O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Nana Franck

Asphalt-Festival 2021

Ferien auf dem Campingplatz

AMORE
(undBorisundSteffi)

Besuch am
18. Juli 2021
(Uraufführung am 17. Juli 2021)

 

Asphalt-Festival, Düsseldorf, Central

Nach nahezu drei Wochen geht das bislang umfangreichste und längste Asphalt-Festival in Düsseldorf in seiner neunten Ausgabe zu Ende. Mehr als 70 Veranstaltungen fanden an zahlreichen Spielstätten im Stadtgebiet statt, darunter die beliebte „Seebühne“ am Schwanenspiegel, das Central am Hauptbahnhof als „richtiges“ Theater und die Open-Air-Bühne auf dem Gustav-Gründgens-Platz vor dem Schauspielhaus. Neben zahlreichen Konzerten und Lesungen gab es auch Schauspiel und Tanz. Und an die erste Stelle eines Bilanzversuchs gehört das große Kompliment an das Team unter den beiden Künstlerischen Leitern Bojan Vuletić und Christof Seeger-Zurmühlen, das sich bis zur Selbstaufgabe für die Planung und Umsetzung engagiert hat. Dazu gehörte – wie schon im letzten Jahr – nicht nur, Künstler einzuladen, sie unterzubringen, für das Wohl der Gäste zu sorgen und die Spielstätten zu organisieren, sondern sich auch unter das Joch der Behörden zu begeben, um das Festival „gegen alle Widerstände“ durchzuführen. Die Frage, ob man sich gegen die Behördenwillkür wehrt, stellte sich in diesem Jahr nicht. Es galt, das Festival unter allen widrigen Umständen durchzuführen, so unsinnig die angeordneten Maßnahmen auch erschienen.

Dabei konnten die Verantwortlichen davon zehren, dass es ihnen in den letzten Jahren gelungen ist, eine intensive Bindung zum Publikum aufzubauen, indem sie ein „Festival-Feeling“ schufen. Das entfiel in diesem Jahr. Keine Eröffnung durch einen freundschaftlich verbundenen Oberbürgermeister, kein Campus, auf dem man bei Bratwurst und Bier verweilen und mit Künstlern und Festival-Verantwortlichen diskutieren oder auch einfach nur Small Talk betreiben konnte. Dass stattdessen das Service-Personal zum Ordnungspersonal wurde und sich bisweilen ein scharfer Ton einschlich, mag nachvollziehbar sein, wenn die Behörden beim geringsten „Fehlverhalten“ das gesamte Festival hätten stoppen können. Angenehmer wurde es so aber auch nicht. Da ist zu hoffen, dass die Behörden im kommenden Jahr ihre „erweiterten Aufgaben“ wieder werden abgegeben haben müssen.

Aber auch die Festivalleitung steht in der Pflicht. Was insofern beruhigend ist, dass sie sich in den vergangenen Jahren immer wieder verbesserungsfähig gezeigt hat. Ein echtes Ärgernis in diesem Jahr war sicher die Programmdokumentation. Vertiefende Texte zu den einzelnen Aufführungen gab es nicht. Stattdessen gab es ein gedrucktes Gesamtprogramm, das weitestgehend dem im Internet nachzulesenden Programm glich. Das lag an den Spielstätten und alsbald auch in den umgebenden Straßen aus. Da stellt sich die Frage, ob ein solches gedrucktes Programm noch zeitgemäß ist. Sicher wäre es kein Problem gewesen, an den Spielstätten Bar-Codes auszuhängen, die unmittelbar zu den einzelnen Aufführungen geführt hätten. Ob diese Texte allerdings überhaupt noch jemanden interessieren, wird sich weisen. Denn sie strotzten von Rechtschreibfehlern. Es bleibt ein unangenehmes Gefühl, wenn sich ein scheinbar künstlerisches Ereignis wie das Asphalt-Festival als Mitläufer einer Handvoll Ideologen entpuppt und sämtliche Regeln der deutschen Rechtschreibung missachtet. So wurden die Texte großenteils unleserlich. Dann kann man sich allerdings auch jedes Programm sparen. Weil es vom Publikum ohnehin nachgewiesen nicht gelesen wird.

Foto © Nana Franck

Alles vergangen. Das Asphalt-Festival 2021 ist Geschichte. Allerdings haben die Festivalleiter – fast – alles getan, um in guter Erinnerung zu bleiben. Da wird am letzten Tag noch einmal ein wahres Feuerwerk an Programmpunkten abgefeuert. Den ganzen Sonntag über hat man die Möglichkeit, Veranstaltungen zu besuchen. Und am Ende steht ein Stück, das am Vorabend seine Uraufführung feiern durfte. Einen „erneuten Liebesbeweis“ nennt das Ensemble undBorisundSteffi sein neues Stück Amore. Unkonventionell waren Charlotte Kath, Sandra Reitmayer und Lisa Birke Balzer immer, schon seitdem sie nach ihrem gemeinsamen Studium an der Folkwang-Universität Essen 2016 den Themen Liebe und Tod eine neue theatralische Form geben wollten. Und so geht es auch an diesem Abend ungewöhnlich los. Schon beim Einlass werden die Besucher aufgefordert, sich mit Handtuch und Programmheft zu versorgen. Das führt dazu, dass etliche Zuschauer lieber gleich weiter oben liegende Sitzreihen aufsuchen. Man weiß ja nie, wofür so ein Handtuch gebraucht wird. Und die Bühne ist bis auf einen Stuhl und ein paar Utensilien daneben leer. Da könnten irgendwelche Wasserspiele im Raum stehen. Nichts dergleichen geschieht. Und bald schon gibt es im vollbesetzten Saal ohnehin keine Ausweichmöglichkeit mehr.

Charlotte Kath, die an diesem Abend CK, eine Reiseanimateurin, spielt, scheint unglaublich schlechte Erfahrungen mit dieser Berufsgruppe gemacht zu haben. Ihre Begrüßungsansprache für die neu angekommene Reisegruppe – das Publikum übernimmt diese Rolle schweigend – ist eine Ansammlung von Stottern und Unkonzentriertheiten. Der Blick ins Programmheft zeigt, dass der Text so geschrieben ist und die Schauspielerin hochkonzentriert sein muss, um all die Versprecher so gekonnt hinzubekommen. Während sie die Neuankömmlinge über die Gewohnheiten und Vorschriften auf dem Campingplatz unterrichtet, füllt Assistentin Bianca, wunderbar gespielt von Lisa Birke Balzer, die Bühne mit Sitzgruppen, baut die Utensilien für eine Showband auf, der sie später selbst angehören wird, und schiebt zu guter Letzt einen historischen Wohnwagen in den Hintergrund der Bühne. Die Reisegruppe, die aus lauter Singles besteht, hat inzwischen erfahren, dass sie in Großraumzelten untergebracht wird und es exklusive Kuppelveranstaltungen gibt.

Die Showband und eine Kapitänin, die sich ausgiebig um die Pflege ihrer Wäsche kümmert, sorgen mit flotten Rhythmen und einer Tanzeinlage für die Unterhaltung der Camping-Gäste, ehe es zu dem Teil kommt, der im Untertitel beschrieben wird als „Zeltgeschichten im Campingfachjargon. Eignet sich vielleicht als Überschrift. Nicht als Song.“. Zwischen Zeltlagerromantik und Pauschalreise lässt sich das Publikum gefangen nehmen von Texten über – vergangene – Liebe, das Leben und was sonst noch so anfällt auf einem Campingplatz.

Das Publikum feiert ausgiebig den gelungenen Ausklang des Festivals, das im kommenden Jahr sein zehnjähriges Jubiläum vom 23. Juni bis zum 17. Juli begehen wird. Und solchermaßen von undBorisundSteffi eingestimmt, darf man sich auch ganz entspannt in die Sommerferien verabschieden – Hauptsache, es geht nicht auf den Campingplatz …

Michael S. Zerban