O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Kölner Fest für Alte Musik 2018

Leipziger Allerlei

WENN MICH ALLEIN LÄSST, WAS ICH LIEBE
(Combo CAM)

Besuch am
19. März 2018

 

Kölner Fest für Alte Musik, ZAMUS, Probensaal

Zu einem ordentlichen Festival gehört selbstverständlich auch die Förderung des Nachwuchses. Und so hat das Kölner Fest für Alte Musik im vergangenen Jahr die Spielwiese eingeführt. Hier konnten sich Nachwuchskünstler bewerben. Eine Jury des Zentrums für Alte Musik wählte daraus eine „Shortlist“ von Künstlern, die im Festival auftraten. Das Publikum wählte den Gewinner.

Der Gewinner war in dem Fall die Combo CAM, wobei CAM für Care About Music steht, eine Kammermusikformation, die 2016 in Leipzig gegründet wurde. Und während etablierte Musiker noch lang und theoretisch über neue Konzertformate diskutieren, machen die jungen einfach schon mal vor, wie man so etwas niveauvoll mit Humor angehen kann. Um ihren Gewinn, einen Auftritt im Festival dieses Jahres, einzulösen, haben sie ein neues Programm zum Motto Krieg und Frieden entwickelt. Der Probensaal im Zentrum für Alte Musik ist bis auf den letzten Platz besetzt.

Viola Blache und Friederike Merkel – Foto © O-Ton

Das Konzept ist so einfach wie wirkungsvoll: Wir nehmen Stücke aus dem 16. bis 18. Jahrhundert, machen eine bunte Mischung daraus und lassen das Ganze von einer Schauspielerin begleiten, die mal lustig, mal tolpatschig, mal philosophisch, aber nie albern sein darf. Schließlich gilt’s der Kunst und nicht der Comedy. Dass die Künstler dabei nicht in Ehrfurcht vor dem Werk erstarren, sondern sehr gekonnt die Stücke für ihre Bedürfnisse anpassen, spricht für eine moderne Auffassung vom Umgang mit Musik. Nichts ist in Stein gemeißelt, schließlich geht es nicht um ein Vorspielen im Fach Werktreue, sondern darum, etwas Eigenständiges zu entwickeln. Und das gelingt den sechs Musikern auf vortreffliche Weise mit ihrem Programm Wenn mich allein lässt, was ich liebe. Schon den Titel darf man sich auf der Zunge zergehen lassen.

Nach und nach tröpfeln die Musiker in den Saal. Den Anfang macht Antje Nürnberger mit ihrem historischen Violoncello, auf dem sie gleich mal eine Übung über die Sarabande aus der fünften Suite für Violoncello solo von Johann Sebstian Bach absolviert. Wie das mit Übungen so ist: Da klappt leider nicht alles auf Anhieb. Aber es senkt die Erwartungen der Besucher schon mal auf ein erträgliches Maß. So dürfen sich dann auch die Kollegen in den Saal trauen, in dem die Kunstfigur Doris Meeresbüchner bereits die Notenständer abstaubt.

Bei der Entwicklung des Programms haben sich die Musiker von Tomás de Torrejôn y Velasco inspirieren lassen, der im 17. Jahrhundert das Stück Cuando el bien que adoro me deja sin mi komponiert hat. Das Liebeslied gibt den weiteren Kanon vor. Liebe in allen Facetten aus vielen Ländern und Kulturen wird hörbar. Neben den bekannteren Komponisten wie Claudio Monteverdi, Andrea Falconieri, Georg Philipp Telemann oder Henry Purcell kommen auch bolivianische, sephardische, spanische und israelische Werke zu Gehör. Der bunte Reigen, der stilistisch überraschend eng beieinander liegt, findet seine Klammer zu Krieg und Frieden durch kurze Texte, in denen vor allem die Sehnsucht nach Frieden zum Ausdruck kommt. So mischt sich gekonnt Nachdenkliches, Romantisches und Scherzhaftes zu einem außerordentlich kurzweiligen Abend.

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Handwerklich möchte man kaum von Nachwuchs sprechen. Der Kalauer zur Bratsche spielenden Viola Blache entfällt hier; allzu eindrucksvoll ist neben der Beherrschung des historischen Streichinstruments ihre Stimme, die auf allen Ebenen der Alten Musik zu Hause ist. Textverständlich arbeitet sie sich mit ausreichendem Volumen durch alle Höhen und Tiefen mit einer gläsernen Klarheit, die selbst im ausgehauchten Piano noch erhalten bleibt. Hier bleiben keine Wünsche offen. Auch Friederike Merkel, die sich selbst an diesem Abend ein wenig in die zweite Reihe stellt, ist längst Meisterin ihres Fachs. Perfekt erklingt die Blockflöte im Zusammenspiel wie im Solo. Dass sie ihr Studium erst im Frühjahr vergangenen Jahres – selbstverständlich mit „sehr gut“ – abschloss, ist kaum zu glauben. So ganz nebenbei hat sie auch das Klavier- und Geigenspiel erlernt, beschäftigt sich zudem mit dem Traversflöten- und Cembalospiel, was sie an diesem Abend leider nicht zeigt. Auch Antje Nürnberger beendete ihr Studium als Cellistin erst letztes Jahr. Ihre künstlerische Laufbahn ist allerdings schon jetzt atemberaubend. Auf gleichem Niveau bewegt sich Hélène Nassif, die die Harfe von so leichter Hand spielt, dass sie sich perfekt in das Ensemble einfügt. Der Perkussionist Hannes Malkowski kann an diesem Abend lediglich einen kleinen Ausschnitt seines breiten Könnens zeigen, ist aber mit Engagement und Spaß dabei. Martin Steuber schließlich steuert seine Virtuosität als Gitarrist und Theorbenspieler bei. Obwohl jeder einzelne längst preisgekrönt als Solist unterwegs ist, beweisen sie alle ihre herausragenden Fähigkeiten im Ensemble-Spiel. Da geht man, nichts Böses ahnend, zu einem Nachwuchs-Abend und erlebt ein Konzert auf höchstem Niveau. Nur so ist auch die gelungene Auswahl des Programms erklärt.

Dass Doris Meeresbüchner dabei im Blümchenkostüm mit schwarzhaariger Perücke auftritt, um das Konzert zu „moderieren“, ist in dieser Zuspitzung möglicherweise gar nicht notwendig, auch wenn sie das großartig einbringt. Hier gibt es sicher noch Entwicklungspotenzial, um nicht zu sehr in Albernheiten abzudriften. Denn das würde einem Ensemble dieser Güte sicher kaum gerecht.

Das Publikum jedenfalls erkennt die Qualität dieses vorgeblichen Nachwuchs-Ensembles und applaudiert herzlich und langanhaltend. Nach eineinviertel Stunden ist Schluss mit dem Vergnügen, das sicherlich noch länger hätte dauern dürfen. Das Festival hat eine weitere Perle auf seine Kette geschnürt.

Die Spielwiese dieses Jahres findet am kommenden Samstag statt. Dann darf das Publikum entscheiden, ob es Messa di voce aus München, Banda authentica aus Bremen oder Adornamento aus Linz 2019 auf der Bühne erleben will. Möge es so gekonnt wählen wie in diesem Jahr.

Michael S. Zerban