O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Das Landesjugendorchester NRW verreist

Zum Schluss das Feuerwerk

Die Begeisterung ob der Fähigkeiten, die die jungen Musiker des Landesjugendorchesters NRW an den Tag gelegt haben, kennt keine Grenzen. Aber was ist der Preis dafür? Am letzten Tag im belgischen Mons zeigt sich: Sie sind „ganz normale“ Jugendliche mit all ihren Wünschen, Sehnsüchten und Erwartungen. Das ist vermutlich die schönste Erkenntnis nach einer aufregenden Konzertreise.

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Wer bin ich?“ steht auf dem Abendzettel des Landesjugendorchesters NRW. Es bleibt offen, an wen sich die Frage richtet. Sicher ist allerdings, dass die Musiker jetzt alle in dem Alter sind, in dem man beginnt, sich diese Frage zu stellen, die einen bei entsprechendem Reflexionswillen bis zum Tod begleiten wird. Wer bin ich? Und wer bin ich im Bezug zu meiner Umwelt? Beide Fragen gehören zusammen. Deshalb ist auch diese Reise nach Europa für die Jugendlichen so wichtig. Mit anderen Sprachräumen, vielleicht sogar anderen Lebensgewohnheiten oder Kulturvorstellungen konfrontiert zu werden, ist ein entscheidender Schritt zum Erwachsenwerden. Wenn die Heranwachsenden sich auch nur unterbewusst damit auseinandersetzen, wäre die Reise nach Frankreich und Belgien schon ein doppelter Gewinn.

Vorerst allerdings müssen sie sich auf veränderte Auftrittsbedingungen einstellen. Zwar geht es an diesem Tag auch wieder in einen Kirchenraum, aber der Auftritt im belgischen Mons findet nicht um seiner selbst willen statt. Die Stadt hat die Jugendlichen eingeladen, das Volksfest anlässlich des belgischen Nationalfeiertags zu eröffnen. Das klingt erst mal nach einer besonderen Ehre. Bei näherem Hinschauen zeigt sich allerdings, dass es keine Eröffnungsveranstaltung ist – Bürgermeister oder ähnliche Honoratioren der Stadt wird man in der Stiftskirche Sainte Waudru vergeblich suchen. Es ist lediglich das erste Konzert auf dem Programmzettel. Und auch bitte nicht so lang und nach Möglichkeit nicht feierlich, haben die Veranstalter noch mit auf den Weg gegeben. Bedingungen, die man gern erfüllt, wenn der Auftritt eine Nachmittagsveranstaltung ist.

Sebastian Tewinkel, musikalischer Leiter des Projekts, hat daher entschieden, sich auf die Morgenstimmung und In der Halle des Bergkönigs auf der ersten Peer-Gynt-Suite in Verbindung mit Rimski-Korsakows Scheherazade zu beschränken. In gemeinsamer Absprache verzichten die Musiker für den Nachmittag auch auf die festliche Konzertbekleidung, die sie bei den beiden vorangegangenen Auftritten getragen haben. Ordentlich und adrett soll die Kleidung sein, hat Rita Menke die Devise ausgegeben. Sie ist bereits vor der Anspielprobe wieder und eines der letzten Male in ihrem Element. Denn legendär sind ihre Fußmassagen, wenn die jungen Leute sich bei ihr über Verspannungen in der Schultermuskulatur beklagen. Es wird vermutlich mehr als eine Anekdote über ihren unermüdlichen Einsatz als „Mutter der Kompanie“ in 38 Jahren kursieren, aber dies ist mit Sicherheit eine der schönsten. Bei dem liebevoll gemeinten Begriff stört sie ein wenig der militärische Ausdruck, aber über das Kompliment freut sie sich sehr. Neben dem hohen organisatorischen Aufwand der Arbeitsphasen, für den sie als Orchestermanagerin verantwortlich war und mit dem sie sich auch durchaus wohlfühlte, ist ihr bis heute besonders der zwischenmenschliche Umgang mit ihren „Schützlingen“ eine besondere Befriedigung bei der Arbeit. Das wird sie auch vermissen, aber auf die Strapazen der Organisation und der Reisen kann sie in Zukunft gut verzichten, verrät sie. Jetzt aber genießt sie noch einmal die Zugabe, die selbstverständlich auch in Mons zu ihren Ehren aufgeführt wird.

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Und dann ist Schluss mit der Anspannung. Eigentlich könnte es nach dem Konzert schnurstracks nach Hause gehen, aber Rychlinski und sein Team wollen den Orchestermitgliedern auch noch den Besuch des Volksfestes und vor allem das Feuerwerk um Mitternacht ermöglichen. Das Zentrum des Festes stellt eine Bühne am Bahnhof der Stadt dar, auf der allerdings eine Musik gespielt wird, wie sie kaum gegensätzlicher sein könnte. Damit kann man die Jugendlichen nicht wirklich begeistern, und so treffen sich viele von ihnen auf dem Marktplatz wieder. Hier hat Tewinkel in der sommerlichen Hitze die Vorteile eines Brunnens entdeckt, der aus einer Reihe von Wassersäulen besteht. Ja, er ist der Rädelsführer. Ob er sich allerdings die Konsequenzen seiner Entscheidung, kurzerhand mal bekleidet durch das Wasser zu stapfen, bewusst ist, darf dahingestellt sein. Jedenfalls wird er sofort nachgeahmt. Ein Riesenspaß. Finden die Jugendlichen, die alsbald tropfnass auf dem Marktplatz stehen. In der Tat wird es der schönste Moment des Aufenthalts in Mons werden. So unbeschwert hat man die Musiker dann doch während der ganzen Woche nicht erlebt.

Zum Abendessen muss sich die gesamte Truppe vor der Bühne auf dem Bahnhofsvorplatz einfinden. Eine Mahlzeit, über die hier vor allem unter gesundheitlichen Aspekten kein weiteres Wort verloren werden soll. Die Musik gleicht sich der Qualität der Verpflegung an. Hauptsache laut, scheint hier die Devise zu sein. Die Bürger von Mons kennen das offenbar schon. Jedenfalls hat man in Deutschland selten ein so lausig besuchtes Stadtfest erlebt. Auch die Jugendlichen aus Nordrhein-Westfalen verlieren da bald die Party-Laune und verkrümeln sich in die Stadt. Erst zum Feuerwerk wird es wieder voll auf dem Platz. Ein versöhnlicher Ausgang also und Zeit für ein Fazit, das Kontrabassist Jonathan Berle so auf den Punkt bringt: „Es war eine großartige Reise und wird mit Sicherheit ein unvergessliches Erlebnis bleiben.“

Am nächsten Morgen geht es von Tournai aus wieder in die Heimat. Im September geht es dann mit dem zweiten Teil der Arbeitsphase in Deutschland weiter. Am 27. September wird Rita Menke anlässlich des Konzerts im Saalbau Witten offiziell verabschiedet. An den beiden nachfolgenden Tagen darf sihttps://www.facebook.com/media/set/?vanity=otononline&set=a.798180885631053ch das Publikum in der Remise Burg Langendorf und in der Kathrin-Türks-Halle in Dinslaken darauf freuen, das Landesjugendorchester NRW mit einem mitreißenden Programm in exzellenter Qualität zu erleben, ehe am 27. Oktober im Kölner WDR-Sendesaal die Aufzeichnung der Live-Aufführung stattfindet.

Michael S. Zerban

Mehr Eindrücke von der Reise gibt es hier in der Bildergalerie.