O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Susanne Diesner

Schumannfest 2022

Verloren im Saal

CE QUI COULE DU GESTE
(Diverse Komponisten)

Besuch am
18. Juni 2022
(Einmalige Aufführung)

 

Schumannfest 2022, Tonhalle, Düsseldorf

Grabesstille in der Tonhalle. Mon dieu, man kennt das ja bei Festivals. Da ist die Spielstätte nicht der Hauptspielort, sondern ein Salon am anderen Ende der Stadt. Aber nein, beruhigt das freundliche Personal am Einlass. Alles in Ordnung. Später wird zu erfahren sein, dass für den Mendelssohn-Saal, das ist der große Saal der Tonhalle, der rund 1.900 Plätze umfasst, rund 60 Karten ausgegeben wurden. Nun ist die Aufführung des heutigen Abends ohnehin nur für Bühne und Chorpodium vorgesehen. Aber auch da hätten mindestens drei Mal so viele Menschen Platz gehabt. Und nein, die Hitze in Düsseldorf ist nicht die Entschuldigung. 32 Grad im Schatten sorgen für Menschenaufläufe am Rheinufer, wenige Meter von der Tonhalle entfernt. Und Kenner wissen sowieso, dass es temperaturbezogen kaum einen angenehmeren Ort in der Stadt gibt als das Konzerthaus, das die Kapazitäten seiner Klimaanlage ausspielt.

Bundesweit nehmen die Zuschauerzahlen im Klassik-Bereich dramatisch ab. Ausnahmen bestätigen die Regel. Geht der Wettbewerb gegen „attraktive“ Fernsehprogramme und andere Unterhaltungsformen verloren? Die Veranstalter werden gut daran tun, sich nicht in der Hoffnung, dass schon alles wieder besser werde, tatenlos in die Sommerferien zurückzuziehen, sondern außerhalb ihrer Blasen nach neuen Strategien zu suchen. Und sie werden sich entscheiden müssen, ob sie sich weiter gender-ideologisch gegen das Publikum aufstellen wollen oder vielleicht doch eher wieder die sprachliche Nähe zu ihren Besuchern suchen. All das ist Zukunftsmusik. Heute geht es eher um gegenwärtige und alte Musik in Verbindung mit Malerei. Und das auf ausgesucht hohem Niveau.

Charlotte Guibé – Foto © Susanne Diesner

Längst gehört Isabelle Faust zur Weltklasse der Geiger. Dazu beigetragen hat ihr Einsatz für zeitgenössische Musik. Und dazu passt auch das heutige Programm Ce qui coule du geste – das, was aus der Geste fließt. Selten kommt man einer solchen Persönlichkeit näher als im Rahmen des Schumannfestes. Auf der Bühne ist eine Wand gegen das Parkett aufgestellt, an der 16 Kunstwerke aufgehängt sind. Davor gibt es Malutensilien und einen Notenständer, vor denen Stühle im Halbkreis aufgestellt sind. So bekommen die Besucher sogar die Gelegenheit, mal auf dem Stuhl zu sitzen, der normalerweise von den Orchestermitgliedern genutzt wird. Und da darf man festhalten: Ein Orchesterstuhl ist kein Chefsessel. Auch wenn die Rückenlehne verstellbar ist.

Faust ist nicht allein gekommen. Sie hat die Malerin Charlotte Guibé mitgebracht, um ein Projekt zu verwirklichen, dass die beiden gemeinsam mit dem Komponisten Ondrej Adámek entwickelt haben. Es geht, wie der Name des Programms andeutet, um die Geste, die sich wie eine Klammer um den Abend legt. Guibé nimmt einzelne Bilder von der Wand, um sie unter anderem mit einem Geigenbogen und flüssiger Farbe weiterzubearbeiten, während Faust die Musik von Adámek mit Stücken von Johann Sebastian Bach, Johann Georg Pisendel und Heinrich Ignaz Franz Biber kombiniert, wenn sie nicht ganz auf das Instrument verzichtet und das Musizieren auf das Gestische reduziert. Die Idee ist nicht neu, früher nannte man solche Veranstaltungen Happenings. Auch wenn es da schon mal rauer zuging. Hier laufen die Bewegungen ruhig ab, so dass schon fast ein zauberhafter Eindruck entsteht. Was ein wenig befremdet, ist die Ernsthaftigkeit, um nicht zu sagen die Leichenbittermiene, mit der die beiden Künstlerinnen zu Werke gehen. Da freut man sich regelrecht, die beiden nach eineinviertel Stunde auch mal lächeln zu sehen. Nämlich dann, wenn sich das Publikum für die Aufführung sehr herzlich bedankt.

Der Tonhalle ist hier ein sehr schöner, distinguierter Beitrag zu ihrem Motto „Kunst total“ gelungen, der in einem kleineren Saal vielleicht nicht einmal so intensiv gewirkt hätte wie in der Weite des Kuppelsaals. Und manchmal braucht Kunst auch für wenig Publikum viel Raum.

Michael S. Zerban