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Kulturmagazin mit Charakter

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Internationales Bergen-Festival 2020

Vielversprechender Auftritt

ERÖFFNUNGSKONZERT
(Diverse Komponisten)

Gesehen am
20. Mai 2020
(Livestream)

 

Bergen International Festival, Grieghallen, Bergen

Die meisten Festivals haben sich in diesem Jahr vorzeitig verabschiedet. Bei allem Auftrittswillen, schließlich geht es in der Regel um viel Geld, ist eine wirtschaftliche Durchführung bei den von der Regierung vorgegebenen Auflagen kaum darstellbar. Umso aufmerksamer werden jetzt die wenigen verfolgt, die nicht aufgesteckt haben. Zwei Formen sind bislang angedacht. Wir machen es im Internet, oder wir machen es vor Ort. Das Internationale Bergen-Festival hat sich entschlossen, seine 68. Ausgabe als reines Internet-Festival zu präsentieren. Seit 1953 gibt es das Festival der Künste – und da wird man sich von so einem kleinen Virus nicht davon abhalten lassen, auch in diesem Jahr die Kunst zu feiern.

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Die Norweger haben sich mächtig ins Zeug gelegt. Eine aufwändige Website macht den Anfang, die auf ein umfangreiches Online-Programm in der Zeit vom 20. Mai bis zum 3. Juni hinweist. Pünktlich startet der Livestream, der auf der Website und auf der Video-Plattform Vimeo zu sehen ist, mit einem höchst professionellen Intro. Das Sjøforsvarets Musikkorps unter der Leitung von Peter Szilvay bildet den Auftakt mit der Fanfare von Jörg Widmann, dem Residenz-Komponisten des Festivals. Anschließend wird die Nationalhymne Ja, vi elsker dette landet intoniert, ehe sich Königin Sonja und Kronprinz Haakon aus einem Park zu Wort melden. Das hätte man schon gern verstanden. Aber das „internationale“ Festival spart sich die Untertitel. Das ist nicht nur bedauerlich, sondern auf Dauer auch ärgerlich, denn es gibt einen recht hohen Wortanteil beim Eröffnungskonzert. Wenn man es richtig mitbekommt, treten auch die Premierministerin des Landes und die Bürgermeisterin von Bergen mit Grußworten auf. Und die Moderationen des Radiomoderatoren Arild Erikstad und der Sopranistin Mari Eriksmoen kann man sich ebenfalls sparen, wenn man nicht des Norwegischen mächtig ist.

Auch auf der Website ist nicht alles eitel Freude. Zwar werden einzelne Programmpunkte genannt, aber nur in ungefährer Reihenfolge, und zu den einzelnen Bausteinen gibt es keine näheren Informationen. Da wünschte man sich deutlich mehr Information oder zumindest weiterführende Links. So bleibt alles ein wenig im luftleeren Raum. Da interpretiert Einar Selvik mit höchst eindrucksvollem Gesang und Unterstützung von Orchester und Chor die Weissagung der Seherin Völuspá aus der Edda. Was er von den ursprünglich 66 Strophen singt, bleibt im Dunkel. Ähnliches gilt für die Bergensiana, eine Art Stadthymne, Udsigter fra Ulriken, die der Edvard-Grieg-Chor in der Zoom-Konferenz vorträgt. Trotz eindrucksvoller Panorama-Bilder, die eingestreut werden, wirkt der Bruch überflüssig. Aber vielleicht liegt es auch einfach daran, dass man keine Chöre in Zoom-Konferenzen mehr sehen mag.

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In den Grieghallen als Veranstaltungszentrum fühlt man sich richtig wohl. Bildregie und Tonqualität sind vom Allerfeinsten. Da wird den Norwegern, nein, dem internationalen Publikum für die kommenden zwei Wochen viel versprochen. Egal, ob sechs Streicher auftreten, um das schwungvolle 180 Beats per Minute von Widmann vorzutragen, oder das Orchester zusammentrifft, um die vielleicht berühmteste Konzertarie Ch’io mi scordi di te? von Wolfgang Amadeus Mozart zu begleiten, die Sopranistin Eriksmoen einen Hauch zu zart interpretiert. Vielleicht hätte es ein bisschen weniger Widmann an diesem Abend auch getan. Sein Con brio zeigt allerhöchste Ansprüche an die Musiker, aber man fragt sich doch, ob es nur noch darum geht, möglichst viel ungewöhnliche Töne im Orchester zu erzeugen. Mit dem ersten Satz aus Tabula rasa von Ärvo Pärt für zwei Geiger und kleines Orchester geht der Eröffnungsabend zu Ende. Zum Abschluss tritt noch einmal Anders Beyer, der Festivalleiter, vor die Kamera, um sich auf Englisch vom Festivalpublikum zu verabschieden und auch seine persönlichen Grüße für das Festival mit auf den Weg zu geben.

Woran auch immer es liegen mag: Von den rund 1.100 Zuschauern bei Vimeo hat sich zum Ende hin rund ein Drittel vorzeitig verabschiedet. Das allerdings wird dem Festivalauftakt nicht gerecht. Der hat sich abwechslungsreich, vielversprechend und farbenfroh präsentiert. In Sachen Sprache und Informationsgehalt kann das Festival in den kommenden Tagen sicher noch nacharbeiten. Gerade in diesen Zeiten scheint es wichtiger denn je, nicht nur konsumierbare Unterhaltungsprogramme, sondern auch Wissen in der Kultur abzuliefern. Und das ist in digitalen Zeiten sicherlich das geringste Problem. Jetzt aber gilt es, sich auf zwei Wochen der Künste zu freuen, die die Norweger uns Tag für Tag frei Haus liefern.

Michael S. Zerban