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Internationales Bergen-Festival 2020

Absolut multimedial

Pandemiebedingt hat das Bergen International Festival sein Programm umgestaltet, anstatt es komplett abzusagen. In den 15 Tagen vom 20. Mai bis 3. Juni gab es insgesamt 250 Veranstaltungen – darunter 60 Live-Auftritte – die man kostenlos entweder auf der aufwändig gestalteten Webseite des Festivals oder auf deren Facebook-Seite ansehen konnte. Auch jetzt, nach Ende des Festivals sind alle Beiträge noch mindestens 30 Tage nach dem Ausstrahlungsdatum auf den genannten Plattformen zugänglich.

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Ein Festival zu gestalten ist ein umfängliches Unternehmen. Planungen hierfür finden normalerweise Jahre im Voraus statt, bis Proben und Ablauf wie ein Puzzle zusammenpassen. Dass das Bergen International Festival es doch geschafft hat, in weniger als drei Monaten alles umzupolen, um ein so reiches Programm präsentieren zu können spricht für die Leitung des Intendanten und Künstlerischen Direktors Anders Beyer und seinem Team. Voraussetzung für die Live-Veranstaltungen war natürlich, dass die Aufzeichnungen ohne Publikum stattfanden.  Ausnahme waren die Veranstaltungen, die unter freiem Himmel aufgeführt wurden, wo es etwas leichter war, die Abstandsvorschriften einzuhalten.

Nach dem Eröffnungskonzert mit seinen diversen Honoratioren am 20. Mai ging es gleich weiter mit weitgefächerten Darbietungen wie zum Beispiel:

Pop-up und spontane Einlagen der OiOi-Gruppe mit nur drei Darstellern, die irgendwo im Zentrum Bergens für nur fünf Minuten auftraten – besonders beliebt in Supermärkten, mit mitmachenden Teilnehmern. Aus dem Jahr 2019 der 160-stimmige Kinderchor aus vier Grundschulen, der Stücke von Bizet bis Wagner sang und sinnigerweise „Goosebumps“ heißt und wirklich Gänsehaut erzeugt – auch wenn manchmal nicht absolute Intonationssicherheit herrschte. Für den Soft-Pop-Liebhaber gab es eine aufwändige Laser- und Musikshow aus dem Jahr 2018 mit dem Musikkollektiv Ulvers aus den Grieghallen. Ulvers beschäftigt sich seit 25 Jahren mit Black Metal, klassischer Musik, Improvisationen, Progressive und Industrial Rock. Der eigene Sound besticht durch dunkle Drum-, Bass- und Synth-Rhythmen aus Nebelschwaden, die im abgedunkelten Raum besonders eindrucksvoll die Lasershow wiedergeben.

Dann gab es die Live-Auftritte von einzelnen Künstlern wie der Geigerin Johanne Haugland und dem Pianisten Gunnar Flagstad, die im opulenten Musikzimmer der Sommerresidenz des norwegischen Geigers Ole Borneman Bull stattfanden, der im 19. Jahrhundert lebte. Ihr Programm mit Violinsonaten reichte von dem optimistischen Werk eines jungen Edward Griegs bis zur leidenschaftlichen, dramatischen Sonate von Robert Schumann, die er noch kurz vor seinem Tod 1856 komponierte.

Jörg Widmann war dieses Jahr „Artist in Residence“, und er gab dem Festspielleiter Anders Beyer ein vorab gedrehtes Interview aus Berlin, während diverse Stücke von Widmann in Bergen vorgetragen wurden.

Zweifelsohne war der musikalische Höhepunkt des Festivals das Konzert am 24. Mai mit dem Bergen Philharmonischen Orchester und dem Pianisten Vikingur Ólafsson unter der Leitung von Edward Gardner. Es war auch deswegen besonders, weil das Orchester in Bergen spielte und der Solist im Harpa-Saal in Rejkjavik, Island, auftrat. Es galt also, die Ton- und Bildspuren über tausende Kilometer abzugleichen. Dank modernster Technik hat auch alles gut geklappt:  Der Pianist wurde auf eine große Leinwand in die Grieghallen übertragen und konnte somit in das Orchester integriert werden. Sicherlich sind etliche Proben notwendig gewesen, um die perfekte Synchronisation zu ermöglichen, inklusive zweier Kamerateams, die sich redlich bemüht haben, konstant und zu viel um das Orchester respektive den Pianisten herumzukreisen. Perfekte Technik hin oder her – es fehlte an Spontaneität und Wärme, die eigentlich nur durch persönliche Nähe stattfinden kann.

Die Osloer Philharmoniker feiern ihr hundertjähriges Bestehen in der Saison 2019/20 und rundeten das Internationale Festival Bergen 2020 mit einem Programm ab, das ausschließlich Mozart gewidmet war. Der Solist war Leif Ove Andsnes, der das Orchester vom Klavier aus dirigierte. Zusammen spielten sie Mozarts Klavierkonzerte Nr. 20 und 21 und sein Klavierquartett Nr. 1. Besonders im Konzert Nr. 20 zeigte Andsnes den starken Kontrast des solistischen Motivs gegenüber dem Orchester. Der Pianist erzählt seine eigene Geschichte und etabliert sich als Individuum gegenüber dem Orchester.

Am 2. Juni hat sich das Bergen Festival solidarisch mit einem Großteil der Musikindustrie der Welt gezeigt und an der #blackouttuesday-Bewegung teilgenommen, um rassistisch motivierter Gewalt ein Ende zu setzen. Es fanden keine Veranstaltungen statt.

In einer merkwürdigen Zeit hat das Bergen International Festival ein bemerkenswertes Konzept für seine 68. Ausgabe hervorgebracht. Etwas für jeden, alle Register der multimedialen Onlinemöglichkeiten ziehend. Schon in den ersten zwei Tagen wurden über 141.000 Besucher auf der Vimeo-Plattform registriert. Interessant dabei ist, dass nur 28,5 Prozent Norweger waren und 71,5 Prozent Zuschauer aus aller Welt, vorwiegend aus den USA, Deutschland und Polen kamen. Dadurch, dass alle Veranstaltungen mindestens 30 Tage auf der Webseite noch kostenlos zugänglich sind, ist davon auszugehen, dass ein wesentliches breiteres Publikum Zugang zum Bergen International Festival haben wird.

Es ist zu wünschen, dass mindestens ein kleiner Teil dieser Online-Besucher das Festival auch mal „in echt“ besucht, wenn es dann wieder möglich sein wird.

Zenaida des Aubris