O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Festivalbühne - Foto © Ralf Puder

Asphalt-Festival 2020

In den Teich gesetzt

Anstatt ihr Sommerfest einfach abzusetzen, haben die beiden künstlerischen Leiter Bojan Vuletić und Christoph Seeger-Zurmühlen alle Hebel in Bewegung gesetzt, das Asphalt-Festival in Düsseldorf trotz aller Widrigkeiten durchzuführen. An neuer Spielstätte finden vom 9. bis 19. Juli mehr als 40 Aufführungen statt. Gleich am Eröffnungsabend stellt sich echte Festival-Atmosphäre ein. Schon nach den ersten drei Stunden ist klar: Dieses Festival wird in die Geschichte eingehen.

OB Thomas Geisel bringt Bojan Vuletić und Christoph Seeger-Zurmühlen zur Bühne – Foto © Nana Franck

Wer in diesem Sommer ein Festival veranstalten will, braucht eine Menge Dinge. Viel frische Luft, Platz für Abstand, einen unglaublichen Personal- und Organisationsaufwand, mindestens eine Stadt, die sich flexibel zeigt und – nicht zuletzt – zahlungskräftige Unterstützer. Denn Geld lässt sich damit nicht verdienen. Genügend Gründe für viele Veranstalter, sich in diesem Jahr nicht auf das Abenteuer Festival einzulassen. Denn selbst, wenn es gelänge, das alles zu bewerkstelligen, braucht es immer noch eine gehörige Portion Einfallsreichtum und Künstler, die sich auf schier unmögliche Arbeitsbedingungen einlassen.

In der Vergangenheit wurde das Asphalt-Festival von Jahr zu Jahr erfolgreicher. Zu verdanken ist das nicht nur einem höchst engagierten Team, sondern auch den künstlerischen Leitern, Christoph Seeger-Zurmühlen und Bojan Vuletić, die nicht nur Schwachstellen konsequent behoben, sondern auch mit Programmen glänzten, die kontinuierlich mehr und mehr Publikum anlockten. Eigentlich wäre in der anstehenden achten Ausgabe nicht nur ein weiterer Superlativ zu erwarten gewesen, sondern auch ein erster Zeitpunkt, einmal Lorbeeren einzustreichen. Stattdessen drohte spätestens im April die zweijährige Planung in Schutt und Asche aufzugehen.

Doch zu lange sind die beiden, im Hauptberuf Regisseur und Komponist, an ihren Aufgaben gewachsen, um sich jetzt von einem Virus kleinkriegen zu lassen. Im Gegenteil sei es doch gerade jetzt an der Zeit, als Künstler Flagge zu zeigen. Betonte Seeger-Zurmühlen noch einmal in seiner Eröffnungsrede. Und das Asphalt-Festival zeigte, was man in den vergangenen Monaten so schmerzlich vermisst hatte: Kreativität. Statt in verkrusteten Strukturen zu verhaften, suchten Vuletić und Seeger-Zurmühlen nach einer neuen Spielstätte, mit der sie den geforderten Einschränkungen Rechnung tragen konnten. Und so kamen sie darauf, das Festival in den Teich zu setzen. Heute noch existieren die Terrassen eines ehemaligen Bootsverleihs am Kaiserteich, einem idyllischen Gewässer in der Nähe der Düsseldorfer Altstadt. Wenn man davor, so die Überlegung, eine schwimmende Bühne installiert, könnte Kunst stattfinden.

Der erste Eindruck am Eröffnungsabend: Hier ist alles streng und wohlüberlegt organisiert. Eine ganze Kette von Personal geleitet die Gäste zu ihren Plätzen und weist sie ein. Wer auf seinem Platz ankommt, darf die Maske vom Gesicht nehmen, durchatmen, den Liegestuhl oder das Sitzkissen auf dem Stuhl genießen, zum Stift greifen, der selbstverständlich am Stuhl befestigt ist, um seinen „Meldezettel“ auszufüllen. Es gibt Überzieher für die Muscheln der Kopfhörer, die nach jedem Besuch desinfiziert werden. Man versucht, das als Selbstverständlichkeit wegzustecken, um sich auf die Inhalte zu konzentrieren, aber so ganz gelingen will das nicht.

soMermaids – Foto © Ralf Puder

Vor den Besuchersitzen liegt die überdachte Bühne im Wasser, die über einen Steg zu erreichen ist. Hier findet vor der offiziellen Eröffnung bereits die Aufführung Wann hast du das letzte Mal auf der Spitze eines Berges Sex gehabt? statt. Adrienn Bazsó, Julia Bihl und Panni Néder sind soMermaids und aus Berlin angereist, um ihr Erfolgsstück zu präsentieren. Das ungarisch-deutsche Kollektiv kümmert sich in vierzehn Sprachen darum, was biografisches Theater ist. Da geht es um Sex, politische Ansichten, die depressive Ost-Seele, Heimat und mehr, präsentiert in Wort, Gesangsfetzen und Bewegung. Kurzweilig, bisweilen humorvoll, häufiger nachdenklich, verbrämt im Mantel der Poesie. Da weiß man oft nicht, ob man lachen, weinen oder in den weiten Himmel hinter der Bühne schauen soll, in den sich die Hochhäuser der Wohlstandsgesellschaft recken. Irgendwann erschöpfen sich die Mechanismen der Sprache, weil es sich ein wenig im Kreise dreht und dann ist es nach einer Stunde auch wirklich gut.

Nach einer längeren Pause, in der das Publikum zu großen Teilen wechselt, denn jetzt steht der „offizielle Teil“ an, zu dem sich Sponsoren und Funktionsträger von Stadt und Land einfinden, werden abermals Getränke angeboten, die man nur am Platz bekommt. Und dann startet das Festival mit einem Clou. Oberbürgermeister Thomas Geisel rudert einen Kahn über den Kaiserteich zur Bühne, um die künstlerischen Leiter dort hin zu bringen. Deutlicher kann die Stadt ihre Wertschätzung des Festivals wohl kaum zum Ausdruck bringen. Solche Gesten kann man in diesen Tagen nicht hoch genug schätzen. Die Reden fallen erfrischend kurz aus, bieten aber noch einmal Gelegenheit, die Leistung der Akteure zu bewundern, die in kürzester Zeit ein neues Festival aus dem Boden gestampft haben an einem Ort, der unter freiem Himmel viel Intimität bietet und so das nötige Festival-Ambiente verströmt. Nein, hier wirkt nichts halbherzig, improvisiert oder wie halbe Fahrt. Und das Publikum, auf 96 Stühlen platziert, ist begeistert.

Zu einem anschließenden Impulsvortrag wurde der Verfassungsrechtler Maximilian Steinbeis eingeladen, der ausgesprochen kurzweilig Shutdown und Folgezeit rechtlich einordnet, um sachlich zu belegen, dass der Rechtsstaat nicht untergegangen sei, sondern durchaus funktioniert habe. Da wird doch so manchem Besucher das Unwohlsein entzogen, das man in den vergangenen Wochen bezüglich der getroffenen Maßnahmen seitens der Regierung empfinden konnte. Auch dem Generalvorwurf, Kunst und Kultur würden im „Schlachtengetümmel“ außer Acht gelassen, vermag Steinbeis einige kluge Gedanken entgegenzusetzen. Trotzdem bleibt Diskussionsbedarf, der aber an diesem Abend nicht gestillt wird.

Stattdessen gibt es – nach einigen technischen Schwierigkeiten, in der Pause war ein Koffer mit technischem Equipment ins Wasser gefallen, was sich jetzt rächt – Jazz vom Feinsten. Saxofonist Reiner Witzel und Bassist Joscha Oetz treten hier erstmalig als Duo auf.

Ein erstes Fazit nach diesem langen Abend muss positiv ausfallen. Die Organisation ist gelungen, die Atmosphäre entspannt, das Vergnügen groß. Und wenn die Vorbereitungen dieses Ereignisses auch manchen Helfer an die Grenzen seiner Kräfte getrieben haben mag: Es hat sich gelohnt. Wenige Karten sind noch für einzelne der kommenden Aufführungen zu haben – wenn man jetzt schnell genug ist.

Michael S. Zerban