O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Ralf Puder

Asphalt-Festival 2021

Am Bürger vorbei

TAX FOR FREE
(Helge Schmidt)

Besuch am
4. Juli 2021
(Premiere)

 

Asphalt-Festival, Düsseldorf, Central

Im Grunde ist der deutsche Michel ein genügsamer Kerl. Selbstverständlich weiß jeder durchschnittlich gebildete Bundesbürger spätestens seit der so genannten Bankenrettung 2008, dass er von der Regierung beschissen wird. Oder um es vornehmer auszudrücken, entdeckte er spätestens dann, dass das große Narrativ der Regierung nicht stimmen konnte. Solange es dem Vetter Michel gut geht, nimmt er das hin. Sollen die da oben doch ihre Reichtümer untereinander aufteilen. Das System muss funktionieren, und das heißt: Der eigene Wohlstand muss gesichert sein. Dann ist der Rest eigentlich ziemlich egal. Wer will gegen ein System rebellieren, das Arbeit, Urlaub, Kinderaufzucht, Auto, Wohnung und ausreichende Betäubungsmittel für die Freizeit sicherstellt? Niemand. Es sei denn, es würde ruchbar, dass die Regierung nicht nur gierig, sondern auch dumm ist. Denn das befördert Ängste, dass die eigene Existenz bedroht werden könnte.

Man kann sich bildlich vorstellen, wie die Bank-Manager in ihren Trutzburgen sitzen und sich über die Regierung halb totlachen. Das wurde 2018 ruchbar, als eine der größten Steuerbetrügereien der Menschheitsgeschichte aufflog. Die Hälfte der deutschen Bürger interessierte sich nicht dafür, die andere Hälfte verstand gar nicht, was da vorging. Darauf gründete der Erfolg von Helge Schmidts Theaterstück Cum-Ex Papers. Der Regisseur konnte 2019 theatralisch erklären, mit welchen Tricks die Banken den Finanzämtern das Geld förmlich aus der Tasche zogen. Das Stück, das beim Asphalt-Festival zu sehen war, wurde ein echter Thriller. Und hätte Schmidt es dabei belassen, wäre alles gut gewesen.

Stattdessen versucht er, auf dieser Erfolgsschiene weiterzufahren – und enttäuscht auf ganzer Linie. Tax for Free – also etwa kostenlose Steuern – heißt das Stück, das Anfang vergangenen Monats Premiere im Hamburger Lichthof-Theater hatte und jetzt beim Asphalt-Festival zur Aufführung kommt. Es geht jetzt nicht mehr um nationale Bankenstrategien, die Finanzämter zu schröpfen, sondern um lokalen Klüngel, bei dem eine kleine Privatbank mit allen Mitteln versucht, sich vor Steuerrückzahlungen in Millionenhöhe zu drücken. So was hat man in der ARD am Freitagabend schon spannender gesehen. Ein Gschmäckle gibt’s obendrein, wenn der Theatermacher einen Kanzlerkandidaten im Bundestagswahlkampf zu diffamieren versucht. Ist das Theater jetzt für Wahlkampf zuständig?

Foto © Ralf Puder

Vermischt wird die Geschichte mit Heinrich von Kleists Michael Kohlhaas, der brandschatzend durch die Lande zog, um Gerechtigkeit zu erlangen, die ihm schließlich zuteil wurde – unter Verlust seines Lebens. Dazu wird die Frage gestellt, wann ein System so ungerecht ist, dass man sich wehren muss. So platt die Frage in diesem Kontext, so einfach fällt die Antwort aus: Kein System kann so ungerecht sein, dass man für Geld sein Leben lässt. Damit ist das ganze Konstrukt ziemlich an den Haaren herbeigezogen. Auf der effekthaschenden Bühne von Anika Marquardt und Lani Tran-Duc werden Videos von Jonas Link eingespielt, die in bekannter Weise „Expertenmeinungen“ zeigen, über die man sicher diskutieren kann, und Wort-Projektionen, die nur schwer verständlich sind. Davor spielt ein bekanntes Team, das allerdings kaum wiederzuerkennen ist. Vor zwei Jahren noch souverän und in jeder Hinsicht überzeugend, wirken Jonas Anders, Ruth Marie Kröger – die auf der Seebühne im vergangenen Jahr einen großartigen Solo-Auftritt feierte – Günter Schaupp und die neu hinzugekommene Laura Uhlig wie ferngesteuerte Puppen.

Dörte Stein hat es in der taz wieder einmal zusammengefasst und auf den Punkt gebracht. Gendersprache „ist nicht nur antifeministisch, sexistisch, sie ist auch diskriminierend“. Das dürfte doch inzwischen der Dümmste verstanden haben. Nur Schmidt zeigt sich davon vollkommen unbeeindruckt, zwingt seine Darsteller zum Glottisschlag, also jener kurzen Pause, mit der das Wort innen vollkommen entfremdet wird. Dabei wäre die zwanghafte Verballhornung der Sprache gar nicht nötig gewesen, denn die Hänger im Text durchziehen den Abend bis zum Anruf der Souffleuse, die aushelfen muss. Vollkommen zu Recht lässt Schmidt erwähnen, dass sich das Stück um ein halbes Prozent der Gesamtschadenssumme aus dem Cum-Ex-Skandal dreht. Genau über das Niveau sprechen wir hier.

Das Publikum reagiert entsprechend. Obwohl. Eigentlich hätten die Zuschauer die Aufführung vorzeitig verlassen müssen. Aber sie haben für den Abend ja bezahlt. Da gibt es zum Abschluss zahmen Applaus, der den Darstellern Dank sagt dafür, dass sie auf der Bühne waren.

Nach der Aufführung lädt Christof Seeger-Zurmühlen, einer der beiden Künstlerischen Leiter des Festivals, zum Gespräch mit dem Regisseur ein. Aber worüber soll man mit jemandem sprechen, der sich nicht um sein Thema kümmert, sondern mit Geschlechtsfragen beschäftigt ist? Prädikat dieses Abends: Nicht empfehlenswert.

Michael S. Zerban