im Sang“.

Kleiter steht ihm in Verständlichkeit und Ausdruck in keiner Weise nach. Hinzu kommt eine unglaublich reiche Sopranstimme, die in ihrer Wärme und Fülle immer lyrisch bleibt, ein fast unmerkliches, gesundes Vibrato auf dem fließenden Atem hat und durch alle Lagen hindurch mühelos singt. Ganz besonders bei ihr zu bemerken ist der Farbenreichtum der Stimme, dessen sie sich mit unmittelbarem Ausdruck, moderatem, natürlichem Einsatz von Gestik und Mimik bedient. Sie ist eine wunderbare Erzählerin, die das Publikum miteinbezieht, sehr gut verständlich singt und mit großer Delikatesse auch tiefste Gefühlswallungen übermittelt, wobei auch das Schelmische, Witzige ihr liegen. Ihre Lieder und Gesänge aus Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre geraten zu den Höhepunkten des Abends. Nur wer die Sehnsucht kennt macht tiefes Leid auch beim Zuhörer körperlich spürbar. Romanzen und Balladen aus opus 64 am Ende führen beide Sänger zusammen zum Duett am Grab mit der Linde und schließen so einen Lebenskreis.

Die beiden Stimmen harmonieren gut miteinander, ein Eindruck, den das absolut begeisterte Publikum bei weiteren Duetten in zwei Zugaben noch vertiefen kann: Wenn ich ein Vöglein wär‘ und Sommerruh. Ein tiefgehender, außergewöhnlicher, die Zuschauer beschenkender Liederabend geht damit zu Ende.

Jutta Schwegler