O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Katja Illner

Ruhrtriennale 2022

Tanz über Totenköpfe

A PLOT/A SCANDAL
(Ligia Lewis)

Besuch am
12. August 2022
(Vor-Premiere)

 

Ruhrtriennale, Turbinenhalle an der Jahrhunderthalle Bochum

Es sind seltsame Bewegungen, eher Verrenkungen und Grimassen, die Ligia Lewis allein auf der großen Spielfläche der Turbinenhalle unweit der Bochumer Jahrhunderthalle vollführt. Bei der Pre-Premiere ihres neuen Stücks A Plot/A Scandal im Rahmen der Ruhrtriennale stellen sich zunächst skeptische Gefühle ein. Lassen sich damit 80 angekündigte und letztlich auch eingehaltene Minuten füllen? Bedenken, die die in der Dominikanischen Republik aufgewachsene Tänzerin und Choreografin fast unmerklich zerstreut. Die scheinbar sinnlosen Bewegungen verdichten sich zu Formationen, wie man sie dunkelhäutigen Menschen seit Jahrhunderten klischeehaft andichtet. Animalische, affengleiche Gebärden, übertrieben grinsende Grimassen, servile, eingeschüchterte Unterwürfigkeit und rhythmische Zuckungen, die man schwarzen Menschen allenfalls im Jazz- und Rockbereich goutiert.

Natürlich geht es Lewis um mehr als ein paar eingefahrene Klischees, um mehr auch als die vorurteilsbeladene Verknüpfung von „Race and Movement“, von Rasse und Bewegung. Schließlich schlägt sich in den Mustern die jahrhundertelange, bis heute anhaltende Unterdrückung farbiger Menschen nieder. Dafür greift die Tänzerin mit bewusstem Stolz die Geschichte ihrer eigenen Urgroßmutter auf, die sich in Santo Domingo vielen Verboten der weißen Gouverneure widersetzte und den illegalen Voodoo-Kult praktizierte.

Foto © Katja Illner

Die Choreografin setzt bei ihren ausdrucksstarken Szenen allein auf die Präsenz und Wandlungsfähigkeit ihres Körpers. Musik unterschiedlicher Genres von Hard Rock bis Mozart tröpfelt sie nur episodenhaft ein. Ihren schlanken Körper hüllt sie nur andeutungsweise ein. Ein weißes langes Hemd, ein Slip, ein Umhang und eine Rokoko-Perücke reichen aus, um das Publikum in frühere Jahrhunderte zu führen. Sparsam ergänzt durch einige wenige gesprochene Sätze, wenn sie etwa an John Locke erinnert, den Vater des Liberalismus, der wesentlich die Verfassungen der Vereinigten Staaten und Frankreichs beeinflusst hatte. Die von ihm garantierten Naturrechte „Leben, Freiheit und Eigentum“ stellt Lewis allerdings in Frage. Denn für Sklaven und rassische Minderheiten galten die Rechte nicht. Schließlich wurden sie selbst als Eigentum ge- und behandelt, ohne Eigentum erwerben zu können.

Wenn Lewis mit lockiger Perücke, reich verziertem Umhang und vornehmem Gehstock wie ein Schatten des auferstandenen Philosophen über das Parkett wandelt, steigt sie über Totenköpfe, bevor sie auf die vielen, meist blutig niedergeschlagenen Sklavenaufstände hinweist. Immer pointiert, stets konzentriert auf das Wesentliche gerichtet. Ohne aktionistische Übertreibungen, ohne jammernde Gebärden und in ihren reduzierten Bewegungen umso eindringlicher.

Eine überzeugende Vorstellung des neuen Stücks, das die Ruhrtriennale als Pre-Premiere vor der offiziellen Uraufführung im Berliner HAU – Hebbel am Ufer zeigen darf. Zugleich ein weiterer Beleg, dass kleine, unspektakuläre Produktionen der Ruhrtriennale oft stärkere Eindrücke hinterlassen können als manches überdimensionierte und inhaltlich substanzärmere Projekt des Festivals.

Pedro Obiera