O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Enrico Nawrath

Bayreuther Festspiele 2022

Szenen einer tristen Ehe

NACH TRISTAN
(Ingo Kerkhof)

Besuch am
26. Juli 2022
(Uraufführung)

 

Bayreuther Festspiele, Kulturbühne Reichshof, Bayreuth

Die Meistersinger von Nürnberg hatte sich Richard Wagner als kurzes, entspannendes Nachspiel zur alle Grenzen durchbrechenden Tragödie von Tristan und Isolde vorgestellt. Ganz so wie die alten Griechen die Stimmung des Publikums nach ihren Tragödien mit einem Satyrspiel aufmuntern wollten. Nach der in der brütenden Sommerhitze besonders anstrengenden Premiere der neuen Bayreuther Tristan-Inszenierung im Festspielhaus hatte der Theatermann Ingo Kerkhof mit seiner musik-theatralischen Collage Nach Tristan auf der Kulturbühne Reichshof ähnliches vor. Beide Pläne gelangen nicht so recht. Wagners Meistersinger gerieten noch länger als der Tristan und Kerkhofs Kreation Nach Tristan noch trister als die Vorlage. Denn Kerkhof knüpft an Heiner Müllers Bühnenstück Quartett an, in dem der Dramatiker ein verstorbenes Ehepaar mit wenig Zugewinn an Lebensfreude wieder aufleben lässt. Kerkhof geht von einem „Happy End“ der Tristan-Tragödie aus und zeigt uns das lebende Ehepaar nach seinem mehr als zehnjährigen Zusammenleben.

Von der einstigen Ekstase ist nicht mehr viel zu spüren. Tristan und Isolde leben mit- und mehr noch nebeneinander wie ein frustriertes, illusionsloses Paar ohne Antrieb und Begeisterung. Viel zu sagen haben sie sich nicht mehr und als Sahnehäubchen garniert Kerkhof seine Textstellen aus Müllers Quartett und Wagners Libretto noch mit Zitaten aus August Strindbergs Totentanz. Strindberg, der die Ehe als „lebenslange Operation ohne Narkose“ empfand. Entsprechend bescheiden hausen sie in einem von Jessica Rockstroh arrangierten Appartement, ausgestattet mit einem schäbigen Sofa und einer Küchenzeile, in der Isolde ihrer natürlichen Bestimmung als Hausfrau nachgehen kann.

Ab und zu flackern Erinnerungen an heißere Episoden ihres Lebens auf. Oft von der hintergründigen Ironie Müllerscher Textpassagen durchzogen. Schade nur, dass die renommierten und ebenso abgeklärt wie souverän agierenden Schauspieler Dagmar Manzel und Sylvester Groth so leise sprechen, als befänden sie sich in ihrem Kämmerlein und nicht in dem stattlichen Saal des Reichshofs, eines ehemaligen Filmtheaters. Etliche subtile Feinheiten der Text-Collage gehen so verloren.

Und wie steht es um die Musik? Wagners Tristan ist allgegenwärtig. Vom schwer zu entschlüsselnden Tristan-Akkord über die Steigerungen des Vorspiels bis zu den weltentrückten Klängen des Liebesduetts und Isoldes Schlussgesang. All das allerdings in der schlichten Ausführung durch ein einziges Akkordeon. Trotzdem geht der fabelhafte Solist Felix Kroll improvisatorisch so raffiniert und fantasievoll mit den Vorlagen um, dass sie wie von ferne klingende Erinnerungen an stürmischere Zeiten erinnern. Zweifellos setzt Kroll, der im Hintergrund munter die Plätze wechselt und sich zeitweise auch zu dem abgehalfterten Paar gesellt, die interessantesten Akzente des 75-minütigen Abends.

Am Ende haben sich alle mit der Situation arrangiert. Isolde kocht, und das tägliche Mahl garantiert den lustvollen Höhepunkt des Ehealltags. „Höchste Lust, unbewusst“: Das war einmal. „Höchste Lust im leiblichen Genuss“ muss es jetzt heißen.

Viel Beifall für eine originelle, gut gemeinte Reflektion auf Wagners extreme Liebeshymne, auch wenn vieles kaum verständlich bis in die zehnte Reihe vordringt.

Pedro Obiera