O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Musée Jacquemart-André - Foto © N.N.

Kunststücke

Zwischen Traum und Phantasmagorie

Es lohnt sich, immer mal wieder auch einen Blick in die kleineren Museen zu werfen. So zum Beispiel in das Museum Jacquemart-André. Dort gibt es noch bis zum 23. Januar eine Ausstellung zum Maler Johann Heinrich Fuessli, der mit teils düsteren Motiven die Kunstwelt seiner Zeit begeistern konnte.

Foto © Musée Jacquemart-André

Das Musée Jacquemart-André ist, ähnlich wie die Wallace Collection in London oder die  Frick Collection in New York, ursprünglich die Stadtwohnung kunstsinniger Mäzenen gewesen, die später in ihrer ursprünglichen Form in ein Museum umgewandelt wurde. In diesem Fall sind es der Politiker Edouard André, einer der reichsten Männer seiner Zeit, und seine Frau, die Porträtmalerin Nélie Jacquemart, die ihr 1875 fertiggestelltes, unweit der Champs Elysées gelegenes Stadtpalais nach ihrem Tode dem Institut de France übermachen. Es wird 1913 als Museum eröffnet. Das Institut de France hat heute die Fondation Culturespaces mit der Leitung des Museums betraut. Sein Konservator ist seit 2016 der Spezialist für italienische Kunst Pierre Curie.

Schon zu Lebzeiten hatten die beiden Kunstsammler ihr groß angelegtes Stadtpalais nicht nur reich möbliert und prunkvoll eingerichtet, sondern es auch in eine Gemäldegalerie verwandelt, die heute zu den wichtigsten in Paris gehört. Besonders bekannt ist dabei die Sammlung italienischer Kunst vom Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert – unter anderem Uccello, Carpaccio, Bellini, Mantegna, Botticelli, Canaletto – aber auch eine beachtliche Sammlung niederländischer – Van Dyck, Hals, Rembrandt – und französischer Maler wie David, Nattier oder Fragonard.

Neben diesem festen Bestand veranstaltet das Museum regelmäßig Sonderausstellungen, die aus Platzgründen einen gewissen Rahmen nicht überschreiten, aber durch die Auswahl der Gemälde einen aufschlussreichen Überblick über das Lebenswerk des jeweiligen Malers oder über einen spezifischen Aspekt seines Lebenswerkes vermitteln. In diesen Rahmen fällt auch die neueste Ausstellung, die das Werk des Schweizers Johann Heinrich Füssli zum Gegenstand hat.

Zu seinen Lebzeiten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als Künstler bekannt und wegen seiner Rätselhaftigkeit und Eigenart geschätzt, gerät Füssli im folgenden Jahrhundert fast in Vergessenheit. Erst die Surrealisten Anfang des 20. Jahrhunderts ziehen die dunkle Angst- und Terror-Atmosphäre des Schweizer Malers wieder aus ihrer Versenkung. Und Ken Russell hat ihm in seinem Film Gothic 1986 ein eindrucksvolles Denkmal gesetzt.

Zwischen Literatur und Malerei

Johann Heinrich Füssli kam 1741 in Zürich als Sohn eines Porträtmalers und Kunst-Historikers zur Welt. Er studiert Theologie und wird 20-jährig Pfarrer. Bald darauf jedoch zwingen ihn ein von ihm und seinem Freund Caspar Lavater verfasstes Pamphlet gegen einen korrupten Landvogt und der dadurch entfesselte Skandal, Zürich zu verlassen. Somit wird schließlich London zu seiner zweiten Heimat. Noch weiß er nicht, ob er Schriftsteller oder Maler werden soll, beides zieht ihn an. Erst seine Begegnung mit dem Maler Joshua Reynolds, Präsident der Royal Academy, der ihn bestärkt, sich als Maler ausbilden zu lassen, entscheidet seine weitere Laufbahn.

Unter anderen vom Bankier Thomas Coutts finanziert, studiert er acht Jahre lang Malerei in Italien, trifft in Rom auch Goethe, der sehr von seinem wilden, inneren Feuer beeindruckt ist. 1780 etabliert er sich endgültig in London, inmitten eines Kreises von zum Teil recht radikalen Malern und Intellektuellen. Unbekümmert und entschlossen setzt er sich mit einem sehr eigenen Stil über viele Gepflogenheiten der Kunst und der Mode hinweg, ja, provoziert bewusst. So entsteht ein Jahr später das Gemälde Der Alptraum. Was es genau bedeutet, ist unklar geblieben. Es beleuchtet eine Szene des Unbewussten und der beunruhigenden Ungeheuer, die es bevölkern. Unklar bleibt auch, wer träumt: ist es die junge Frau, der Maler oder der Zuschauer?

Dieses Gemälde, das Füssli dann noch in verschiedenen Versionen wiederholt hat, macht ihn auf einen Schlag bekannt. Auch die Kunstsammler werden auf ihn aufmerksam.

Selbst wenn sich Füssli, überaus belesen und intellektuell sehr vielseitig, für die Malerei entschieden hatte, so ist er nie ganz von der Literatur losgekommen und viele seiner späteren Gemälde haben literarische oder epische Themen zum Gegenstand.

Dramatische Motive

Foto © O-Ton

Vor allem haben ihn schon seit seiner Jugend William Shakespeares Dramen immer wieder fasziniert. Seit seiner Ankunft in London ist er ein eifriger Theaterbesucher, nicht nur um sein Englisch zu vervollkommnen, sondern auch, weil ihn der Expressionismus der Regie, die Beleuchtung und die Kostüme faszinieren. Vor allem Macbeths mörderische Gruselatmosphäre hat es ihm angetan.

Er widmet diesem Dama mehrere seiner unheimlichsten Gemälde. Wie beispielsweise der irre Ausdruck der Lady Macbeth. Auch der Geist von Hamlets Vater tritt gespensterhaft in einem Gemälde seinem Sohn gegenüber. Der Sommernachtstraum hingegen inspiriert ihn zu durchsichtigen Feen und grotesken Kobolden. Aber nicht alle seiner Illustrationen zu Shakespeare nehmen notwendigerweise eine dunkle oder groteske Form an, viel anmutiger ist das Gemälde Der Traum der Königin Katharina aus dem weniger bekannten Theaterstück Heinrich VIII.

Aus seiner Zeit in Rom und seinen Studien von Michelangelos Werken bringt er die Themen der griechisch-römischen Mythologie mit, aus seiner theologischen Vergangenheit die biblischen. Letztere veranlassen ihn, eine Milton Gallery zu gründen, in Erinnerung an Miltons Paradise Lost, für die er 47 seiner Werke malt. Die Galerie ist kein geschäftlicher Erfolg für Füssli, aber sie erntet ihm das Lob der Londoner Künstlergemeinschaft und gilt heute als ein wesentlicher Meilenstein in der Geschichte der englischen Romantik.

Mit den Gemälden der nordischen Sagen kreiert Füssli vielleicht seine eindrucksvollsten und zugleich erschreckendsten Visionen, wie in Der Besuch der Nachthexe bei den Hexen Lapplands mit seinen hintergründigen fratzenhaften Erscheinungen vor dem Kindesopfer im Vordergrund. Man kann nicht umhin, an die düsteren pinturas negras seines Zeitgenossen Francisco Goya zu denken, obwohl kein erwiesener Kontakt zwischen den beiden Künstlern bestand.

Im Jahre 1799 wird Füssli zum Professor für Malerei an der Royal Academy ernannt und drei Jahre später auch noch zum Chef-Konservator der Akademie. Und obwohl sein Werk weiterhin umstritten bleibt, ist er damit fest im Zentrum des englischen Künstlerlebens etabliert. So ist es nicht erstaunlich, dass ihm nach seinem Tode im Jahre 1825 die besondere Ehre zuteil wird, in der Nähe seines Mentors Joshua Reynolds in der Saint Pauls Kathedrale in London beigesetzt zu werden.

Alexander Jordis-Lohausen