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Kunststücke
Bis zum 7. Mai wird im Kunstpalast Düsseldorf die Ausstellung Mehr Licht. Die Befreiung der Natur präsentiert. Die Kuratoren Florian Illies und Anna Christina Schütz zeigen rund 170 Werke von 75 Künstlern, die ab 1820 die neue Technik der Ölstudie einsetzten. Damit einher ging ein neuer Blick auf die Motive, der erst durch das Malen vor Ort möglich wurde.
Zitate, einmal in die Welt gesetzt, beharren auf ihrer Originalität. Auch dann noch, wenn es berechtigte Zweifel an der Stimmigkeit des Satz-Kontextes gibt. „Mehr Licht!“ wird Johann Wolfgang Goethe als letzte Worte auf seinem Sterbebett zugeschrieben. Literaturwissenschaftliche Untersuchungen widersprechen mit Hinweis auf seinen hessischen Dialekt und infolge dessen auf mögliche Lautverschiebungen.
Die Ausstellung Mehr Licht. Die Befreiung der Natur im Kunstpalast Düsseldorf inkarniert Maler mit Ölstudien zwischen 1800 und 1860 als die eigentlichen Erfinder der Freiluftmalerei. Sie seien mit ihren Naturstudien von großer Unmittelbarkeit gewissermaßen die Vorreiter des Impressionismus.
Man könnte an dieser Stelle trefflich streiten, wer „Mehr Licht“ – literarisch wie malerisch betrachtet – für sich originär beanspruchen darf. Wie auch immer, ist diese Konfrontation mehr als nur eine polemische Pointe. Sie zeugt von einer immer stärker in den Vordergrund drängenden Ökonomie der Aufmerksamkeit, übergreifend in alle Bereiche von Produktion sowie von Kunst und Kultur. Kunstausstellungen klassischen Formats sehen sich zunehmend von immersiv gestalteten herausgefordert.
Zurück in den Kunstpalast: Löst Mehr Licht. Die Befreiung der Natur das Versprechen ein? Zunächst lässt sich festhalten, dass die ausgestellten Ölstudien von wichtigen Vertretern der Düsseldorfer Malschule sowie von Caspar David Friedrich die Ausstellungspolitik des Kunstpalastes von Generaldirektor Felix Krämer kontinuierlich fortsetzen: Das Junge Rheinland, 1919; Verrückt nach Angelika Kauffmann, 2020; Caspar David Friedrich und die Düsseldorfer Romantiker 2020.
Die Kunst der Ölstudien im 19. Jahrhundert öffnet mit Aplomb eine relativ neue Perspektive auf die Kunstgeschichte. „Augenöffner mit Überraschungspotenzial“, gibt sich Krämer überzeugt. Mit Florian Illies, vielen vor allem als geachteter Autor im deutschsprachigen Raum bekannt, hat Krämer einen zwischen Literatur, Journalismus und Kunst grenzüberschreitenden Coup gelandet. Illies sammelt seit 30 Jahren als gelernter Kunsthistoriker und Kunsthändler Ölstudien. Er findet sie auf Flohmärkten und in Antiquariaten als Restposten.
Als Studien, in gewissen Sinn auch als Fingerübungen handwerklicher Malkunst, doch als eigenständige Kunstwerke kaum wahrgenommen, doch nun respektiert und kunstgeschichtlich in ihrer Wertigkeit eingeordnet, verfügt Illies inzwischen über ein umfangreiches visuelles Archiv. Und er hat sich als ein Ölstudien-Experte Anerkennung erworben. Krämer ist sichtbar stolz, ihn als Kurator zusammen mit Anna Christina Schütz, Mitarbeiterin der Grafischen Sammlung des Hauses als Co-Autorin, für die Ausstellung gewonnen zu haben.
Sie haben 170 Exponate von 75 Künstlern aus musealen und privaten europäischen Sammlungen zusammengetragen. Viele, die noch nie öffentlich zu sehen waren. Sieht man von Überblickausstellungen in Rom, Paris und Washington ab, die vorher kaum beachtete Ölstudien präsentierten, fokussiert die Ausstellung auf „eine neu zu bewertende Kunstgattung“, sagt Krämer.
Die Sonderstellung der Ölstudien zu Beginn des 19. Jahrhunderts erklärt sich aus maltechnischen und ökonomischen Rahmenbedingungen. Die Erfindung der Farbtube 1841 ermöglicht gegenüber Zeichnung und Tusche ein freies, relativ wetterunabhängiges Malen in der Natur. Andererseits können Künstler vermehrt Stipendien insbesondere für Italien nutzen, ohne fest umrissenen Auftrag zu arbeiten. Sie können im Naturlicht ihre Farbpaletten unmittelbarer ausprobieren, Licht-Schatten-Spiele gegeneinander setzen. Die ausgestellten Ölstudien sind ihnen Rohmaterial für eine Öl-Leinwand-Arbeit im Atelier.
Es fällt beim Rundgang durch die Ausstellung auf, dass es die Mehrheit der vertretenen Künstler nicht zur Prominenz in den kunstgeschichtlichen Kanon geschafft hat. Neben Legenden wie Arnold Böcklin mit Teich mit Seerosen um 1846, Carl Blechen mit Kornfeld aus den Jahren 1830 bis 35 oder Caspar David Friedrich mit Schiffe auf der Reede um 1818 sind anonyme Künstler sowie eine einzige Malerin, Rosa Bonheur mit ihrem Werk Landschaft im Nebel, wenn man unter der Düsseldorfer Perspektive von Johann Wilhelm Schirmer & Co. absieht, eher weniger bekannte Namen zu sehen.
Nichtsdestotrotz wird die Ausstellung mit der vielleicht aufregendsten Neu- oder Wiederentdeckung von Ludwig Hugo Becker, von dem Küstenlandschaft bei St. Valery gezeigt wird, mit Traugott Fabers Fenster-Blick auf Dresden, mit Sonnendurchfluteter Weg in Torbole von Edmund Kanoldt oder mit den Waldstudien von Christian Friedrich Gille zu einer auf- und anregenden Reise durch ein eher unbekanntes Kapitel der Kunstgeschichte. Mit Abendstimmung an der Elbe von Carl Robert Kummer wird dieses Blatt als Katalog-Design noch in besonderer Weise nobilitiert.
Dass der Katalogbeitrag Grauwerte am Himmel. Ein Weg in die Ungegenständlichkeit des namhaften Philosophen Peter Sloterdijk weitere Ausstellungsbesucher anziehen wird, kann als sicher gelten.
Peter E. Rytz