O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Asphalt-Festival 2020

Legende vom Erlöser

EIN VOLKSKANZLER
(Maximilian Steinbeis)

Besuch am
17. Juli 2020
(Uraufführung)

 

Asphalt-Festival, Düsseldorf, Bühne auf dem Kaiserteich

Seit mindestens 15 Jahren, so der Eindruck vieler Menschen, geht es mit Deutschland bergab. Die Geldverteilung von unten nach oben scheint Jahr für Jahr zu eskalieren. Wenn die Regierung Steuergelder einsammelt, geht das stets zu Lasten des berühmten kleinen Mannes, von dem es inzwischen immer mehr gibt. Die Schamlosigkeit der Politiker nimmt gefühlt ständig zu, wenn Gesetze nur noch von Lobbyisten geschrieben zu werden scheinen, während dieselben Politiker nach immer kürzeren Amtszeiten den goldenen Löffel der Wirtschaft in den Mund gesteckt bekommen. Unter dem Deckmäntelchen der Sicherheit geht es mit Riesenschritten auf den gläsernen Bürger zu, nur selten gebremst von den Gerichten, die inzwischen wie die letzten Ordnungsgaranten wirken. Nicht zuletzt die Inhumanität gegenüber Flüchtlingen steigern Wut und Ohnmacht der Bürger, die in den so genannten sozialen Medien so etwas wie ein Ventil zu entdecken glauben. Das System erodiert. Das Schlimme daran ist, dass Neuwahlen keine Option mehr zu sein scheinen. Die Lage wirkt zunehmend aussichtslos.

Der Traum ist vermutlich so alt wie die Menschheit selbst. Der Traum vom Heilsbringer, der die Ungerechtigkeit aus der Welt schafft und uns in Frieden leben lässt. Und er wird jedes Mal umso größer, je schlechter die aktuell regierende Partei ihr Mandat wahrnimmt. Da helfen auch die schlechten Erfahrungen mit Diktaturen in Vergangenheit und Gegenwart nicht. Wenn nur einmal der Richtige käme. Man wird ja noch träumen dürfen …

Ruth Marie Kröger – Foto © O-Ton

Maximilian Steinbeis ist Jurist, Journalist und Schriftsteller. Sein Verfassungsblog erfreut sich großer Beliebtheit. Dort ist auch der Text Ein Volkskanzler veröffentlicht worden, nachdem er erstmalig im September vergangenen Jahres in der Süddeutschen Zeitung erschien. In diesem Text nimmt er an, ein Politiker sei auf demokratischem Wege zum Kanzler gewählt worden und zwar mit einer solchen Mehrheit, dass er praktisch allein regieren könne. In einem Nebensatz erwähnt Steinbeis, dass so „endlich“ langersehnte Verbesserungen durchgesetzt werden. Aber dann erzählt er, warum der Traum vom Heilsbringer ein Traum bleiben muss. Denn Machthabe verlangt zwingend Machterhalt. Wie perfide und einfach ein solcher Machterhalt eines Alleinregierenden in einer Demokratie gehen könnte, „belegt“ der Autor in seinem Denkmodell.

Eine gruselige, wenn auch inhaltlich höchst diskussionswürdige Geschichte. Regisseur Helge Schmidt, der im vergangenen Jahr mit seinem Stück Cum-Ex Papers Aufsehen erregte, fand sie so gut, dass er sie auf die Bühne bringen wollte. Und da bot „Asphalt auf See“ eine gute Gelegenheit. Wenig Personal, wenig Ausstattung. Allerdings hat Schmidt es mit dem spartanischen Auftritt allzu genau genommen. Die Bühne ist leer. Und so richtig ist Schmidt auch sonst nichts eingefallen. Ein Song von den Rolling Stones wird angespielt, ein Witz eingeschoben und „natürlich“ darf Rio Reisers König von Deutschland nicht fehlen. Muss also der Text wirken.

Damit das so ist, braucht es einen wirklich guten Darsteller. Immerhin gilt es, das Publikum für einen 40-minütigen Monolog zu begeistern. Schmidt weiß, auf wen er bauen kann. Schließlich hat sie schon im vergangenen Jahr auf ganzer Linie überzeugt. Ruth Marie Kröger bringt einen Liegestuhl, eine Wasserflasche und das Grundgesetz mit, als sie zur Bühne kommt. Mit weißem T-Shirt, schwarzer Hose und weißen Turnschuhen wirkt ihr Auftritt sommerlich leicht. Vielleicht ein Grund, warum sie wenig Gebrauch vom Liegestuhl macht. Gefühlt mehrere hundert Meter legt sie an diesem Abend auf und vor der Bühne zurück. Ihr Vortrag ist brillant. Sie weiß, Geschichten zu erzählen. Die Gesten und Pausen stimmen, deklamiert wird hier nicht. Und so macht es Spaß, ihr zuzuhören und zuzusehen, auch wenn die Sachverhalte für juristische Laien ohne jegliche Anschauung schwer nachzuvollziehen sind.

Hier hätte man sich schon etwas mehr künstlerischen Einfallsreichtum gewünscht, zumal Schmidt ja bewiesen hat, dass er so etwas kann. Kröger rettet den Abend, und so ist der langanhaltende, begeisterte Beifall mehr als berechtigt. Am Wochenende ist die Schauspielerin noch zwei Mal auf dem Festival zu bewundern.

Michael S. Zerban