O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Matthias Horn

Ruhrtriennale 2021

Gruselfreier Poe

DER UNTERGANG DES HAUSES USHER
(Edgar Allan Poe)

Besuch am
14. August 2021
(Uraufführung)

 

Ruhrtriennale, Maschinenhalle Zweckel, Gladbeck

Das Städtchen Gladbeck mit seinen rund 75.000 Einwohnern liegt in direkter Nachbarschaft zu Essen. Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die ländliche Gemeinde, als der Kohle-Abbau begann. So entstand zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Maschinenhalle der Zeche Zweckel als repräsentativer Bau des königlich-preußischen Staates. Seit 1971 gibt es den Bergbau in Gladbeck nicht mehr, aber die Maschinenhalle ist geblieben. Befreit vom Zechenbetrieb, hat sie so etwas wie einen Schloss-Charakter, auch wenn umstehende Fördertürme und ein paar verbliebene Maschinen in der Halle selbst noch an den ursprünglichen Zweck erinnern. Aber sie steht eben nicht nur für die Kultur des Bergbaus, sondern ist auch als Spielstätte Bestandteil der Ruhrtriennale. Und in diesem Jahr wird das überwiegend vom Land Nordrhein-Westfalen mit rund zwölf Millionen Euro finanzierte Festival hier auch eröffnet.

Für die Besucher steht sogar laut Website ein Innenparkplatz zur Verfügung, der von den Einweiserinnen hervorragend bewirtschaftet wird. Dass Sprache für das Festival von peripherer Bedeutung ist, wird die neue Intendantin, Barbara Frey, mit ihrer eigenen Inszenierung auch gleich beweisen. Vorerst bietet die Maschinenhalle eine wunderbare Kulisse, vor der Prominente und nationale wie internationale Pressevertreter gern verweilen. Da wird dann eine zehnminütige Verspätung auch schon mal in Kauf genommen, damit der Ministerpräsident des Landes, Armin Laschet, und seine Kultusministerin, Isabel Pfeiffer-Poensgen, zu ihrem Platz in der ersten Reihe finden können. Dass Pfeiffer-Poensgen bei Betreten der Halle auf das Anlegen einer Maske hingewiesen werden muss, zeigt noch einmal die ganze Absurdität der Ordnungsmaßnahmen. 3-G-, Abstands- und Maskenpflicht-Regeln in einer Halle, in der es vermutlich Wochen bräuchte, um sie mit irgendwelchen relevanten Aerosolen auch nur annähernd zu füllen, scheint abseits jeder Lebenswirklichkeit. Selbstverständlich fügen sich die Besucher trotzdem, um die Durchführung der Veranstaltung nicht zu gefährden.

Foto © Matthias Horn

Der Ausblick auf die Bühne ist selbst aus der letzten Reihe der steil aufsteigenden Tribüne ausgesprochen eindrucksvoll. In der Bühnenmitte sind die Maschinen als Sinnbild der ursprünglichen Funktion der Halle verblieben. Davor hat Martin Zehetgruber seine Bühne installiert. Zwei Konzertflügel sind auf der linken Seite aufgestellt. In den Zwischenräumen der Maschinen sind Schlagwerke untergebracht. Davor gibt es ausreichend Platz für Bücherstapel und ein paar Stühle. Die übermannshohen Fenster, die die Bühne auf drei Seiten umgeben, sind mit Brettern verschlagen. Hier ist ausreichend Platz, um zwei Fußballmannschaften auftreten zu lassen. Frey kommt vorerst mit weniger Personal aus, um Der Untergang des Hauses Usher aufzuführen.

Oder das, was sie darunter versteht. Denn tatsächlich bringt sie unter dem Titel, der eigentlich für eine Kurzgeschichte von Edgar Allan Poe steht, gleich fünf Erzählungen des Autors unter. Da bildet das Haus Usher nurmehr die Klammer, die die Geschehnisse mehr oder minder zusammenhält. Eine „mehrsprachige und musikalische Reise“ soll der zweistündige Abend werden. Allerdings impliziert der Begriff Reise Bewegung. Und davon gibt es hier reichlich wenig. Die größte Bewegung bringt wohl etwas über die Bühne, das man als Fledermaus vermuten darf, die verschreckt oder aufgeregt immer wieder durch ihr Reich flattert. Frey hingegen zeigt deklamatorisches Theater, ersetzt Handlung durch eine Reihe gelungener Effekte. Das wirkt ein wenig aus der Zeit gefallen, um den Begriff altbacken zu vermeiden. Es gibt eine Unmenge Text, der auch nicht dadurch lebendiger wird, indem die Regisseurin ihn auf Deutsch, Englisch und Ungarisch zitieren und mit Übertiteln ergänzen lässt. Warum der Abend überhaupt dreisprachig sein muss, erschließt sich nicht. Während das Hörspiel voranschreitet, darf der Zuschauer sich an den großartigen Lichteinfällen von Rainer Küng erfreuen, dem es nahezu ausschließlich mit Weißlicht gelingt, die Szene immer wieder überraschend auszuleuchten. Das ist selten dem Bühnengeschehen geschuldet, aber hoch artifiziell und ganz auf die Halle ausgerichtet. In diesem Licht bewegen sich die Darsteller in Kostümen von Esther Geremus zu ihrer nächsten Position. Die Kostüme sind weitestgehend fantasiefrei. Schwarze Herrenanzüge mit weißen Hemdskrägen oder schlichte Kleider in schwarz, ein paar Mäntel und Pelze mögen entfernt an die Schauerromantik erinnern. All das ist wenig rollenspezifisch, aber das sind die Darsteller auch nicht.

Foto © Matthias Horn

Jan Bülow, Debbie Korley, Annamária Láng, Katharina Lorenz, Michael Maertens und Markus Scheumann wechseln immer wieder die Rollen, häufig genug wenig einsichtig, aber weitgehend textsicher. Einer der Einfälle, die chorischen Auftritte der Truppe, bereichert den Abend ebenso wie die Musik, die von Thomas Wegner in ein wunderbares Klangbild umgewandelt und eingebettet wird. Tommy Hojsa und Komponist Josh Sneesby interpretieren die Live-Musik auf der Bühne. Ein zehnminütiges, stakkatohaftes Vorspiel auf den Flügeln gibt das Thema vor, das hintergründig immer wieder auftaucht, vom Akkordeon überspielt und mit Schlagwerk akzentuiert wird. Songs von Pink Floyd, The Doors, Timber Tembre, The Young Gods und Frankie Valli werden fast bis zur Unkenntlichkeit auseinandergezogen. Und schließlich sorgt der Auftritt des Ruhrkohle-Chors unter Leitung von Harald Jüngst mal aus der Ferne, endlich im persönlichen Erscheinen für Eindruck.

Was bleibt nach zwei prostata- und frauenblasenfeindlichen Stunden? Ein wenig zeitgemäßes Werk, das die Dämonie der Erzählungen Poes nur ansatzweise vermittelt, aber durch seine Opulenz beeindruckt. Dass sich Frey dem Urteil des Publikums nicht stellt, mag vielerlei Gründe haben. Beim langanhaltenden Schlussapplaus bleiben die Zuschauer sitzen. Hier bleibt in den kommenden Wochen durchaus noch Luft nach oben.

Michael S. Zerban