O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Enrico Nawrath

Bayreuther Festspiele 2022

Fafner im Siechbett

SIEGFRIED
(Richard Wagner)

Besuch am
3. August 2022
(Premiere)

 

Bayreuther Festspiele, Festspielhaus

Die Buh-Attacken gegen den bisher noch nicht vor den Vorhang getretenen Regisseur des neuen Bayreuther Rings nehmen nach der Premiere des Siegfried an Aggressivität zu. Ebenso wie die szenischen Absurditäten und Ungereimtheiten der an Dilettantismus grenzenden Inszenierung des Österreichers Valentin Schwarz. Wobei die zu erwartenden Proteststürme nach der finalen Götterdämmerung zu einem gleich großen Anteil Katharina Wagner gelten dürften, die mit Schwarz‘ Verpflichtung einen jungen, mit größeren Opernprojekten wenig erfahrenen und mit dieser Herkulesaufgabe völlig überforderten Mann ins offene Messer laufen lässt.

Es ist eine eigene Familien-Saga, die sich Schwarz zusammendichtet. Man kann der insgesamt mangelhaften Textverständlichkeit der Aufführung fast dankbar sein, wenn man nicht in jeder Sekunde daran erinnert wird, dass sich auf der Bühne etwas ganz anderes und viel Banaleres abspielt, als Libretto und die Musik mit ihrer großen visionären Strahlkraft ausdrücken.

Fafner degeneriert mit seiner sinnlosen Besitzgier bei Schwarz natürlich nicht zu einem „Riesenwurm“, den Siegfried mit seinem Schwert erlegt. Er siecht in einem gutbürgerlichen Krankenbett schwerkrank und gut behütet vor sich hin und stirbt an einem Herzanfall. Immerhin fuchtelt Siegfried an diesem Abend mit einem aus dem Nichts auftauchenden Schwert herum, obwohl in der Walküre das – nicht vorhandene – Schwert nicht aus der – nicht vorhandenen – Weltesche gezogen werden konnte und durch eine mickrige Pistole ersetzt wurde. Brünnhilde taucht nach ihrem in der Walküre ausgefallenen Schlaf wie eine einbandagierte Mumie auf und darf die Welt und ihre Liebe zu Siegfried teilweise aus dem von Schwarz liebgewonnenen linken Bühnen-Off singen.

Dabei bietet Daniela Köhler mit ihrem leuchtenden, kaum angestrengten Sopran als Brünnhilde neben der Erda von Okka von der Damerau die beste vokale Leistung des Abends. Dass sie textverständlicher singt als der Wotan von Tomasz Konieczny, spricht nicht gerade für das Gesamtniveau des Abends. Andreas Schager als ungestümer junger Siegfried beeindruckt durch seine grenzenlose stimmliche Kraft, lässt es aber an differenzierten Zwischentönen und präziser Intonation vermissen. Und Arnold Bezuyen bleibt der komplexen Partie des Mime zu viel an Feinheiten schuldig. Wobei man allen Sängern zugute halten muss, dass der aktionistische Firlefanz, den Schwarz, nicht zuletzt mit mehr oder meist wenig motiviert umherwuselnden Statisten entfacht, ihre Aufgaben nicht erleichtert.

Cornelius Meister bringt am Pult des Festspielorchesters die Aufführung ordentlich durch den sechsstündigen Abend. Allerdings ist er, was die klangliche Feinabstimmung angeht, noch weit von dem entfernt, was Christian Thielemann tags darauf im Lohengrin an Klangwundern zelebrieren wird. Dass Thielemann den gewaltigsten Applaus innerhalb der gesamten Premierenwoche erhält, zeigt nicht nur seine Beliebtheit beim Publikum, sondern auch den Umstand, dass Bayreuth einen Dirigenten braucht, der an die Zeiten von Levine, Barenboim, Boulez und eben Thielemann anknüpfen kann, dessen Stern durch das Zerwürfnis mit Katharina Wagner nicht mehr lange auf dem Grünen Hügel leuchten wird. Ob Dirigenten wie Cornelius Meister die Lücke schließen können, wird sich zeigen.

Pedro Obiera