O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Enrico Nawrath

Bayreuther Festspiele 2022

Auf der Schönheitsfarm

DIE WALKÜRE
(Richard Wagner)

Besuch am
1. August 2022
(Premiere)

 

Bayreuther Festspiele, Festspielhaus

Die konzeptionellen und handwerklichen Mängel des neuen Bayreuther Rings, die sich im Rheingold-Auftakt andeuteten, verdichten sich in der Walküre so dramatisch, dass lediglich einige herausragende Gesangsleistungen die Premiere vor einem völligen Desaster retten.

Dazu gehören Lise Davidsen als Sieglinde mit ihrer riesigen, dennoch völlig entspannten und kerngesunden Sopranstimme, Klaus Florian Vogt, der als Siegmund beweist, dass man auch Wagner textverständlich singen kann und der immer zuverlässige und in Hochform auflaufende Georg Zeppenfeld als Hunding.

Wotan Tomasz Konieczny hat Pech, fällt im zweiten Akt von einem defekten Stuhl und verletzt sich so unglücklich, dass im dritten Akt Michael Kupfer-Radecky so gut wie eben möglich für ihn einspringen muss. Ein Sänger, der bei den Tiroler Festspielen Erl viele Wagner-Rollen sang, aber noch nicht den Wotan. Iréne Theorin als Brünnhilde mit forcierten Höhen und Christa Mayer als altmodisch keifende, kaum verständliche Fricka können nur bedingt überzeugen. Maestro Cornelius Meister bringt die Walküre achtbar über die Runden, hat aber die schon im Rheingold zu hörenden Abstimmungs- und Balanceprobleme noch nicht völlig unter Kontrolle.

Mit dem Sinn und Unsinn der Inszenierung von Cornelius Schwarz im Detail abzurechnen, lohnt erst nach der Götterdämmerung. Auch wenn es gutzuheißen ist, dass Katharina Wagner nicht, wie die Kollegen der Salzburger Festspiele, nur bewährten und altgedienten Stars vertraut, sondern auch Newcomern eine Chance gibt, ist es doch ein wagemutiges Risiko, einem Regisseur mit so wenig Erfahrung gleich diese K2-Besteigung anzuvertrauen.

An der Regie Valentin Schwarz‘ verstören nicht nur konzeptionelle Ungereimtheiten und sein fehlender Instinkt für theatralische Wirkungen, sondern auch handwerkliche Mängel, was die Disposition und Führung der Figuren angeht. Dass ganze Szenen am rechten oder linken Bühnenrand für große Teile des Publikums im unsichtbaren Off verschwinden, ist ebenso ärgerlich und völlig unnötig wie die Defizite an Atmosphäre und Magie.

Als Hemmschuh erweist sich Schwarz‘ Scheu vor der Symbolik des Rings. Ring, Gold, Schwert, Speer und Feuer kommen bei ihm nicht vor. Selbst der eigenwillige Frank Castorf erkannte in seiner letzten Bayreuther Produktion, dass die Symbole für das Verständnis der Kernbotschaft des Werks so wichtig sind wie die Leitmotive in der Partitur. Dass Brünnhilde bei Schwarz am Ende nicht auf dem Walküren-Felsen in Schlaf gebannt und durch ein Feuer vor unbefugten Freiern beschützt wird, überrascht unter diesen Vorzeichen nicht im Geringsten. Brünnhilde verabschiedet sich klammheimlich und muss ohne Feuerschutz von der Bühne abtreten. Auf der leeren Bühne prostet Wotans Gattin Fricka dem unterlegenen Göttervater zufrieden zu. Stößchen!

Wie wenig Rücksicht die Inszenierung auf Text und Musik nimmt, zeigt sich auch am geradezu albern missdeuteten Walküren-Ritt. Die wehrhaften Damen, von Wagner ungewöhnlich martialisch charakterisiert, lümmeln sich in einem eleganten Beauty-Salon und tragen ihre Wunden nicht aus wilden Schlachten, sondern vom Face-Lifting des Schönheits-Chirurgen davon.

Immerhin zeigt sich das Publikum mit den musikalischen Leistungen hoch zufrieden. Bejubelt wird ausnahmslos jeder. Buh-Ruhe nach dem Schluss-Akkord lassen allerdings heftigere Reaktionen nach der finalen Götterdämmerung befürchten.

Pedro Obiera