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Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Van-der-Heydt-Museum

Kunststücke

Photographie neu entdecken

Vom 2. Oktober bis zum 8. Januar kommenden Jahres ist im Von-der-Heydt-Museum in Wuppertal die Ausstellung Eine neue Kunst. Photographie und Impressionismus zu betrachten. Das Museum untersucht hier die Wechselwirkungen von Fotografie und Malerei im 19. Jahrhundert. Herausgekommen ist mehr als nur eine Gegenüberstellung.

Édouard Baldus: Paris, Blick auf die Pont d’Arcole und das Hôtel de Ville, um 1860 – Foto © Markus Hilbich

Viel ist bei der Eröffnung der Ausstellung Eine neue Kunst. Photographie und Impressionismus im Von-der-Heydt-Museum Wuppertal über die neue Qualität der Zusammenarbeit des Wuppertaler Museums mit dem Museum Barberini Potsdam zu hören. Die Direktoren Ortrud Westheider und Roland Mönig, flankiert vom Oberbürgermeister und dem Sponsor der Jackstädt-Stiftung, machen sich gegenseitig Komplimente. Beide Museen verfügen über beachtliche Impressionismus-Sammlungen, die Potentiale für weitere gemeinsame Projekte bieten. Die Sammlung von Hasso Plattner entwickelt sich ständig weiter zu einem Schwerpunkt des Impressionismus. Kunstmuseen, die wesentlich mit öffentlichen Geldern finanziert werden, können da nicht mithalten. Glücklicherweise verfügt das Von der Heydt-Museum über einen außergewöhnlichen Bestand solcher Werke.

Ein sachlich nüchterner Blick in den sorgfältig edierten, gut lesbaren Katalog relativiert allerdings erheblich die zuvor beschworene Gemeinsamkeit. Das Verzeichnis der ausgestellten Werke listet mehr als 150 Werke auf, von denen in Wuppertal nur wenig mehr als 80 ausgestellt sind. Eine Partnerschaft auf Augenhöhe sieht jedenfalls anders aus.

Eine beeindruckende Ausstellung ist es allemal, auch wenn sich in Wuppertal dem Kritiker die größere Gesamtheit der Potsdamer Ausstellung auf Schritt und Tritt aufdrängt. Potsdams Corporate Design setzt auf Autochrome von Heinrich Kühn: Miss Mary im blauen Kostüm, 1910; Wuppertal auf eine Farbfotografie von Gustav Eduard Bernhard Trinks: Farbige Schatten, 1902.

Dafür, dass es sich mit der Photographie wahrhaftig um etwas radikal Neues handelte, es einem unmittelbar und massiv bewusst wird, kann es nicht genug beispielhafte Angebote einer Ausstellung geben. Photographiedas Malen mit Licht, gibt sich von Anbeginn als ein bildliches Ausdrucksmedium zu erkennen, das viel mehr als eine Fotografie der Beliebigkeit ist. Selfie-Fotografie ist von der Photographie so verschieden, wie das, was vom Auto und von der Pferdedroschke aus zu sehen ist. Schnell verschwindende Sekundenbruchteil-Schnipsel gegenüber einer aufmerksam wahrnehmenden, prozessualen Langsamkeit in den Arbeitsphasen.

Malerei – artiste peintre – und Lichtmalerei also Photographie – artiste photographe, respektive peintre photographe – konkurrieren seit deren Erfindung 1839. Es entwickelt sich eine inspirierende Rivalität. Die neuen Photographen-Ateliers „galten als touristische Attraktion und waren Treffpunkt für ein wohlhabendes Klientel aus Bürgertum und Hochadel“, ist im Katalog zu lesen. Im Zuge von Photographien spektakulärer Landschaften, insbesondere zwischen Himmel und Meer, wie die Étretat um 1864 von Louis Alphonse Davanne, lösen sie mit entsprechenden Postkartenmotiven erste Tourismusinitiativen aus.

Unabhängig von der quantitativen Bilanz ist die von Anna Baumberger in Wuppertal und Ulrich Pohlmann, Münchner Stadtmuseum, Sammlung Fotografie, kuratierte Wuppertaler Ausstellung ein Ereignis des Sehens, Vergleichens und Staunens. Die Bäuerin mit Kuh aus dem Jahr 1883 von Camille Pissaro neben Henry Peach Robinsons Fotografie Der Maler um 1890 kontrastieren und reflektieren mit ihren bildkünstlerischen Darstellungen Sujets, die dem Ausstellungsbesucher hochinteressante Wahrnehmungsperspektiven eröffnen. Ebenso werden in der unmittelbaren Gegenüberstellung von Claude Monets Blick auf das Meer, 1888, und Gustave Le Grays Fotografie Sonnenlicht in den Wolken – Ozean, 1856, assoziative Analogie deutlich, die der Kunst des Sehens und Wahrnehmens verpflichtet sind.

Wer Paris im 19. Jahrhundert imaginiert, kann sich beispielhaft für Paul Signacs Notre Dame … bei Sonnenlicht 1885 entscheiden, ohne Édouard Baldus‘ Blick auf die Stadt unter dem Titel Paris, Blick auf die Pont d’Arcole und das Hotel de Ville, um 1860 zu übersehen.

Diese Eine neue Kunst bedarf keiner Animation, die vordergründig posiert. Die Bilder sprechen für sich. Auch im Vergleich ästhetisch fokussierter, fotografischer Überzeugungen. Der Hafen von Cadiz, fotografiert 1906 von Alvin Langdon Coburn, steht mit dem 1903 entstandenen Kielwasser von Heinrich Beck sowie mit Constant Puyos Die Wäscherinnen, 1894 – 1926, beispielhaft für eine neue, kunstfotografische Entwicklung, dem Piktorialismus.

Selbstbewusst entstehen Kommunikations- und Präsentationsformen fotografischer Arbeiten, die von kunsttheoretischen Publikationen und kritischen Rezensionen begleitet werden. Wie sich das im Vergleich mit der Malerei darstellt, ist eine große Erzählung: Eine neue Kunst.

Peter E. Rytz