O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © O-Ton

Der Kaiser von Atlantis

Die freieste Form

KAMMERMUSIKABEND
(Viktor Ullmann, Erwin Schulhoff, Maurice Ravel)

Besuch am
22. April 2024
(Einmalige Aufführung)

 

Partika-Saal, Viktor-Ullmann-Festival an der Robert-Schumann-Hochschule, Düsseldorf

Gegen das Vergessen wollen sie in diesen Tagen beim Viktor-Ullmann-Festival spielen, die zahlreichen Studenten der Robert-Schumann-Hochschule, auf deren Lehrplan eigentlich die Komponisten nicht stehen, die von der nationalsozialistischen Diktatur verfolgt wurden. Umso deutlicher ist das Signal, das sie mit ihrem Engagement setzen. Und das soll auch heute Abend so sein, diesmal im Bereich der Kammermusik. Obwohl Montag, ist der Partika-Saal sehr gut besucht, auch wenn man sich sicher einen niedrigeren Altersdurchschnitt wünschte.

Auch heute wollen sie es nicht beim bloßen Abspulen eines Konzertprogramms belassen, sondern die gespielten Werke in ihrer Bedeutung einordnen. Eckart Runge ist Professor für den Studiengang Kammermusik – Streicher und übernimmt die Moderation. Er weiß schön zu erzählen. Berichtet zunächst von der Bedeutung der Kammermusik, wie er sie wahrnimmt: als freieste Form des Komponierens, die gerade deshalb Tonsetzer immer wieder zur Weiterentwicklung ihrer Musik verwendet hätten. Da darf auch gerne mal auf Beethoven verwiesen werden. Bei so viel Begeisterung geht beinahe die kleine Sensation unter, eigens für diesen Abend arrangiert. Die Aufführung beginnt mit dem Geiger Wonjay Seo, der in Begleitung der Pianistin und Dozentin Julia Golkhovaya das Kaddisch, eines der bekanntesten jüdischen Gebete in der Vertonung von Maurice Ravel spielt. Dazu hat Roman Salyutov ihm die Geige von Itzchak Orloff zur Verfügung gestellt. Orloff war ein jüdischer Geiger, der sich mit der Besetzung Frankreichs 1940 gezwungen sah abzutauchen. Zuvor übergab er seine Geige seiner Freundin Lola Höpfner, spätere Lola Grün, mit der Bitte, sie für ihn aufzubewahren. Seitdem gilt Orloff als verschollen, aber seine Geige blieb. Und heute Abend erklingt sie im Partika-Saal. Wenn das keine würdige Eröffnung ist.

Wonjay Seo an der Geige von Itzchak Orloff – Foto © O-Ton

Das Streichquartett Nr. 3 gilt als das erste Werk, das Viktor Ullmann in Theresienstadt komponierte. Das viersätzige Stück bezeichnet Runge zutreffend als „wehmütig-sehnsüchtig“. Es ist vollgestopft mit Zitaten, funktioniert aber auch ohne deren Kenntnisse, zumal das Quartett recht eindrucksvoll ist. Das Mädel und die drei Jungs sind zwischen 13 und 17 Jahren jung. Anatholy Moseler und Till Stümke an der Geige, Ben Stümke an der Bratsche und Clara Stümke mit dem Cello zeigen sich von ihrer besten Seite. Sie nehmen am Hochbegabtenprogramm der Hochschule teil, sind in der Klasse von Runge und offensichtlich sein Stolz. Zurecht.

Den kammermusikalischen Werken von Ullmann werden zwei Arbeiten von Erwin Schulhoff gegenübergestellt. Schulhoff war ein ziemlich verrückter Typ. Als Sohn einer jüdisch-deutschen Familie aus Prag begann er früh seine musikalische Ausbildung. Er interessierte sich für alles Avantgardistische. Dada, Jazz, Viertelton- und Zwölftonmusik waren für ihn eher Elixier als unbekannte Vokabeln. Wer sonst sollte das kommunistische Manifest vertonen? Ebenso klar, dass solch eine Person bei den Nationalsozialisten keine Chance hatte. Zwei Tage, bevor Schulhoff nach Moskau ausreisen konnte, wurde er verhaftet und ins Konzentrationslager Wülzburg verbracht, wo er im Alter von 50 Jahren starb. Auch er gehört zu den Komponisten, die doppelt bestraft wurden. Nicht nur von den Nationalsozialisten verfemt, wurden seine Werke auch im Nachkriegsdeutschland nicht mehr beachtet. Dabei hatte Schulhoff bereits 1923 mit seinen Fünf Stücken für Streichquartett einen Durchbruch schaffen können. Die müssen allerdings auch heute Abend noch ein Weilchen warten.

Eckart Runge moderiert – Foto © O-Ton

Den Anfang macht das Concertino für Flöte, Viola und Kontrabass in vier Sätzen, zu seiner Zeit mindestens ebenso bekannt. Die Flöte übernimmt Eunhyan Chu, am Kontrabass profiliert sich José David Ospina und Rubén Pino Benavides steuert seine hervorragenden Viola-Fertigkeiten bei. Das Publikum ist begeistert. Und obwohl sie den Ablauf des Abends so schön eingeübt haben, haben sie wohl nicht mit dem übermäßigen Zuspruch der Besucher gerechnet. So muss Runge seine jungen Musiker, die nach ihrem Auftritt schnurstracks dem Ausgang zueilen, abfangen und sie ein zweites Mal auf die Bühne schicken. Herrlich! Das wird sicher als Anekdote das Festival überleben.

Man merkt schon: Die Stimmung ist gut, und sie wird es bleiben. Auch dann, wenn Sam Lucas in der Begleitung von Golkhovaya Drei jiddische Lieder von Ullmann aus dem Jahr 1943 am Cello interpretiert. Berjoskele, Margaritkelech und A Meidel in die Johren heißen die Lieder, deren jüdischen Bezug man abseits der Titel nicht so recht erkennen mag, aber vielleicht ist man da als Laie auch zu Klezmer-orientiert. Das Klischee wird also jedenfalls nicht bedient. Auch schön.

Die Geigerinnen Dream Cha und Suvd Enkhtushvin treffen mit dem Cellisten Severin Haslach und noch einmal mit dem Bratschisten Rubén Pino Benavides zusammen, um nun endlich die einst berühmten Fünf Stücke für Streichquartett von Schulhoff zu spielen. Es wird der glanzvolle Abschluss eines Abends auf sehr hohem Niveau.

Am Mittwoch folgt dann bei freiem Eintritt der Liederabend und am Donnerstag das Gedenkkonzert zum Finale des Festivals.

Michael S. Zerban