O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Enrico Nawrath

Bayreuther Festspiele 2022

Tristans „Weltflucht“

TRISTAN UND ISOLDE
(Richard Wagner)

Besuch am
25. Juli 2022
(Premiere)

 

Bayreuther Festspiele, Festspielhaus

Die Begeisterung des Publikums nach der Eröffnungspremiere der 110. Bayreuther Festspiele ist überwältigend. Nach unsicheren, von zuletzt über 80 Corona-Ausfällen erschütterten Wochen geht die Neuinszenierung der Liebes-Hymne Tristan und Isolde zumindest für den Zuschauer reibungslos über die Bühne. Das war nicht unbedingt zu erwarten. Denn die Produktion wurde äußerst kurzfristig angesetzt, um den eventuellen Ausfall einer der drei großen Choropern dieser Saison – Lohengrin, Holländer, Tannhäuser – abfedern zu können. Regisseur Roland Schwab hatte nur zwei Monate für die Konzeption zur Verfügung und Dirigent Markus Poschner gerade einmal zwei Orchesterproben, um sich auf die besonderen akustischen Bedingungen des Festspielhauses einstellen zu können.

Poschner, Chef des Bruckner-Orchesters Linz, findet sich erstaunlich gut zurecht im Orchestergraben. Was die Feinabstimmung in Sachen Klangmischung angeht, was die Entwicklung von großräumigen Steigerungen angeht, bedarf es zwar noch einiger Korrekturen. Insgesamt empfiehlt sich Poschner mit seinem Debüt als eine der zuverlässigsten Stützen der Neuproduktion. Zudem als ein Dirigent, der den Sängern aufmerksam zuhört und sie durchweg rücksichtsvoll unterstützt.

Dass Catherine Forster und Stephen Gould in den Titelpartien permanent unter Hochdruck singen, ist also gar nicht nötig. Beiden lässt Poschner mehr Luft für feinere Nuancierungen als sie nutzen. Dass Gould trotz seiner Erfahrung und seiner beeindruckenden Kondition vor allem in dritten Akt an seine Grenzen stößt, verwundert nicht, stimmt aber bedenklich, da er in diesem Sommer auch noch den Tannhäuser und den Götterdämmerungs-Siegfried bewältigen soll. Vom vokalen Dauerdruck lässt sich auch Ekaterina Gubanova als Brangäne mit ihrer schönen Mezzo-Stimme beeinflussen. Selbst von ihr ist, wie von den meisten ihrer Kollegen, kein Wort zu verstehen. Angesichts der allgemein nachlassenden Textverständlichkeit sollte sich die Festspielleitung, wenn auch zum Graus beinharter Wagnerianer, endlich auf Übertitel einlassen.

Ein Problem, mit dem Georg Zeppenfeld als König Marke allerdings nicht zu kämpfen hat. Zeppenfeld, in diesem Jahr gleich in vier Partien auf dem Grünen Hügel vertreten, bietet wiederum ein Musterbeispiel an glasklarer Diktion und edelster Stimmkultur. Schade, dass Regisseur Roland Schwab an dieser Partie, wie auch an den anderen Nebenpartien, wenig Interesse zeigt. Denn er konzentrierte sich auf die „Weltflucht“ der Titelhelden, die auf dieser Welt nicht zusammenkommen können und offensichtlich auch nicht wollen. Denn die Sehnsucht nach einem „einsamen Tod“ übersteigt in Schwabs Lesart das Verlangen nach einer erfüllten Liebe. Die verbotene Liebe der beiden im politischen Umfeld als Affront des Vasallen Tristan gegen seinen König lässt Schwab, im Gegensatz zu Katharina Wagner in ihrer letzten Bayreuther Inszenierung, völlig unbeachtet.

Da es für Schwab im Tristan nichts „Eindeutiges“ gibt, bleibt vieles nebulös abstrakt und gibt dem Zuschauer Raum für Assoziationen aller Art. Das gilt auch für das Bühnenbild von Piero Vinciguerra, der mit Schwab bereits in Dortmund Strawinskys The Rake‘s Progress eindrucksvoll in Szene setzte.  Eine arenenartige Scheibe im Mittelpunkt, überdacht von einer offenen, kreisförmigen Umrandung, wirkt wie ein Magnet auf die Titelhelden, wirbelnde Video-Einblendungen driften sie aber immer wieder auseinander. Die Nebenfiguren müssen sich meist mit der Brüstung des offenen Baldachins begnügen. Figuren, auf die Schwab eigentlich verzichten könnte. Warum sich die Bühne am Ende mit üppigem Grünzeug schmückt und ein altes Statistenpaar eng umschlungen an die Rampe tritt, darf jeder Betrachter selbst entschlüsseln.

Auch wenn vieles im Tristan mehrdeutig angelegt ist, droht Schwab mit seiner Lesart in ein zu abstraktes, beliebig deutbares Niemandsland zu driften. Vokal sind starke, aber nicht immer differenziert geführte Stimmen zu vermelden, betreut von einem einfühlsamen Dirigenten.

Damit ist die Eröffnung ohne weitere Pannen gelungen. Die Nagelprobe, die Neuinszenierung des kompletten Rings des Nibelungen, steht aber noch bevor. Bis zur Premiere des Rheingolds am Samstag bleibt das Festspielhaus den Proben vorbehalten.

Pedro Obiera