O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Buch

Standhaft bleiben

Es sollte längst ausreichend bekannt sein: 80 Prozent der deutschen Bevölkerung sind gegen eine Sprache, die „von oben“ diktiert wird und angeblich geschlechtersensibel sein soll. In einer demokratischen Gesellschaft sollte das Thema damit eigentlich erledigt sein – oder es gefährdet die Demokratie, nämlich die Herrschaft der Mehrheit. Wenn Minderheiten versuchen, die Gesellschaft in Geschlechterlager zu spalten, sollte die Mehrheit aufhorchen und sich mit diesem Thema sehr intensiv auseinandersetzen. Diese Ansicht vertritt auch Günter Müchler. Der „alte weiße Mann“ studierte Geschichte und Politikwissenschaft, wechselte nach Stationen in verschiedenen Zeitungen zum Radio, wurde dort Programmdirektor von Deutschlandfunk, Deutschlandradio Kultur und D-Radio Wissen. Im Mai dieses Jahres hat er im Aschendorff-Verlag das rund 160 Seiten umfassende Buch Das Gender-Diktat – Wie eine Minderheit unsere Sprache zerlegt veröffentlicht. Schon beim Lesen des Buchrückens beschleicht den Leser ein ungutes Gefühl. Seit wann weist ein Verlag darauf hin, dass es sich um ein „meinungsstarkes“ Buch handele? Das klingt wohl eher nach Trigger-Warnung als nach einem verkaufsfördernden Argument. Schon nach den ersten Zeilen verstärkt sich das Kopfschütteln über diese eigentümliche Wortwahl. Denn Müchler bemüht sich, seine Analyse durchweg mit Fakten zu belegen.

Dabei geht er durchaus umsichtig zu Werke, wenn er als Historiker und Politologe zunächst einmal darauf hinweist, dass die deutsche Sprache keineswegs in Zement gegossen ist oder je war. Allerdings nimmt er genauso schnell den Anhängern einer Geschlechtersprache den Wind aus den Segeln, wenn sie das als eines ihrer wenigen Argumente ins Feld führen. „Sprache verändere sich eben, heißt es. Das freilich ist eine bewusste Irreführung, die Täterschaft verschleiern soll. Scheinheiligkeit ist ein weiteres Merkmal des Kulturkampfes“, schreibt Müchler, der in der gegenwärtigen Entwicklung eben einen solchen Kulturkampf ausmacht, den seiner Ansicht nach die Anhänger einer „Identitätspolitik“ führen. Wer genau das ist, ist nicht auszumachen. Und das unterscheidet den derzeitigen Versuch der Sprachunterwanderung von vormaligen Versuchen, Menschen ihrer Muttersprache zu berauben. Sowohl bei den Nationalsozialisten wie den Kommunisten, aber auch im gern zitierten Roman 1984 von George Orwell habe man immer Anführer dingfest machen, sie beim Namen benennen können. Als Treiber der Identitätspolitik macht er Universitäten, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Stadtverwaltungen fest. Damit entsteht auch kein Missverständnis, aus welcher Perspektive der Autor analysiert.

Man könnte das Buch durchaus als Mahnschrift gegen die fortschreitende Dummheit bezeichnen, zumindest wenn man mitverfolgt, wie Müchler genüsslich und damit immer wieder amüsant, nämlich dann, wenn die Absurditäten grotesk werden, die Identitätspolitik und in deren Folge die Geschlechtersprache anhand von Fakten – und darin unterscheidet er sich deutlich von seinen Gegnern – zerpflückt, Widersprüche aufdeckt und Gefahren der Entwicklung aufzeigt.

Auch an Erklärungsansätzen mangelt es nicht. „Journalisten sind weniger mutig, als sie meinen. Im Selbstbildnis des Berufsstands ist der Journalist ein kompromissloser Einzelkämpfer, an dem jeder Versuch der Vereinnahmung wirkungslos abprallt. Journalisten lassen sich nichts vorschreiben. Sprachregelungen schon gar nicht. Die Gender-Story entlarvt das heroische Selbstbild als Mythos“, stellt Müchler fest. Er macht in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten statt überzeugter Haltungen viel mehr allzu Menschliches fest. Wer Ruhe im Betrieb haben will, orientiert sich an der Herde. „Man möchte nicht glauben, dass Journalisten als Hefe des kritisch prüfenden Geistes Vorgaben eines Ratgebers“, der Autor bezieht sich hier auf ein zuvor vorgestelltes Schriftstück, das die Änderung des Wortes Flüchtlinge in Geflüchtete „empfiehlt“, „für erleuchtetes Sprechen und Schreiben befolgen. Doch es muss wohl so sein. Anders wäre nicht zu erklären, dass ein vollkommen unverdächtiges Wort wie Flüchtling in Windeseile aus dem Vokabular der öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Radioprogramme verschwindet“, führt Müchler aus und kommt zu dem Schluss, dass da „in den Redaktionsstuben offenbar eine Generation tonangebend“ sei, „der wichtige professionelle Instinkte abhandengekommen sind und die lieber Herde ist als bockbeinige Vielheit“. Ein gleiches Muster findet sich auch in den Universitäten und in kommunalen Behörden. Dabei fällt auf, dass es sich in erster Linie um Orte handelt, bei denen Menschen von Zwangsabgaben des Bürgers oder aus Steuermitteln entlohnt werden.

Wer an diesem Punkt angekommen ist, fragt sich, auf was er auch in den Ausführungen Müchlers vergeblich Antworten sucht. Muss ich mir das eigentlich bieten lassen, oder kann ich mich – in welcher Form auch immer – dagegen wehren? Hier sind Staats- und Bürgerbedienstete am Werk, die ihren Auftrag grob vorsätzlich verletzen. In jedem privat geführten Unternehmen hätte das unweigerlich eine fristlose Kündigung zur Folge. Der Unmut in der Bevölkerung ist groß. Auch das belegt Müchler gründlich. Und das ist gefährlich. „Wer respektlos und mit blinder Energie auf die Muttersprache losgeht, macht sich nicht nur des ästhetischen Vandalismus schuldig. Er legt die Axt an den Ort, den das Wir existenziell braucht“, warnt der Autor und verweist damit noch einmal nachdrücklich darauf, dass unsere Gesellschaft in der gegenwärtigen Situation den Konsens und die Gemeinsamkeit dringender braucht als die Selbstverwirklichung und unlegitimierte Einflussnahme von Minderheiten.

Anhänger und Mitläufer einer „Identitätspolitik“ werden dieses Buch eher verteufeln als sich mit der dargestellten Wirklichkeit auseinanderzusetzen. Empfehlen kann man das Werk aber unbedingt jenen, die sich gerade orientierungslos von den öffentlich-rechtlichen Sendern nicht in die Irre schicken lassen wollen. Auch wenn Müchler nachdrücklicher und konkreter hätte zum Widerstand aufrufen können und vielleicht auch sollen, geht der Leser gestärkt aus der Lektüre hervor, bereit, die Geschehnisse besser einordnen und ihnen damit gestärkt begegnen zu können. Unbedingte Empfehlung.

Michael S. Zerban