O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Achim Kukulies

Kunststücke

Der Essenz des Bildes auf der Spur

Berühmt ist der niederländische Maler Piet Mondrian als Schöpfer strenger geometrischer Formen mit schwarzweißen Linien und Farbfeldern in unterschiedlichen Farben. Die Kunstsammlung NRW zeigt derzeit 90 Werke aus 50 Jahren, darunter auch Bilder aus der Frühzeit, in denen Mondrian noch naturalistisch arbeitete.

Foto © Kunstsammlung NRW

Die aktuellen Ausstellungen Der Mucha – Ein Anfangsverdacht und Mondrian/Evolution in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen erzählen Kunst- und Sammlungsgeschichte regional und kanonisch zugleich. Die bildkünstlerische Selbstfindung der beiden Künstler geht von sehr verschiedenen Ufern aus. Reinhard Mucha, Protagonist der Düsseldorfer Kunstakademie, ist in seinem skulpturalen Formgebungsprozess einer sokratischen Ironie verpflichtet.

Mit Piet Mondrian wird ein bemerkenswerter Aspekt der Düsseldorfer Sammlungsgeschichte in Verbindung mit den herausragenden Gründer- und Sammlerpersönlichkeiten Ernst Beyeler und Werner Schmalenbachbeide in Basel aufgewachsen und lebenslang befreundet – sichtbar. 1960 erwirbt das Land Nordrhein-Westfalen über die Galerie Beyeler 88 Bilder und Zeichnungen von Paul Klee – und vier neoplastische Werke Mondrians. Sie bilden den Grundstock der damit einsetzenden, wesentlich von Schmalenbach, dem ersten Direktor von 1962 bis 1990 initiierten Weltgeltung der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen.

Dass sich die Fondation Beyeler und die Düsseldorfer Kunstsammlung zu einer Kooperation Mondrian. Evolution, einer Hommage zu Mondrians 150.Geburtstag und gleichzeitig dem 25-jährigen Bestehen des Ausstellungshauses in Basel/Riehen, verabredet haben, ist von daher mehr als naheliegend. Sie ist eine Erzählung über den kulturell-gesellschaftlichen Wert bildender Kunst, der Kunst eines kommunikativ orientierten Ausstellens sowie über die visionäre Kraft des Sammelns.

Die Kuratorinnen Kathrin Beßen und Susanne Meyer-Büser sowie Ulf Küster, Senior-Kurator für die Fondation Beyeler folgen im K 20 einer Chronologie mit distinktiven Querverweisen. Bilder aus verschiedenen Schaffensperioden hängen selbsterklärend nebeneinander. Weiterhin lenkt die Ausstellungsarchitektur, für die das Team please don’t touch verantwortlich ist, den Blick auf Hängungen in entfernteren Räumen. Sie regen unmittelbar zu reflektierten Wahrnehmungsvergleichen an.

Der Ausstellungsparcours zeichnet Mondrians langen Weg über fünf Jahrzehnte anhand von 90 Werken vom realistischen Naturvorbild im Stil der Den Haager Schule bis zu einer radikalen Abkehr und Hinwendung zur Abstraktion nach. Unmittelbar, beinahe physisch spürbar, wie er mit einer neuen Gestaltungsform, einer „reinen Realität“ triumphiert. Er markiert mit der, so von ihm bezeichneten, neoplastischen Malerei einen Meilenstein in der Kunstgeschichte der Moderne.

Beeinflusst von den Farbigkeitsskalen in Werken Vincent van Goghs, vom Symbolismus eines Jan Toorop sowie von mystisch-religiösem, theosophischem und anthroposophischem Denken, malt er ab 1920 in der Überzeugung, das eigentlich Unsichtbare, also die geistige Dimension sichtbar zu machen: Die Essenz des Bildes.

Den Begriff der Evolution dekliniert Mondrian als einen Prozess von experimentellen, paradigmatischen Erfahrungen hin zu einer höheren, künstlerischen Stufe. Er folgt einem Grundmuster – nämlich der „Ausgewogenheit der dynamischen Bewegung von Form und Farbe“ – das sich als Trias von Evolution, Vision und Geist beschreiben lässt.

Foto © Achim Kukulies

Unter dem Blickwinkel von Mondrians zukünftigen Abstraktionen lassen sich in Wald bei Oele 1908 beispielhaft schon rhythmisch kompositorische Elemente entdecken, wie sie in Rhythmus aus geraden Linien/Komposition mit Blau, Rot und Gelb aus den Jahren 1937 bis 42 oder im Vergleich von Selbstporträt 1918 mit Komposition Nr. II zwei Jahre später zu sehen sind. Es erweckt den Eindruck, als kreise Mondrian schon von Anfang um einen reduzierten Kern.

Das Subjektive zugunsten des Objektiven zu eliminieren, ähnlich Marcel Prousts mäandrierender, erinnernder Suche nach der verlorenen Zeit. Auf den letzten der mehr als 2.400 Seiten fragt Marcel weiterhin: „War aber nicht die durch das Gedächtnis vollzogene Widerschöpfung von Eindrücken, die ich später zu vertiefen, zu erhellen, in geistige Äquivalente umzuwandeln hätte, eine der Voraussetzung, ja geradezu die Essenz des Kunstwerkes, so wie ich es vorhin in der Bibliothek hatte?“ Es liest sich wie eine parallele, literarisch konnotierte Reflexion.

Mondrians New Yorker Atelier in 353 East 56th Street, ein begehbares Kunstwerk an sich, assoziiert in seiner konzentriert klaren Struktur, unwillkürlich Prousts von der Außenwelt abgeschotteten Schreib- und Lebensraum. Allerdings gibt es einen entscheidenden Unterschied. Für Mondrian ist dieser kreative Arbeitsraum, anders als Prousts Selbstgefangennahme, Ausgangspunkt, um sich einem Jazz begeisterten Tanzfieber hinzugeben. Überzeugt davon, dass seine Werke mehr von solchem Boogie-Woogie bräuchten, spürt er als leidenschaftlicher Tänzer dem Rhythmus nach, der sich in seinen Bildern dieser Zeit wiederspiegelt.

Die ikonische Arbeit Öl und Papier auf Leinwand New York City I aus dem Jahr 1941 erscheint wie ein Stadtplan, der in allen Richtungen gelesen, wie Boogie-Woogie mit ständigen Rhythmuswechseln getanzt werden kann. Schon im zweiten Ausstellungsraum in Düsseldorf ist Musik von Ferne zu hören. Überschrieben mit Der Beat von Piet, lädt jener Raum, aus dem sie zu hören ist, ein, sich einen eigenen Mondrian zu basteln. Die ausliegende Liste der Musik zeigt Jazztitel von Louis Armstrong oder Duke Ellington auf, die Mondrian besonders mochte.

Mondrian/Evolution, ein Angebot für alle Sinne, für Große und Kleine. Eine Weihnachtsempfehlung, die auch Spaß macht. Mondrian muss man sich als einen rhythmisch bewegten Menschen vorstellen.

Peter E. Rytz