O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Roman März

Kunststücke

Kricke bewegt Duisburg

Die Stadt Duisburg, einst einer der Hauptstandorte der Montanindustrie, bewegt sich im Rahmen der Neustrukturierung bewusst auch im Feld der Kunst. Anlässlich des 100. Geburtstages von Norbert Kricke setzen sich gleich drei Museen mit dem Schaffen des Künstlers auseinander.

Foto © Henning Krause

Duisburg, die einstmals stolze Montan-Stadt, eine Vorzeige-Kommune des westdeutschen Wirtschaftswunders um 1960, zeichnete sich als ein urbaner Organismus mit einer unverkennbaren Identität aus. Das ist lange her. Inzwischen erzählt die Stadt neue, andere Geschichten.

Mit Kunst im öffentlichen Raum und Ausstellungen im Lehmbruck-Museum, im Museum Küppersmühle und im Museum DKM gibt sich die Stadt heute selbstbewusst in ihrem Wandel von einem montanbestimmten zu einem internationalen Kultur-Hotspot. Vielfach beschworen, ebenso immer wieder kritisch auf ihre Glaubwürdigkeit befragt, lässt sich eine konsequente Spur verfolgen.

Laurenz Berges nähert sich Duisburg in den 2010-er Jahren mit unspektakulären, sozial-räumlichen Fotografien, die perspektivisch aus der Vergangenheit in die Gegenwart zoomen. 4100 Duisburg. Das letzte Jahrhundert im Josef-Albers-Museum, Bottrop. In diesem Jahr setzt die Ausstellung Norbert Kricke. Bewegung im Raum in der Stadt neue Akzente. Duisburg leuchtet wider Pandemie und politische, militärische Unwägbarkeiten als lebendiger Kulturstandort mit einem kraftvollen Dialog.

Die vom Museum Küppersmühle in Kooperation mit dem Freundeskreis Norbert Kricke realisierte Ausstellung verbindet sie als Hommage anlässlich des 100. Geburtstages des Künstlers und des ehemaligen Rektors der Düsseldorfer Kunstakademie mit einer Studioausstellung im Lehmbruck-Museum und mit zwei Kricke-Räumen im Museum DKM.

Die Ausstellung im Museum Küppersmühle akzentuiert im Geiste des Informel Krickes Spätwerk aus den Jahren 1975 bis 1984. Getragen vom Credo eines primären Erlebnisses – „Mein Problem ist nicht Masse, ist nicht Figur, sondern es ist der Raum und es ist die Bewegung – Raum und Zeit“, formulierte Kricke 1954 – sind seine filigranen, biegsamen Raumplastiken neben Zeichnungen zu sehen. Sie feiern eigenständig die Freiheit der Linie. Sie sind keine Vorzeichnungen oder Skizzen als skulpturale Vorlagen.

Die Linie, die programmatisch mit dem DKM-Motto Linien stiller Schönheit zeichnet, verbindet und ergänzt die Küppersmühle-Ausstellung mit der ständigen, in unveränderter Form präsentieren DKM-Sammlung in zwei Räumen mit zwanzig Zeichnungen und zwei Bildhauermodellen von Kricke. In einer Schauvitrine neben einer typischen Linie-Grafik reflektiert Kricke in einem Gedicht sein künstlerisches Verständnis von Raumplastik als Gleichung von Raum und Zeit:

linie – form der bewegung
bewegung – form von zeit

offenheit  kurvung
konkav  konvex

zuviel offenheit
form zerfällt
raum dominiert

……….

Parallel verweist eine mit etwa 60 cm Höhe relativ kleine Plastik, vom Kricke-Archiv für die Ausstellungsdauer ausgeliehen, auf eine Kooperation mit dem Lehmbruck-Museum auf Augenhöhe. Dessen Dauerleihgabe des Narkissos, entstanden zwischen 1948 und 50, an das DKM kehrt in das Lehmbruck-Museum im Rahmen der Studioausstellung zurück.

Zusammen mit weiteren frühen Plastiken wie dem Liegenden Jüngling, 1949 verweist die sie auf den Beginn von Krickes künstlerischer Karriere. Von klassischen Motiven der Bildhauerei beeinflusst, sucht und findet er die für ihn typischen Ausdrucksformen. Reduktion auf das skulptural Unabgeschlossene, das von einer Nähe zur Grafik und den Drahtarbeiten von Hans Uhlmann beeinflusst ist, der von 1900 bis 1975 lebte. Die weitere Nähe etwa zu Wilhelm Lehmbruck manifestiert sich 1971 in der Verleihung des Wilhelm-Lehmbruck-Preises an ihn: „[Lehmbrucks] emporsteigender Jüngling war für damalige Verhältnisse eine unerhört kühne Tat“.

Mit Beginn der 1950-er Jahre erfindet sich Kricke mit seinen Raumplastiken neu. Allein die Abstraktion gilt ab sofort seinem Werk als Aufgabe mit einem einzigen Stilelement: „… genaueste Begrenzung von Flächen … ganze Räume, Tiefen messen zu können … das Gesehene, in Bewegung und Lichtnuancen … umzusetzen …“

Demjenigen, der seine Wahrnehmung in diesem Sinne justiert, ein- und hingeführt von den Kricke-Facetten im Lehmbruck-Museum und Museum DKM, ist die Kricke-Schau im Museum Küppersmühle ein sinnlich-emotionales Meditationsangebot über die Linie. Es führt zurück zu den sechs Zeichnungen einzigartiger Schlussstriche im DKM. Von rechts nach links, dem ästhetischen DKM-Ausstellungsprinzip von Raum und Objekt folgend, lesen sie sich als finaler Abschied Krickes unmittelbar vor seinem Freitod 1984.

Peter E. Rytz