O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

K20 in Düsseldorf - Foto © Sebastian Drueen

Kunststücke

Der Mucha

Person und Anerkennung finden ihren Ausdruck allgemein im Namen, in der Regel dem Vornamen und dem Nachnamen. Wer sich in den Künsten mit seinen Werken einen weltweit anerkannten Namen gemacht hat, für den reicht der Nachname. Der entsprechende Artikel davorgesetzt, nobilitiert Ausnahmekünstler in besonderer Weise: Der Caruso, die Callas, die Bartoli, der Rembrandt oder der Picasso. Die Stiftung Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf titelt die aktuelle Ausstellung mit Der Mucha – Ein Anfangsverdacht. Die Ausstellung ist noch bis zum 21. Januar kommenden Jahres zu sehen.

Foto © Achim Kukulies

Mucha, wer? Selbst den kunstaffinen Ausstellungsbesuchern wird Reinhard Mucha nicht unbedingt unmittelbar als ein Protagonist der Artikel-Nobilitierung einfallen. Wer also ist dieser Mucha und was macht ihn so bedeutend, ihn in einer solchen außerordentlich umfangreichen Ausstellung zu würdigen? Im K 20 mit drei raumgreifenden Installationen sowie im K 21 mit einem Parcours von dreizehn Räumen werden Werke aus vier Jahrzehnten bis heute gezeigt.

Was im aufwendig produzierten, mit einem seinen Produktionsort Atelier assoziierenden Layout gestalteten Katalog als ein Spiel mit skulpturalen Möglichkeiten benannt wird, könnte sich fallweise ohne ihn nicht ohne weiteres für den Besucher von selbst erschließen. Muchas in den 1980-er Jahren begonnenen urbanen Feldforschungen suchen Darstellungsmöglichkeiten jenseits überkommener institutioneller Vorstellungen. Der Untertitel der Ausstellung Ein Anfangsverdacht zitiert einen damals in Österreich weit verbreiteten Restaurantführer. Ironisierende Hinterfragung des Systems Kunst und die Rolle des Künstlers darin, dekliniert Mucha hinsichtlich ihres Selbstverständnisses: Sind seine künstlerischen Entscheidungen immer noch zutreffend oder waren sie lediglich ein Anfangsverdacht?

Fundstücke, verblichene Hauszeichen im Kontext historischer Fotografien sowie Fotografien, die Mucha in den ersten 30 Jahren seines Lebens zusammen mit schulischen Texten zeigen, Kopfdiktate, blättern sein künstlerisches Selbstverständnis auf. Alltägliche Objekte, ihrer Gebrauchsfähigkeit enthoben, öffnen neuartige und damit gleichzeitig neugierig machende Wahrnehmungsperspektiven. Panoramen, die die Welt unmittelbar vor den Füßen und den Augen verschränken, sie durch intervenierende Ausstellungsformate künstlerisch markieren.

Mit Wartesälen der Eisenbahn, die mit normgerechten Schildern 242 Bahnhöfe mit sechs Buchstaben einer Topografie entsprechend des Eisenbahn-Güter- und -Tiertarifs von 1943 nachzeichnen, gelagert in verschlossenen Schubfachregalen, Wartesaal 1979 – 1982, imaginiert Mucha einen nutzbaren Speicher von Reisezielen. Die Pointe der künstlerischen Intervention ist, dass es diese Verbindungen heute gar nicht mehr gibt. Allein durch seine künstlerisch intendierte Werksystematik bleibt präsent, was so nicht – mehr – existiert.

Wie ein roter Faden zieht sich durch die Ausstellung eine Irritation des nicht Vollendeten, des nicht Endgültigen. Immer wieder entrollt, öffnet und schließt Mucha seine Arbeiten neu auf: Ein produktives Zaudern. Fertig und provisorisch zugleich. Aktualisierung als eine komplizierter work in progress ohne sanktionierte Haltelinien. Haltelinien, die sich mancher Ausstellungsbesucher angesichts der Wahrnehmungs- und Entschlüsselungsherausforderungen sicher gern wünschte.

Wer sich auf Muchas Paradoxien und Reflexionen als romantische Denkfiguren einlässt, verlässt die Ausstellung mit vordem so nicht unbedingt zu erwartendem Bildungs- und Erkenntnisgewinn. Bildende Kunst, Poesie, Philosophie und Ästhetik bettet Muchas Werk in einer nach Friedrich Schlegel aufklärerisch benannten sokratischen Ironie. Sich scheinbar ausschließende Bedeutungen sagen gleichzeitig aus. Alles bleibt anders. Eine Sache von vielen Seiten zu betrachten, eröffnet latente Möglichkeitsräume.

Werktitel wie Gewußt wodurch, nicht wissend womit. Gewußt wohin, nicht wissend wobei aus dem Jahr 2007 kann man wie eine Anleitung zu Muchas Reflexionsformenkatalog lesen. Wer sich darauf einlässt, kann zumindest auf Selbstbelohnung hoffen.

Peter E. Rytz