O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Düsseldorf-Festival 2022

Überwiegend eindrucksvoll

CONTEMPORARY DANCE 2.0
(Hofesh Schechter)

Besuch am
20. September 2022
(Deutschlandpremiere)

 

Düsseldorf-Festival, Theaterzelt, Düsseldorf

Deutschland und der Tanz: ein schwieriges Thema. Die Kulturverantwortlichen haben in den vergangenen Jahrzehnten radikal Compagnien abgebaut, kaum ein Stadttheater, das noch über ein Ballett verfügt. Die so genannte Freie Szene glänzt mit hervorragenden Tänzern, die allerdings froh sind, wenn in einer Aufführung 100 Menschen sitzen. Aber wenn die Tanzwochen Neuss, das Forum Leverkusen oder die Bühnen Bonn, um nur Beispiele zu nennen, Compagnien aus dem Ausland einladen, sind große Säle bis auf den letzten Platz gefüllt. Und dabei bekommen die Deutschen oft nur die „zweite Garde“ oder alte Programme zu sehen. Das Düsseldorf-Festival profitiert von der Sehnsucht der deutschen Zuschauer nach großen Tanzaufführungen.

Wiederholt ist in diesem Jahr der Nachwuchs von Hofesh Schechter aus London zu Gast im Theaterzelt in der Düsseldorfer Altstadt. Schechter II sind Tänzer im Alter zwischen 18 und 25 Jahren, die alle zwei Jahre neu ausgewählt werden. Die Erfahrung sagt, dass es eine wahre Lust ist, diesen Nachwuchsgruppen zuzuschauen, wenn sie mit dem Feuereifer der Jugend auf den Bühnen das Publikum begeistern. Ein Erlebnis, das bereits im vergangenen Jahr für viel Freude in Düsseldorf sorgte, als Schechter II das Programm Political Mother Unplugged präsentierte. Heuer will ein achtköpfiges Ensemble mit dem Programm Contemporary Dance 2.0 als Deutschlandpremiere punkten.

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Hofesh Schechter selbst hat die Choreografie entwickelt, was durchaus nicht selbstverständlich ist. Aber der Choreograf ist ein vielbeschäftigter Mann, seitdem er 2008 seine eigene Company gründete. Und so will er den Anspruch, den das „2.0“ beinhaltet, nämlich den zeitgenössischen Tanz auf eine höhere Stufe zu heben, nicht so recht einlösen. Vielmehr schleichen sich Fehler ein, die einem erfahrenen Choreografen eigentlich nicht unterlaufen sollten. Da funktioniert die Raumaufteilung nicht, wenn die Tänzer sich übermäßig oft in der linken, vorderen Bühnenecke aufhalten. Selten hat man bei einer Aufführung so viel die Rücken der Tänzer gesehen wie hier. Ständig verdecken die Tänzer sich selbst gegenseitig. In der Bewegungssprache ist wenig Neues zu entdecken. Und wenn Schechter den Abend in die fünf Teile Pop, With Feelings, Mother, Contemporary Dance und End aufteilt, weiß er mit Ausnahme des letzten Teils nicht genügend Akzente zu setzen, um die Abschnitte voneinander zu trennen oder einen dramaturgischen Aufbau zu zeigen. Dem Publikum ist das egal, bleibt der Choreograf und gelernte Schlagzeuger doch seinen Markenzeichen treu. Die selbstgeschriebene Musik ergießt sich von der Festplatte in hämmernden Rhythmen über die Bühne, die mit oft bekannteren Stücken unterlegt sind und so für die nötige Abwechslung sorgen.

Die Tänzer zeigen Höchstleistungen in Szenen von Straßenkampf, Club-Tanz oder höchst diszipliniertem Synchrontanz. Gerade letzterer weiß in seiner Präzision zu begeistern, zumal er noch zu sehen ist. Tom Visser zeichnet für das Lichtdesign verantwortlich und kann mit guten Ideen überzeugen – wenn er denn ausreichend Licht einsetzt. Da wird das Licht tatsächlich Teil der Choreografie, geschickt setzt der beleuchtete Nebel Wände auf der Bühne, in die die Tänzer immer wieder abtauchen können oder überraschend auftauchen. Weniger überzeugend sind die Strecken, in denen Visser die acht Menschen kumuliert verdunkelt, so dass sie nur noch als wabernde Masse zu erahnen sind. Als Effekt eingesetzt, kann das höchst wirkungsvoll sein, wenn es aber zur Methode wird, ist es eher ärgerlich. Tristan Carter, Cristel de Frankrijker, Zakarius Harry, Alex Haskins, Oscar Jinghu Li, Keanah Faith Simin, Chanel Vyent und insbesondere Justine Gouache ficht das nicht an, eine knappe Stunde lang großartigen Körpereinsatz zu zelebrieren.

Mit dem Finale gelingt es Schechter, dem Abend ein Sahnehäubchen aufzusetzen. Seine eigene Version des französischen Liedes, das in einer englischen Cover-Version vor allem durch Frank Sinatra berühmt wurde, trifft noch einmal den Nerv des Publikums, die künstlerische Umsetzung ist so ungewöhnlich wie gelungen. Mit der letzten Note erheben sich die Zuschauer im nahezu vollbesetzten Zelt, um die Tänzer und schließlich auch Schechter, der erstmalig mit nach Düsseldorf gekommen ist, ausgiebig zu feiern. Die Akteure danken es mit einer ungewöhnlichen Applausordnung, die für einen letzten Begeisterungssturm sorgt. Eine weitere Vorstellung ist für den kommenden Abend vorgesehen.

Michael S. Zerban