O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Asphalt-Festival 2020

Ausrufzeichen gesetzt

GRANDMOTHERS OF THE UNIVERSE
(Waltraud900)

Besuch am
19. Juli 2020
(Work-in-progress)

 

Asphalt-Festival, Düsseldorf, Bühne auf dem Kaiserteich

Ob sich die Festivalleiter Christoph Seeger-Zurmühlen und Bojan Vuletić der symbolischen Tragweite ihrer Entscheidung, das Asphalt-Festival in diesem Jahr durchzuführen, bewusst waren, ist nicht bekannt. Vermutlich hatten sie in der kurzen Vorbereitungszeit, in der sie ein komplett neues Festival aus dem Boden stampften, andere Sachen im Kopf. Und sehr wahrscheinlich wird es den beiden so gegangen sein wie vielen anderen auch, die erst im Laufe des sehr erfolgreichen Festivals begriffen, was da eigentlich am Schwanenspiegel in Düsseldorf passierte. Das Festival sendete ein Zeichen nicht nur an andere Veranstalter, dass man, wenn man nur will und der echten Überzeugung ist, das Kunst in der Krise notwendig gebraucht wird und nicht danach, sich durchaus auch unter widrigsten Bedingungen zu Wort melden kann – und muss. Sondern sie hielten auch den Künstlern einen Spiegel vor. Schauspielerin Bianca Künzel brachte es nach der Aufführung auf den Punkt. Wer an diesem Festival teilgenommen habe, dem sei klargeworden, dass die Künstler auch von sich aus und gerade jetzt aktiv werden müssen und nicht darauf warten dürften, dass man ihnen „endlich“ wieder Engagements anbiete, sagte sie sinngemäß. Das Asphalt-Festival hat in diesem Jahr nicht nur künstlerische Höchstleistungen gezeigt, sondern auch die gesellschaftliche Bedeutung der Kultur bewiesen.

Das Festival selbst wurde, wie nicht anders zu erwarten, bestens wahrgenommen. Rund 3.700 Besucher haben sich die 42 Aufführungen von 23 Produktionen, darunter vier Uraufführungen, angeschaut. Das entspricht einer Auslastung von 96 Prozent. Die Zahlen stammen von den Veranstaltern und decken sich mit der Wahrnehmung vor Ort. Es wird nicht ausgewiesen, wie viele Besucher gleich mehrere Aufführungen besuchten, was ja auch nicht üblich ist. Es wäre nur hier interessant gewesen, weil vor allem die erstmalig eingerichtete Bühne auf dem Kaiserteich ein wunderbarer Spielort war. Hier konnte sich das Publikum rundum wohlfühlen. Nach kurzer Einarbeitungszeit war das hervorragende Helfer-Team den Zuschauern mehr Hilfe als Aufpasser auf die Corona-Bedingungen. Die Abläufe waren klug organisiert, und so konnten die amtlicherseits auferlegten Maßnahmen sehr schnell eingeübt und bis zum Schluss durchgehalten werden, ohne dass es jemand als Drangsal empfunden haben müsste. Die gute Nachricht kommt zum Schluss. Die Spielstätte soll auch in zukünftige Festivals eingebunden werden.

Jamila Al-Yousef – Foto © O-Ton

Bei so viel Wohlfühlklima kommt am letzten Tag fast ein wenig Wehmut auf. Das Wetter ist herrlich, die Menschen sind bestens gelaunt. Auch jetzt ist die Tribüne am Kaiserteich wieder bestens besucht. Wie üblich, werden den Besuchern am Platz Getränke angeboten. Auf der Bühne sind ein paar Musikinstrumente mit der nötigen Technik aufgebaut. Um die Bühne herum „schweben“ weiße Luftballons auf dem Teich. Ganz zuletzt steht noch eine Uraufführung auf dem Programm. Erst im vergangenen Jahr hat sich die Gruppe Waltraud900 formiert. Sie besteht aus Künstlerinnen verschiedenster Konvenienz und zeigt auf dem Kaiserteich ihre erste Produktion Grandmothers of the Universe, also etwa Großmütter des Universums. Eine biografische Recherchereise soll es werden, und, betont Seeger-Zurmühlen, lediglich eine Zwischenstation auf dem Weg zum fertigen Stück.

Ehe das Spiel beginnt, werden einige Interviews auf die Lautsprecher gespielt. Offenbar kommen hier die Großmütter aus Griechenland, Deutschland und Palästina zu Wort, die sich zu ihrer persönlichen Quarantäne in der Pandemie äußern. Schauspielerin Bianca Künzel und Choreografin Phaedra Pisimisi bringen zur Verstärkung die Musikerinnen Jamila Al-Yousef und Carina Sperk sowie ein paar durchsichtige Bälle mit auf die Bühne. Da gibt es erst mal ein Aufwärmprogramm von Pisimisi für die anderen Damen. Das mit dem Sport zieht sich als roter Faden durch die Aufführung, möglicherweise, um auf das geänderte Rollenverständnis hinzuweisen. Mit verteilten Rollen erzählen die vier von Frauen aus der Vergangenheit, die mit der Heirat ihre Namen verloren, vielleicht damit auch einen Teil ihrer Identität. Man kann natürlich darüber nachdenken, ob das heute noch so sein muss. Die Schwierigkeit, mit dieser Information in Deutschland umzugehen, besteht darin, dass diese Frage eigentlich längst abgeschlossen ist. Das deutsche Namensrecht lässt Mann und Frau heute eigentlich alle gewünschten Möglichkeiten offen.

Phaedra Pisimisi und Bianca Künzel – Foto © O-Ton

Das Verständnis wird im darauffolgenden Teil noch erheblich erschwert. Da werden die Biografien der Großmütter in tabellarischen Lebensläufen wiedergegeben, also mit Daten und Zahlen gespickt. Auch hier wechselweise vorgetragen, bleiben Verwirrung und Wortfetzen zurück. Zwischendurch blitzen Anekdoten auf, der Vortrag bleibt gelassen bis heiter. Also doch keine feministische Gesellschaftskritik an der Vergangenheit? Viel eher die Hommage an die alten Damen, die ihr viel mühseligeres Leben hinter sich gebracht haben und heute, sofern sie noch leben, einen Großteil ihrer Lebensfreude aus ihren Enkeln beziehen? Dann ist alles gut. Und der Zuschauer kann sich am sportlichen Eifer Pisimisis wie an wehmütigen Erinnerungen Künzels genauso erfreuen wie an der Musik Al-Yousefs. Einen Riesenspaß gibt es auch, als Pisimisi mit ihrer griechischen Großmutter telefoniert. Aus allem spricht viel Liebe und die Traurigkeit darüber, dass in den Biografien der Großmütter so viele Lücken bleiben, oft nicht einmal Bilder. Da hört man auch im Publikum so manch trockenes Schlucken.

Und aber auch die Fragen nach den Großvätern. Ja, jetzt sind die Großmütter das Thema. Da schweigen wir mal über die Männer. Auch wenn es vielleicht dadurch sehr einseitig wird. Der Aufruf, nach der Aufführung doch vielleicht mal wieder die eigene Oma anzurufen, ist obligat. Das Stück aber noch nicht fertig. Haben sie ja vorher auch gesagt. Die Darstellung überzeugt ebenso wie die Musik, viele Fragen bleiben. Der große Applaus ist den Darstellerinnen gewiss. Und das Festival bleibt sich bis zur letzten Sekunde treu. Eben, weil es für den gesellschaftlichen Diskurs so wichtig ist.

Das Festival im kommenden Jahr findet vom 30. Juni bis zum 11. Juli statt – voraussichtlich.

Michael S. Zerban