O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Brost-Stiftung

Kunststücke

Museum für Klickfreunde

Mit BrosTRäume hat die Brost-Stiftung mit Sitz in Essen ein digitales Museum eröffnet, das für jedermann kostenlos zugänglich ist. Der erste Künstler, der dort ausstellen darf, ist publikumswirksam der Kabarettist Dieter Nuhr. Als nächstes kommt der Trompeter Till Brönner. Das klingt mehr nach Marketing als nach Kunst. Ein erster Besuch zeigt: Die Idee ist besser, als sie zunächst den Anschein hat.

Anneliese Brost – Foto © Zollverein

Die Entstehung der Brost-Stiftung klingt nach einem Hollywood-Märchen. Anneliese Brinkmann wird am 4. September 1920 in Bochum als Tochter eines Pferdehändlers und, wie es heißt, einer Frauenrechtlerin geboren. Die Nationalsozialisten verwehren ihr das Wunschstudium. Nach dem Krieg beginnt Brinkmann ihr Berufsleben als Sekretärin bei der Westfälischen Rundschau, wo sie Erich Brost kennenlernt. Schnell wird sie seine Vertraute und rechte Hand. Gemeinsam mit dem Journalisten Jakob Funke bauen sie die Westdeutsche Allgemeine Zeitung auf, 1975 heiraten sie. Aus der WAZ wird ein Medienimperium. Als Brost 1995, wenige Tage vor seinem 92. Geburtstag, stirbt, führt Anneliese die Zeitungsgruppe als Verlegerin und Mitgesellschafterin weiter. Zu diesem Zeitpunkt engagiert sie sich längst in sozialen und kulturellen Projekten. Als Anneliese Brost mit 90 Jahren am 8. September 2010 stirbt, geschehen zwei entscheidende Dinge. Die Brost-Erben verkaufen ihre Anteile an die Funke-Familie und aus der WAZ-Mediengruppe wird die Funke-Mediengruppe. Testamentarisch verfügt Brost die Gründung der Stiftung mit dem Namen ihres Mannes. Ihr Wille wird 2011 umgesetzt.

Entstanden ist eine Stiftung mit Sitz in Essen, die „wissensbasierte, konzeptionsstarke, mutige, zukunftsweisende Projekte“ fördert, „die möglichst durch Kooperation das Miteinander und die anpackende Selbsthilfe im Ruhrgebiet stützen“. Ein weiter Begriff, der jetzt in einem digitalen Museum mündet. Die Idee ist wahrhaftig nicht neu. Virtuelle Rundgänge als Versuch, das Internet als möglichst wirklichkeitsgetreues Abbild zu nutzen, ist vor allem kommerziell von höchstem Interesse. Programmierer auf der ganzen Welt arbeiten fieberhaft daran, Objekte in den unterschiedlichsten Umgebungen dreidimensional darzustellen. In der Industrie sind die Abläufe von Produktions- und Reparatur-Vorgängen längst Gang und gäbe. In der Kultur passiert hier so gut wie nichts. Eines der wenigen Beispiele, die bekannt sind, ist das Theater der Klänge, das das „Totale Theater“ von Walter Gropius digital abbilden will. Das wirkt allerdings eher wie ein interessant verpackter Verkaufskatalog, der zudem noch stark ausbaufähig ist. Genau davon grenzt sich das Projekt BrosTRäume ab. Hier ist die Idee, den Museumsbesuch kostenlos anzubieten, um mehr Menschen für Kunst zu interessieren.

Die erste Ausstellung zeigt Von Fernen umgeben von Dieter Nuhr. Kunstinteressierte werden hier zurückzucken. Der Spaßmacher, dem der Spaß längst vergangen ist, der Kabarettist also mit einem Millionenpublikum? Der malt jetzt? Muss der jetzt auch noch damit Geld verdienen? Zahlreiche andere Prominente fallen einem da ein, die plötzlich andere Künste für sich entdeckten, um da auch noch mal Kohle abzugreifen. Ein Blick in Nuhrs Lebenslauf zeigt, dass hier eher ein Künstler seinen Schaffenskreis erweitert. Dieter Herbert Nuhr, geboren 1960 in Wesel, aufgewachsen in Düsseldorf, wo er sein Abitur absolvierte, studierte in Essen Bildende Kunst und Geschichte. Neben seiner bekannten Karriere als – bleiben wir bei dem Begriff – Kabarettist widmete er sich auch der konzeptuellen Fotografie, bei der er Fotografien künstlerisch nachbearbeitet. Bereits 2008 hat er eine erste Einzelausstellung in Hamburg, zahlreiche weitere folgen deutschland-, europa- und schließlich asienweit. Nuhr selbst sagt dazu, dass ihm die „bildnerische Arbeit genauso wichtig wie die Arbeit auf der Bühne“ sei. Es kann also keineswegs die Rede von einer Neuentdeckung sein, vielmehr zeigt das Museum BrosTRäume eine weitere von vielen Ausstellungen. 40 Bilder sind dort zu sehen.

Der Praxistest zeigt einen unbeschwerten Zugang in ein noch nicht ausgereiftes Museum. Sicher ist es ein Paradies für klickfreudige Spielkinder, die ihre Grenzen allerdings dann finden, wenn man ein Bild anklickt, so dass es – folgerichtig – im Vollformat auf dem Monitor angezeigt wird. Wie bekommt man Zusatzinformationen zu dem Bild? Und wie kann man das Bild wieder verlassen? Klickt man links auf den Begriff „Map“, kann man sich von dem Bild wieder lösen und im Grundriss des Museums herumklicken. Den Begriff gibt es im Deutschen nicht, da darf man also vermuten, dass er auf die Fantasielosigkeit „kosmopolitischer“ Programmierer zurückzuführen ist, die sich hier im Englischen versuchen. Aber damit sind die Grenzen der Kritik schon fast erreicht.

Insgesamt ist das Museum eine gelungene Angelegenheit, deren Besuch unbedingt empfehlenswert ist. Die Möglichkeiten, die sich daraus eröffnen, scheinen grenzenlos. Und auch bei der Brost-Stiftung weiß man offenbar noch nicht so ganz genau, wie es weitergeht. Zwar wird bereits der nächste Künstler angekündigt. Der Trompeter Till Brönner wird mit seinen Fotografien aus der Ausstellung Melting Pot versprochen. Aber über das Wann und Wie halten sich die Angaben im Vagen. Auch, in welche Richtung sich das Museum weiterentwickeln wird, scheint noch ungewiss. Löst die eine die andere Ausstellung ab oder ergänzen sie sich? Welche Künstler werden in Zukunft hier ausstellen? Sollte es womöglich irgendwann auch mal zeitgenössische Kunst aus dem Ruhrgebiet geben – von Künstlern, deren Namen nicht durch Funk und Fernsehen bekannt sind, könnte das ja tatsächlich ein großer Wurf werden.

Michael S. Zerban