O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Museum Folkwang - Foto © Julius1990

Kunststücke

Malerische Offenbarungen

Papier: Das ist das Material, das die Malerin Helen Frankenthaler vom Abstrakten Expressionismus zur Farbfeldmalerei brachte. Das Museum Folkwang in Essen hat eben diese Werke in den Mittelpunkt einer Ausstellung von 84 Arbeiten gestellt, die noch bis zum 5. März zu sehen ist.

Foto © Alexander Libermann

Hier gehöre ich hin!“ Selbstbewusst überzeugt ist Helen Frankenthaler, die von 1928 bis 2011 lebte, nach einem Besuch 1950 in Jackson Pollocks Atelier. 21-jährig schlägt sie im Epizentrum der Post War Art in New York nachhaltig auf. In einem Milieu, das von künstlerischem Machogehabe sowie Drogen und Sex exzessiv geprägt ist, behauptet sie sich ohne Umstände. Direkt, ohne Umwege, spurt sie ihre Karriere von figurativ abstrakten Arbeiten fast übergangslos zu der ihr eigenen Farbfeldmalerei.

In Kooperation mit der Kunsthalle Krems und der Helen Frankenthaler Foundation präsentiert das Museum Folkwang in Essen vor allem Papierarbeiten. Malerische Konstellationen über sechs Jahrzehnte, die in ihrer abstrakten Form-Kontinuität konsequent – und in der Kunstgeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein seltenes Alleinstellungsmerkmal sind. In zehn chronologisch angeordneten Räumen inszeniert, führt die Ausstellungsarchitektur von surrealistisch, abstrakt expressionistischen wie Circus Landscape aus dem Jahr 1951 und biomorph hybriden Öl-Arbeiten ins Zentrum von Frankenthalers entwickelter Soak Staining bis zum gestisch emotional inspirierten Color-Field-Painting wie bei Third Floor,94th Street, No. IV aus dem Jahr 1960.

Sie schüttet in aktionistischer Unmittelbarkeit auf die ungrundierte Leinwand verdünnte Farbe. Die Pigmente sickern in das Gewebe und verbinden sich mit dem Material zu einer wasserfesten, transluzenten Farbfläche. Mit Grotto Azura, einer Arbeit in Öl auf Papier von 1963, manifestiert sich ihre Haltung, nicht abzubilden, sondern atmosphärische Referenzräume zu schaffen. Dass diese Arbeit für das Corporate Design der Ausstellung als Vorlage dient, folgt der Programmatik, Frankenthalers eigenständige Rolle in der jüngeren Kunstgeschichte neu zu bewerten.

Sie findet in der Nachfolge von Pollocks Action Painting – „Nicht auf der Leinwand malen, sondern in ihr“ – nicht nur ihren spezifisch eigenen Weg. „Es ist mehr als eine Brücke zwischen Pollock und dem, was möglich war“, wie Morris Louis meint. Für ihn und Kenneth Noland wird ihre Farbfeldmalerei in 1960-er Jahren zur Offenbarung. Frankenthaler antwortet 1952 auf die sich daraus unmittelbar stellende Frage – Wie weiter nach Pollock? – mit Mountains and Sea, einem Werk, das nicht in der Ausstellung zu sehen ist. In der Retrospektive eine ikonografische Zäsur in ihrem Werkprozess, mit dem sie etwas Unvergleichbares in der Malerei schafft.

Helen Frankenthaler: Viewpoint, 1974

Zeichnungen auf Leinwand und Papier verbindet sie mit assoziierenden Farbräumlichkeiten. Insofern sind Frankenthalers Papierarbeiten eigenständige Werke, keine Vorstudien für Gemälde. Sie sind innerhalb ihres Œuvres gleichberechtigt, ähnlich den Aquarellen von Geogia O’Keeffe 2022 in der Foundation Beyeler Basel/Riehen.

Auffallend sind immer wiederkehrende Bezüge zum Wasser, zum Meer. Acryl ersetzt nach wenigen Jahren die Öl-Farbe. Maritime Assoziationen durchziehen ihre Arbeiten sehnsuchtsvoll aufgeladen. Sie folgt damit einer Tradition in der Kunstgeschichte, in der Abstraktion dem Erhabenen als Naturphänomen von Licht zwischen Himmel, Erde und Meer nachzuspüren. „Mein ganzes Leben lang habe ich mich vom Wasser und von Transparenz angezogen gefühlt“, zitiert Nadine Engel in ihrem Katalogbeitrag Frankenthaler 1988 aus einem Gespräch mit Julia Brown.

In den 1970-er Jahren organisiert Frankenthaler ihre Arbeiten in horizontalen Segmenten. Atmosphärisch pulsierend lässt sich etwas wie landschaftliche Aussichtspunkte identifizieren. Gestische Markierungen dokumentieren ihren sinnlich romantischen Malduktus wie bei Salome 1978. Im folgenden Jahrzehnt fokussiert sich ihr Interesse auf kosmisch piktoriale Raumerweiterung. Gelblich schimmernde Farbtupfer in Halley’s Comet entwickeln 1985 eine galaktisch universale Dunkelheit. Auf welche Art und Weise mit Soak Staining die Arbeiten ihren einzigartigen Charakter erhalten, ist im filmischen Portrait Frankenthaler. Toward a New Climate aus dem Jahr 1978 von Perry Miller Adatos zu sehen.

New Climate, das abstrakte Klima nimmt bis in ihre späten Werke einen wesentlichen Raum ein. Dichte monochrome, großformatige Flächen wie in Port of Call und Southern Exposure, die beide 2002 entstanden, setzen einen kraftvollen Schlusspunkt in einem Werk, dem Natur und Landschaft immer eine Inspirationsquelle geblieben sind. Die Ausstellung ist noch bis zum 5. März zu sehen.

Peter E. Rytz