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Kunststücke

Höher, damit es leichter wird

Skulpturen: Sind diese räumlichen Objekte zu gegenständlich, gelten sie nach heutigem Kunstverständnis als kitschig, sind sie zu abstrakt, verschandeln sie nach Meinung vieler die Landschaft. Für Herbert Mehler stellen sie sein Lebenswerk dar. Anlässlich einer Ausstellung seiner Skulpturen im Park von Schloss Hugenpoet verrät er, welchen Traum er noch hat.

Herbert Mehler – Foto © O-Ton

Auf der Art Karlsruhe 2006 lernten die beiden Männer sich kennen. Künstler Herbert Mehler und Galerist Bernd Lausberg verbindet seit sechzehn Jahren eine erfolgreiche Geschäftsbeziehung. Schon kurz nach der Kunstmesse in Baden-Württemberg ging es gemeinsam hinaus in die Welt. An den damaligen Dependancen der Galerie in Miami und Toronto fing es an. Es folgten mehr als 50 Messeauftritte. Und immer wieder auch in Hotels. Ob die Hotelkette mit Häusern in Paris, Hongkong und Singapur, ob Hotels auf der arabischen Halbinsel. Lausberg hatte ein Näschen dafür, wo die Zielgruppen zu finden sind. Und da nimmt es nicht Wunder, dass er die neueste Ausstellung des Skulpteurs im Park des Schlosshotels Hugenpoet organisiert hat.

Seit 1831 ist das Wasserschloss in der Nähe des Naturschutzgebietes Untere Kettwiger Ruhraue im Besitz der Familie von Fürstenberg. 1985 wurde die Anlage unter Denkmalschutz gestellt und dient heute als „Hotel-Restaurant“. Das Fünf-Sterne-Hotel gehörte früher zu den Leading Hotels of the World, einer weltweiten Allianz von Luxushotels, Resorts und Spas. Inzwischen hat es den Verband gewechselt, aber nichts von seinem Luxus eingebüßt. Zum Hotel gehört selbstverständlich ein Park. In dem sind seit Mitte vergangenen Monats Skulpturen aufgestellt, die seine Handschrift verraten.

Herbert Mehler ist am Vorabend der Vernissage angereist. 72 Jahre ist er, verrät er nicht ohne Stolz, weil es ihm blendend geht. Seit 30 Jahren ist er mit der Künstlerin Sonja Edle von Hoeßle liiert, längst auch verheiratet. Gemeinsam haben sie vor fünf Jahren das erbachshof-art-project gegründet. Sich damit nicht weniger als einen Traum erfüllt. Heute verfügen die beiden nebst Galerie-Räumen über eine 400 Quadratmeter große Werkstatt mit Laufkran, die Bestandteil eines Anwesens ist, das in Eisingen in einem Naturschutzgebiet vor den Toren Würzburgs liegt. Vor der Haustür beginnen die Wege, auf denen der Künstler täglich eine Stunde im Laufschritt zurücklegt.

Erst die Falten versprechen Erfolg

Es dauerte lange, bis es im Laufschritt lief. Geboren in Steinau bei Fulda bewunderte Herbert seinen Vater, der als Holzbildhauermeister seinen Lebensunterhalt verdiente. „Der war einerseits ein kleiner Riemenschneider, hundertprozentig handwerklich fit, und hat mich aber immer wieder kritisiert“, erinnert Mehler sich. Von ihm lernte er das Schnitzen, absolvierte nach dem Abitur eine Lehre im Elternhaus. Als er zu Weihnachten seiner Mutter einen Handspiegel schnitzte, konnte Vater Franz nicht an sich halten und musste ihn auf handwerkliche Fehler hinweisen. Damit war die Geschichte erledigt. Herbert sollte nie wieder Schnitzeisen in die Hand nehmen. Das Studium der Malerei in Nürnberg war dann bloße Trotzreaktion; ein Gebiet musste es doch geben, auf dem er seinem Vater überlegen war. Den Beweis musste er schuldig bleiben. Franz Mehler starb wie jeder zweite Holzbildhauer in dieser Zeit viel zu früh am Lungenkrebs. Das Lignin war schuld. Da war Herbert schon 33 Jahre alt und mitten im Strudel des Kunststudiums. Joseph Beuys war das Zauberwort in den 1980-er Jahren. „Man musste ihn lieben. Oder hassen. Und ich habe ihn so geliebt. Und habe dann auch mit Schafwolle und Filz und Fett und allem Möglichen, Weidenhoden und Naturmaterialien rumgebastelt. Anders kann man das nicht bezeichnen“, erinnert sich Mehler.

Irgendwann kam er auf Kupferblech. Das lässt sich leicht biegen, wenn es erwärmt ist. Später arbeitete er mit Metallplatten. Mit Gummiwülsten. Das verlor seinen Reiz. Mehler fühlte keine Seele mehr in seiner Arbeit. Es war, als wiederhole er sich immer aufs Neue. Leidenschaft und Glaube, Liebe, Hoffnung, alles, was einen Künstler kreativ werden lässt, schien immer weiter auszudünnen. Eine tödliche Entwicklung. Die Existenzangst begann, die ihn dazu trieb, vorübergehend als Kunstlehrer zu arbeiten, weil er die Unsicherheit nicht aushalten konnte. 20 Jahre ist das her. Aber es war nicht das Ende, sondern der Beginn des wahren Künstlers Mehler. Und wie so oft im Leben wies auch ihm eine Kleinigkeit den Weg. In diesem Fall waren es Marzipankartoffeln, die ihm seine Frau zum Geburtstag schenkte. Die in den Hütchen. Wer Marzipankartoffeln kennt, weiß, dass sie eine geringe Halbwertzeit haben. Bei Mehler waren sie am Ende des Geburtstages verspeist. Und noch Zeit genug, mit den gefältelten Papierhütchen herumzuspielen. Ja, ganz profan. Und damit spielte er dann so rum, wie er seitdem mit Corten-Stahl herumspielt. „Ich habe immer ein Skizzenbuch dabei und habe da Skizzen gemacht, die sind heute noch gültig. Also, das ist ein Phänomen. Ich war früher sehr unstet. Auf jeden Fall habe ich dann eine Permanenz und Stringenz in meiner Arbeit entwickelt, das hat sich so ergeben. Ich habe immer noch genauso viel Spaß wie früher dabei, in dem Stil zu arbeiten“, erzählt Mehler.

Den Stahl wie Papier zu behandeln, ihm die harte, kantige Schärfe und die Härte zu nehmen, wurde dem Skulpteur zum Bedürfnis. Dass er dazu die „Zickzack-Lamellenstruktur“ für seine Objekte wählt, hat er der Gotik abgeschaut. Halbseitig vorgeblendete Vorsprünge, in denen die Mauer nach hinten zu verschwinden scheint oder von einer Rosette verblendet wird, ergeben fantastische Effekte für die Beleuchtung. Die brachte ihn auf den Kaktus, der immer eine Schattenseite hat, um die totale Austrocknung zu verhindern. „Ich habe immer Spaß dran gehabt, dass man denkt, es ist kein Stahl. Und manche haben ja auch gesagt, es wäre Holz. Und dann bin ich auf diese Lamellenstruktur gekommen und die lässt so viel Leben zu,“ beschreibt Mehler das Gemeinsame seiner späteren Arbeit.

Was Leichtes, irgendwann was Schwebendes

Skulpturen im Schlosspark – Foto © O-Ton

Inzwischen werden seine Skulpturen in Museen, Galerien und vor allem im öffentlichen Raum ausgestellt. Gerade im öffentlichen Raum lodern immer wieder Diskussionen über die Notwendigkeit von Skulpturen auf. „Ist das schön, womöglich Kunst oder kann das doch eher weg?“ ist wohl eine der am häufigsten gestellten Fragen, die Bürger angesichts künstlicher Figuren in Parks und auf Plätzen stellen. Die Frage der Schönheit bewegt auch Mehler. Da sprudelt es geradezu aus ihm heraus. „Ich will eine Struktur in der Schönheit, verbunden durch Naturphänomene. Das ist die Ambivalenz in der Schönheit. Dass Schönheit eben auch bedrohlich ist. Und gefährlich ist. Oder anstrengend ist. Oder aggressiv sein kann. Das finde ich faszinierend. Wir haben das Beispiel der Belladonna. Das ist die Tollkirsche. Und den Saft der Tollkirsche haben sich die alten Ägypterinnen ins Auge geträufelt, damit die Pupillen größer werden. Ein Nervengift. Wenn man zu viel davon nimmt, erleidet man einen unerträglichen Erstickungstod. Die wollten attraktiv sein für die Männer, wollten sich also schöner machen, aber es war eben auch gefährlich. Das geht kongruent mit meinem Anspruch, dass ich sage, ich will eine Schönheit, eine Perfektion, aber da dürfen auch mal Fehler drin sein. So leichte Fehler“, erklärt der Bildhauer, der eines seiner Objekte mit Belladonna betitelte. Und dabei erzählt er auch gleich, dass Titel für ihn relativ sind. Gut, die Dinge müssen ihren Namen haben, aber was der Betrachter in ihnen sieht, ist das Entscheidende.

„Ich bin eigentlich so glücklich, dass ich mit jedem Jahr glücklicher werde“, ist einer der schönsten Sätze, die man von Mehler hören kann. Und wer will, kann seinen Objekten das auch ansehen, wie sie da so im Park von Schloss Hugenpoet stehen, allabendlich illuminiert. Gerade im nächtlichen Licht entfalten sie für den Galeristen Bernd Lausberg die größte Pracht. „Herbert Mehlers Corten-Stahl-Skulpturen bewegen sich in einem spannungsgeladenen Illusionsraum zwischen physischer Materialität und sensitiver Leichtigkeit. Der Umstand der Illuminierung führt zur Betonung der skulptureneigenen Faltungen und fasziniert in der Dunkelheit“, beschreibt Lausberg den aus seiner Sicht größten Moment der skulpturalen Darstellung. Immer größer sind die Objekte mit der Zeit geworden, acht Meter hat die höchste inzwischen erreicht. Dass sie im Laufe seines Schaffens immer größer wurden, lässt sich nicht nur durch wachsenden Erfolg oder gar Größenwahn erklären, weiß Mehler. Er arbeitet an seinem letzten, ja, großen Traum, aus einem bestimmten Grund. „Der ‚Größenwahn‘ wird vielleicht, wenn Gott mir die Gesundheit noch gibt, und er noch mal durchbricht, vielleicht zehn oder zwölf Meter erreichen. Ich bin fest davon überzeugt, dass aus dieser Leichtigkeit, die ich aus dem Metall schaffe, ja was Leichtes und irgendwann was Schwebendes, mit zunehmender Größe mehr wird. Also je höher sie sind, desto leichter schweben die Objekte“, verrät er. Dabei verrät der Glanz in seinen Augen, dass er noch gar nicht so richtig davon überzeugt ist, dass es ein Traum bleiben wird.

Michael S. Zerban