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Vom Wasserschaden zum Glücksfall

Eigentlich wäre er jetzt lieber in Hamburg, um an der dortigen Staatsoper Verdis Falstaff zu dirigieren. Und besonders gefreut hat er sich auf eine zyklische Aufführung von Wagners Nibelungen-Ring im Düsseldorfer Opernhaus Anfang April. Das ist jetzt für Axel Kober Makulatur. Der Generalmusikdirektor der Deutschen Oper am Rhein und der Duisburger Philharmoniker verbringt stattdessen seine Zeit wie die meisten Musiker zu Hause. In seinem Mannheimer Haus studiert er Partituren, kommt endlich wieder zum intensiveren Klavierspiel und bereitet die kommende Saison der Rheinoper vor.

Mehr noch als die entgangenen Termine bewegt ihn allerdings die Ungewissheit, wie es nach dem 19. April mit der Rheinoper und den Duisburger Philharmonikern bis zum Ende der Saison weitergehen soll. Und von den Bayreuther Festspielen, bei denen er in diesem Sommer den Tannhäuser und den Lohengrin dirigieren soll, hat er auch noch keine einschlägige Nachricht bekommen.

„Bisher soll der Probenbetrieb am 6. April wieder aufgenommen werden. Dass der Spielplan nach dem 19. April wie geplant fortgesetzt werden kann, glaube ich nicht. Aber es gibt vielleicht Möglichkeiten, auf kleiner besetzte Stücke zurückzugreifen und die Zuschauerzahlen zu begrenzen, um die Saison doch noch retten zu können“, äußert sich Kober mit vorsichtigem Optimismus über das Verfahren der Rheinoper nach dem 19. April im Telefon-Interview.

Und ganz verzichten muss man auf die Angebote der Deutschen Oper am Rhein auch jetzt nicht. Neben verschiedenen Streaming-Übertragungen erscheint am 3. April der Live-Mitschnitt des Rheingolds als Album, des Vorabends zu Wagners Ring des Nibelungen, den Kober mit den Duisburger Philharmonikern vor einem Jahr konzertant in der Duisburger Mercatorhalle aufgeführt hat. Schon jetzt kann die Produktion online gestreamt werden. So wie demnächst auch die restlichen drei Teile des Rings.

Mit der Einspielung ist Kober hochzufrieden. Dabei waren die ursprünglichen Bedingungen alles andere als glücklich.

„Eine Veröffentlichung des Rings war zuerst nicht geplant. Nun hat uns der Wasserschaden im Duisburger Theater gezwungen, in die Mercatorhalle auszuweichen. Beginnend mit der ‚Premiere‘ der Götterdämmerung. Und die wurde ein solcher Erfolg, musikalisch und klanglich, dass der Tonmeister Holger Urbach, der schon die Düsseldorfer Mahler-Einspielungen betreut hat, bedauerte, dass der Abend nicht aufgenommen wurde“, erzählt Kober. „Wir konnten die Intendanten der Oper und des Orchesters davon überzeugen, zunächst den gesamten Ring aufzunehmen und dann zu überlegen, wie weiter damit verfahren werden sollte.“ Gern erinnert der Dirigent sich an die Rückmeldungen nach den Aufführungen. „Die Erfolge beim Publikum waren überwältigend und die Sänger nicht minder begeistert. Die Ergebnisse waren so überzeugend, dass wir uns entschlossen haben, die Produktion medial zu verbreiten. Auch als Dank an die Abonnenten, denen aufgrund des Wasserschadens einige Unannehmlichkeiten zugemutet wurden“, sagt Kober.

Auch wenn er das Werk im letzten Jahr nicht nur in Düsseldorf und Duisburg, sondern auch an der Wiener Staatsoper dirigiert hat und bis ins letzte Detail kennt, auch wenn er sich den Duisburger Philharmonikern und der Mercatorhalle eng vertraut fühlt, ist die Verlegung einer szenischen Opern-Produktion in ein Konzerthaus auch für einen versierten Dirigenten wie Kober eine Herausforderung. „Es war schon eine sehr intensive Arbeit aller Beteiligten, die Stücke dem Konzertsaal anzupassen. Doch genau das führte zu einer ungeheuren Spannung und Atmosphäre, die den Aufführungen ein besonderes Profil verliehen. Und das veranlasste uns letztlich, die Abende mitzuschneiden und zu veröffentlichen. Es handelt sich um echte Live-Produktionen“, erzählt der gebürtige Oberfranke.

Auffallend am Rheingold ist Kobers unpathetischer, straffer und den dramatischen Impuls betonender Umgang mit der Musik. „Das war mir auch ein Anliegen. Aber es war ohnehin keine rein konzertante Aufführung. Die Sänger hatten das Stück alle für die Bühne vorbereitet und auch teilweise schon dort gesungen, so dass der szenische Effekt auch in der Mercatorhalle durchschlug. Dass die Sänger nicht, wie bei einer konzertanten Aufführung üblich, mit Notenpult, sondern auch ohne Soufflage den Text auswendig sangen, steigerte die Intensität der Aufführungen ungemein. Und das hat das Publikum gespürt. Ich habe einmal nachgefragt und war erstaunt, dass sich etwa 90 Prozent der Zuschauer den gesamten Zyklus angehört haben.“

Als vor einem Jahr ein Wasserschaden das Duisburger Theater für einige Wochen außer Betrieb setzte, herrschte eine Art Ausnahmezustand in den Intendanzen der Deutschen Oper am Rhein und der Duisburger Philharmoniker. Aus heutiger Sicht lässt sich die damalige „Katastrophe“ als Bagatelle abhaken. Und der auf den ersten Blick „faule Kompromiss“, die ersehnte zyklische Aufführung des neuen Nibelungen-Rings der Rheinoper nicht szenisch, sondern nur konzertant in der Mercatorhalle zu präsentieren, erwies sich letztlich sogar als Glücksfall. Denn die besseren akustischen Bedingungen begeisterte den Generalmusikdirektor so nachhaltig, dass er einen Mitschnitt des gesamten Rings als CD anregte. Der Vorabend des Rings, Das Rheingold, liegt jetzt in einer Box mit zwei CD und einem knapp gehaltenen Beiheft vor. Online kann der Mitschnitt über die bekannten Verkaufsportale heruntergeladen werden. Als Album erscheint er am 3. April. Die restlichen drei Teile des Rings sollen demnächst zunächst online heruntergeladen werden können.

Was die akustische Qualität angeht, rechtfertigt die Aufnahme in der Tat eine Veröffentlichung auf dem konkurrenzstarken Markt. Der Orchesterklang wird voluminös und transparent eingefangen, auch wenn die Singstimmen bisweilen zu dominant in den Vordergrund gestellt werden. Zu den Pluspunkten der Neuerscheinung gehört auf jeden Fall das hohe Niveau der Duisburger Philharmoniker, das durch Axel Kober, den derzeitigen Chefdirigenten des Orchesters und der Rheinoper, stabilisiert und verfeinert wird. Für Kober, den Bayreuth-erfahrenen Wagner-Kenner, stand das letzte Jahr ohnehin im Zeichen der Nibelungen-Tetralogie. Den Zyklus dirigierte er nicht nur in Düsseldorf und Duisburg, sondern auch an der Wiener Staatsoper. Der Mitschnitt lässt einen schlanken, unpathetischen, den dramatischen Gehalt des Werks betonenden Umgang mit dem Werk erkennen. Weihevolle Ehrfurcht oder tiefgründige Grübeleien sind nicht Kobers Sache. Damit ist ein straffer, spannender Opernabend garantiert, der auch als rein akustisches Erlebnis erstaunlich viel Bühnenluft verströmt.

Dass die Deutsche Oper am Rhein den Ring aus weitgehend eigenen Reihen gleich zweimal besetzen kann, spricht für die vorzügliche Ensemblepflege des Hauses, was den Konkurrenzdruck angesichts der teilweise legendären Ring-Einspielungen von Solti und Karajan bis Sawallisch und Janowski allerdings nicht mindert. So weist die vokale Qualität des „Rings am Rhein“ unüberhörbare Schwankungen auf, vor allem in den kleineren Partien. Zu den Stärken der Einspielung gehören der Alberich von Jochen Schmeckenbecher und der Mime von Florian Simson, der Loge von Raymond Very und die Erda von Ramona Zaharia. Auch das Riesenpaar ist mit Thorsten Grümbel als Fasolt und Lukasz Konieczny als Fafner ebenso vorzüglich besetzt wie die Fricka mit Katarzyna Kuncio und die Freia von Sylvia Hamvasi. James Rutherford singt den Wotan kultiviert, gestaltet die komplexe Partie aber etwas gleichförmig. Im Rheintöchter-Terzett will sich die härtere Stimme von Roswitha Christina Müller als Wellgunde nicht so recht mit den weicher tönenden Stimmen von Heidi Elisabeth Meier als Woglinde und Anna Harvey als Flosshilde mischen. David Jerusalem als Donner und Bernhard Berchtold als Froh können kaum markante Akzente setzen.

Insgesamt ein ambitionierter, hochwertiger Einstieg in eine vielversprechende Neuproduktion des gewaltigen Werks, die in nächster Zeit vervollständigt werden soll.

Pedro Obiera