O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Joschua Voßhenrich

Schumannfest 2022

Hexenspuk und Choleramusik

DIE ERSTE WALPURGISNACHT
(Diverse Komponisten)

Besuch am
24. Juni 2022
(Premiere)

 

Schumannfest 2022 in der Tonhalle, Düsseldorf

Kurz bevor die Theaterferien beginnen, holen die Düsseldorfer Symphoniker im Rahmen ihres letzten Sternzeichen-Konzerts dieser Spielzeit die Walpurgisnacht nach, die bekanntlich traditionell in der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai stattfindet. Groß ist die Neugier der Musikfreunde, die in Scharen die Treppen hinauf den Mendelssohn-Saal der Tonhalle erklimmen und gespannt sind, wie das weite Rund musikalisch zum Blocksberg mutiert, auf dem sich die Hexen ein Stelldichein geben.

Zunächst geht es aber pünktlich nach Osteuropa auf einen kahlen Berg. Auf russisch heißt er Lyssaja gora, von denen es im slawischen Raum mehrere gibt. Dort tanzen die Hexen in der Johannisnacht vom 23. auf den 24. Juni. Modest Mussorgsky hat dieses Geschehen in seiner berühmten sinfonischen Dichtung Eine Nacht auf dem kahlen Berge in orchestrale Töne gefasst, die nach seinem Tod Nikolai Rimski-Korsakow bearbeitete. Letztere Fassung hat sich durchgesetzt. Während der Aufführung des Stücks geht es unter David Reilands umsichtiger und präziser Leitung bei den Düsseldorfer Sinfonikern hoch her. Bis die Glocke bimmelt und ruhig der Tag anbricht, lassen sie die Geister und Hexen so richtig lärmen und feiern.

Anschließend begibt man sich westwärts zum Harz. Denn dort findet ein Geisterspuk statt, den Johann Wolfgang von Goethe dichtete und Felix Mendelssohn Bartholdy vertonte: die weltliche Kantate Die erste Walpurgisnacht für Soli, Chor und Orchester. In diesem Opus 60 geht es um den Konflikt zwischen dem Christentum und den alten heidnischen Bräuchen. Trotz Androhung von Verfolgung und Tod wird die Walpurgisnacht auf dem Brocken gefeiert. Die Heiden verkleiden sich zur Abschreckung der „Pfaffenchristen“ als Teufelsfratzen. Und die Druiden begehen ihre Opferrituale. Auch hier spielt das Orchester gemäß den unterschiedlichen musikalischen Stimmungsbildern schwungvoll und unterhaltsam auf. Dabei begleitet Reiland die Sänger sehr mitatmend, die deswegen ihre Partien unverkrampft gestalten können.

Foto © Joschua Voßhenrich

Altistin Katrin Wundsam als alte Frau überzeugt mit einem verständlichen Ausdruck. Auch der seriöse Bass-Bariton von Miklós Sebestyén ist klar, doch wie die Altstimme nicht immer durchsetzungsfähig. Bariton Thomas E. Bauer singt die Rolle des Priesters der Druiden und eines Druiden absolut plausibel und eindringlich. Und der brillant lyrisch-narrative Tenor von Maximilian Schmitt passt ausgezeichnet zu dem anderen Druiden und einem christlichen Wächter.

In der ersten Konzerthälfte, also vor diesem ganzen Spuk, kommt Fanny Hensel zu Wort. Allgemein bekannt dürfte zwar sein, dass die vier Jahre ältere Schwester Felix Mendelssohn Bartholdys eine ausgezeichnete Pianistin, Dirigentin und Komponistin war. Doch hatte das weibliche Geschlecht musikalisch bis ins 20. Jahrhundert hinein in der Öffentlichkeit nichts zu suchen. Nur im privaten und halböffentlichen Rahmen durften die Musikerinnen auftreten. Legendär waren Hensels Sonntagsmusiken, deren Programmgestaltung sie nach ihrer Heirat mit Wilhelm Hendel verantwortete. Bei diesen Konzerten trat sie als Solistin, Kammermusikerin und Dirigentin auf, stellte unter anderem ihre Werke und die ihres Bruders vor. Über 460 Werke schrieb sie. Nur sehr wenige von ihnen sind bisher veröffentlicht. Erst seit 1964 befinden sich fast alle in der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Und erst seit den 1980-er Jahren beschäftigt sich die Forschung mit ihrem Oeuvre, das sich aus Liedern, Klavierstücken, kammermusikalischen Werken, geistlichen Kantaten und Werken mit Orchester zusammensetzt. So harren noch die meisten ihrer Kompositionen einer öffentlichen Erstaufführung. Eine vielbeachtete Uraufführung gab es anno 1984 in Köln: die des Oratoriums nach Bildern der Bibel. Hensel komponierte es im Jahr 1831 im Angedenken an die Verstorbenen der Cholera-Epidemie. Vieles erinnert an die Stilistik Johann Sebastian Bachs. Aber auch ein eigener Personalstil ist deutlich vernehmbar, etwa manche dramatischen Ballung, dunkel getönte Klangsprachen und originelle harmonische Wendungen.

Foto © Joschua Voßhenrich

Wie bei der Walpurgisnacht präsentiert sich der von Dennis Hansel-Dinar einstudierte Chor des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf hochmotiviert, intoniert seine teils anspruchsvollen Passagen sehr ausdrucksstark. So fallen kleine Ungenauigkeiten hinsichtlich Intonation und Homogenität nicht sonderlich ins Gewicht. Hinzu gesellen sich mit gleichen Gesangsqualitäten wie bei Mendelssohn Wundsam, Bauer und Sebestyén. Außerdem ist Anke Krabbe mit einer kräftig strahlenden Sopranstimme daran beteiligt. Dazu begleitet das Orchester der Landeshauptstadt routiniert. Doch während des gesamten kurzweiligen Abends mangelt es streckenweise an einem akkuraten Zusammenspiel. Beispielsweise klingt der Streicherapparat trotz klarer Anweisungen des Dirigenten nicht immer synchron. Außerdem könnte das Klangbild etwas durchsichtiger sein.

Das Publikum zeigt sich hellauf begeistert, hat großen Spaß an dem unterhaltsamen Programm.

Zu der Aufführung des Oratoriums von Fanny Hensel ist passend vor den ersten Geigen die Skulptur Memento Mori von Leiko Ikemura positioniert. Sie ist eine künstlerische Antwort auf den Tsunami in Fukushima 2011, dem über 22.000 Menschen zum Opfer fielen. Nur stören die drei Monitore über dem Orchester, auf denen Bilder des italienischen Malers Jacopo da Pontormo aus dem 16. Jahrhundert und fragmentarische Aufnahmen der Skulptur projiziert werden. Und während der Hexenspektakels gibt es dort einen flächigen Farbfilm zu sehen. Diese Art einer bestimmt gut gemeinten visuellen Inszenierung kann aber von der Musik ablenken, wenn nicht sogar stören. Sie spricht, steht nämlich für sich selbst und bedarf deswegen eigentlich keiner andersartigen Erweiterungen beziehungsweise Zusätze.

Hartmut Sassenhausen